Wirtschaft in Afrika:Vier Schritte vorwärts, einen zurück

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Afrika galt in den vergangenen Jahren als die neue große Wachstumsstory. Doch Ökonomen zweifeln. Denn trotz glänzender Zahlen ist die Wirklichkeit für die Menschen eine andere. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst in vielen Staaten, die Umwelt leidet.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Aufstieg Afrikas - Yaya Olaniran kann damit so gar nichts anfangen. Er war mal Agrarminister in Nigeria, inzwischen vertritt er sein Land bei der Welternährungsorganisation FAO. Nigeria ist eines der Länder mit den höchsten Wachstumsraten. Aber Aufstieg? "Ich weiß nicht, welcher Aufstieg damit gemeint sein soll", sagt er. "Die Wachstumsraten mögen ja hochgehen, aber die Wirklichkeit für die Leute ist eine andere." Da seien viele in seinem Land schon froh, wenn sie mal einen halben Tag lang Strom haben.

Afrika und Afrika - es liegen Welten dazwischen. Einerseits Ressourcenboom und Wirtschaftswachstum, andererseits in vielen Staaten immer noch verbreitete Armut, geringe Bildungschancen, abgehängte Regionen. Und trotzdem galt der Kontinent in den vergangenen Jahren als die neue große Wachstumsstory.

"Renaissance in Subsahara-Afrika" überschrieb die Commerzbank einen Bericht, der Industrieverband BDI lobte Afrika als "Chancenkontinent", der Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft hob kürzlich erst die Wachstumsaussichten für die Gegend südlich der Sahara hervor: "Mehr als zehn Staaten südlich der Sahara werden voraussichtlich bis 2016 jährlich um mehr als sieben Prozent wachsen", sagte Christoph Kannengießer, Chef des Afrikavereins. "Diese Entwicklungen sollten auch deutsche Unternehmen nicht aus dem Blick verlieren."

"Das neue Phänomen der Weltwirtschaft"

Doch die wirtschaftliche Wirklichkeit ist schwieriger, jüngst zu beobachten bei einer Afrika-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung. "Afrika ist das neue Phänomen der Weltwirtschaft", sagt Lorenzo Fioramonti, Professor für internationale politische Ökonomie an der Universität Pretoria. Allerdings sei das schöne Wachstum eine "statistische Illusion". Zwar lege das Sozialprodukt in einigen Staaten beachtlich zu, dies aber paradoxerweise auch wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Vor allem die rohstoffreichen Staaten Afrikas seien zum Ziel von Investoren geworden, die in der Ausbeutung von Ressourcen das schnelle Geld suchten. "Aber dieses Wachstum ist konzentriert in den Händen weniger." Und wo investiert werde, geschehe dies häufig zu Lasten der Umwelt und ohne Rücksicht auf die soziale Entwicklung - weswegen der Aufschwung vielerorts schon die Gefahr neuer sozialer Proteste mit sich bringe.

Das sieht Yaya Olaniran, der nigerianische Gesandte bei der FAO, ganz ähnlich. "Wenn man zwischen den Zeilen liest, dann macht Afrika vier Schritte vorwärts und einen zurück." Angesichts häufig korrupter Eliten, einer unzureichenden Infrastruktur und oft mangelhafter Versorgung etwa mit Wasser und Elektrizität nützten die schönsten Wirtschaftsdaten nichts, sagt er. "Das Bruttosozialprodukt ist nicht die Lösung für Afrikas Problem."

In vielen Staaten Afrikas jedenfalls nicht - doch das Bild ist differenzierter. So hatte die Entwicklungsorganisation One in ihrem jüngsten Data-Bericht Fortschritte in einer ganzen Reihe von Staaten konstatiert. So kamen Staaten wie Ruanda, Äthiopien, Ghana, Malawi, Benin oder Burkina Faso bei den so genannten Millenniumszielen zügig voran, die etwa Armut und Hunger, Zugang zu sauberem Wasser und Bildung messen.

Auch in der Gruppe der am wenigsten entwickelten Staaten verzeichnete der Bericht seinerzeit Fortschritte - unter anderem deshalb, weil sich die Staatseinnahmen erhöhten und viele Länder dadurch mehr als bisher selbst in die Behebung ihrer Probleme investierten. "Die Eigeneinnahmen der Länder südlich der Sahara haben sich in zwölf Jahren vervierfacht", lobt One-Geschäftsführer Tobias Kahler. Man müsse nun stärker "das Afrika von morgen betrachten".

Nur: Welches Afrika ist das? Der Fehler liege darin, Afrika nur als "eine einzige Realität" zu betrachten, warnt auch der südafrikanische Politologe Fioramonti. Es gibt eben viele verschiedene Wirklichkeiten: Ressourcenreiche Länder, die zwar Milliarden scheffeln, ihre Bürger aber kaum daran teilhaben lassen. Staaten wie Mali und die Zentralafrikanische Republik, die in bewaffneten Konflikten alle Chancen verspielen. Aber eben auch aufstrebende Wirtschaftsräume etwa in Ostafrika, die durch mehr regionale Integration aufblühen. "Ich würde es so fassen", sagt Anne Kamau, Ökonomin bei der kenianischen Zentralbank. "Afrika wächst ziemlich stabil, aber viele Probleme bleiben." Jedenfalls im groben Durchschnitt gesehen.

Längst sucht auch die Bundesregierung nach neuen Wegen der Zusammenarbeit. Erst vor drei Jahren hatte die schwarz-gelbe Koalition ein eigenes Afrika-Konzept aufgestellt. Es setzte auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und versprach eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Doch die Ziele blieben so diffus wie das Sozialprodukt als Maßstab von Wohlstand. Mittlerweile hat eine erneute Debatte begonnen, der Bund will neue Leitlinien für die Zusammenarbeit aufstellen - auch mit Blick auf den EU-Afrika-Gipfel, der Anfang April in Brüssel stattfindet. Wohin die Reise gehen könnte, hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) schon klargemacht: Die Bundesregierung will sich stärker im Bereich der Landwirtschaft engagieren.

"Afrika muss seine natürlichen Ressourcen stärker selbst nutzen"

Außerdem müsse künftig mehr Wertschöpfung in Afrika bleiben - sprich: Die schönen Rohstoffe sollten öfter in den Herkunftsländern selbst weiterverarbeitet werden. Auch Ökonomen sehen darin einen Schlüssel zur Lösung. "Afrika muss seine natürlichen Ressourcen stärker selbst nutzen", sagt Jan Rieländer, der sich bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit dem Kontinent beschäftigt. Dies schon deshalb, um mehr Arbeit zu schaffen: Bis zum Jahr 2045 werde sich die Zahl der jungen Menschen in Afrika von derzeit 200 Millionen auf 400 Millionen verdoppeln.

Jobs könnten sie auch in der Landwirtschaft finden. Brauchbare Böden gäbe es genug in vielen Staaten Afrikas - sie müssten nur urbar gemacht werden. Zudem kommt das Wachstum auf dem Acker der Bevölkerung südlich der Sahara direkter zugute. Einer kürzlich veröffentlichten Studie von One zufolge trägt es zur Bekämpfung von Armut elf mal mehr bei als Wachstum in anderen Wirtschaftszweigen.

In der Story vom afrikanischen Wachstum freilich spielte Landwirtschaft bisher kaum eine Rolle, die handelte mehr von Rohstoffen und Seltenen Erden. Eben von jenen Stoffen, auf die Industriestaaten richtig scharf sind - beim "Partner" Afrika.

© SZ vom 26.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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