Wirecard:Guttenbergs Mission

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Ex-Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg am Donnerstag im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages. (Foto: Andreas Gora/Getty Images)

Der ehemalige Wirtschaftsminister berichtet im Untersuchungsausschuss, wie er bei der Kanzlerin für den Zahlungsdienstleister warb - und über dessen "seltsamen" Chef Markus Braun.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

"Mein Name ist Karl-Theodor zu Guttenberg, ich bin 49 Jahre und wohne in Guttenberg. Mein Beruf ist Chairman von Spitzberg Partners". Es ist Donnerstag, elf Uhr, im Bundestag. Guttenberg ist vorgeladen, er muss sich vom U-Ausschuss über seine Lobbyarbeit für den inzwischen wegen Betrugs insolvent gegangenen Dax-Konzern Wirecard befragen lassen. Wobei das aus Guttenbergs Sicht schon ein Missverständnis ist: In seinem Statement wird er mehrmals anmerken, dass Spitzberg "kein Lobbyunternehmen ist". Man habe sich auch von Wirecard nicht als Lobbyisten beschäftigen lassen. Was ihn, wie sich später herausstellt, nicht davon abgehalten hat, als solcher tätig zu werden.

Guttenberg ist auf die Minute pünktlich, dunkler Anzug, helles Hemd, Dreitagebart. Der erste Kontakt ist beinahe demütig. Darf ich meine Maske ausziehen? Hier drin ja, sagt Kay Gottschalk von der AfD, der Vorsitzende des Ausschusses. Guttenberg legt die FFP2-Maske hin, setzt sich. Geht's los?

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Der einstige Wirtschaftsminister ist nicht allein gekommen. Er hat den Anwalt mitgebracht, den in Berlin viele haben, die mit Politik und Medien zu tun haben. Christian Schertz, Rechtsbeistand, steht auf dem Schildchen. Schertz hat Unterlagen ausgebreitet, eine rote Mappe, einige Dokumente in Klarsichthüllen, Stift, Telefon, Maske. Guttenberg hat seine Dokumente in einen roten Pappumschlag gepackt - zwei Zentimeter aufeinandergestapelte Seiten. Wie sich gleich herausstellen wird, dauert es fast zwei Stunden, bis er diesen Packen teilweise verlesen hat. Schertz liest still mit.

Spitzberg sollte Wirecard den Weg nach China ebnen

Guttenberg hat nach seinem Ausscheiden aus der Politik die Beratungsfirma Spitzberg gegründet, von 2016 an bis Juni 2020 hat sie auch für Wirecard gearbeitet, überwiegend für eine monatliche Pauschale zwischen 10 000 und 20 000 Euro. Dazu sollte es erfolgsabhängige Zahlungen geben.

Im U-Ausschuss geht es vor allem um seine Dienste, die Wirecard den Weg nach China ebnen sollten. Der Dax-Konzern wäre der erste kontinentaleuropäische Zahlungsdienstleister auf dem bis dahin geschlossenen Markt gewesen, das Projekt bekam intern den Namen Heron. Ein schillerndes Projekt. Man glaubt Guttenberg, dass er von diesem Auftrag begeistert gewesen war. Hat er nie Zweifel gehabt? Nein, sagt er. Er habe bei Wirecard immer wieder nachgefragt. Wegen der Berichte in den Medien, wegen der Kurssprünge. Und sei immer überzeugend beruhigt worden. "Wären mir Zweifel gekommen, hätte ich um Vorkasse gebeten."

Als "Minister des Ungefähren" galt Guttenberg einst in seinem Ressort. Jetzt will er exakt sein. Akribisch listet er alle Treffen auf, viermal hat er den früheren CEO Markus Braun persönlich gesprochen, ein "seltsamer, völlig untypischer CEO". Direkt bei der ersten Begegnung habe ihm Braun das Du angeboten. Jan Marsalek, der mit Braun zusammen den jahrelangen Betrug organisiert haben soll und flüchtig ist, habe nie eine Rolle gespielt, er habe ihn nie getroffen. Wichtige Randnotiz: Anders als die meisten Anleger ist Spitzberg relativ unbeschadet aus dem Betrugsskandal um seinen Klienten herausgekommen. "Sie haben alle Rechnungen bezahlt", sagt zu Guttenberg, insgesamt 760 000 Euro. Wobei er Wert darauf legt, festzustellen, dass er darauf verzichtet hat, die letzten fälligen Rechnungen noch zu stellen.

Zurück zum Lobbyismus. Er biete Beratung darüber an, wie sich Unternehmen Lobbykontakte einkaufen könnten, sagt Guttenberg. Aber er lobbyiere nicht selbst - jedenfalls kaum. Denn das muss er doch eingestehen: dass er für Wirecard Kontakte in die deutsche Politik aufgenommen hat, zur Botschaft in Peking, ins Bundesfinanzministerium und zur Bundeskanzlerin. Guttenberg bezeichnet das als große Ausnahme, die nicht zu umgehen gewesen sei. Es sei ja nun mal so, dass deutsche Unternehmen niemals erfolgreich den geschlossenen chinesischen Markt betreten könnten, sollte das nicht politisch so hoch wie möglich begleitet werden.

Guttenberg trifft sich einmal im Jahr mit der Kanzlerin

Wie ist es also dazu gekommen, dass seine einstige Chefin, "die Frau Bundeskanzlerin", wie Guttenberg sagt, sich auf ihrer Reise nach China Anfang September 2019 für Wirecard eingesetzt hat? Der Termin bei Angela Merkel sei lange vereinbart gewesen. Man treffe sich einmal im Jahr, ohne Agenda, rede über Aktuelles, Privates, Außenpolitik, Technologien. Ursprünglich habe er Wirecard bei jenem Treffen kurz vor der China-Reise gar nicht ansprechen wollen - was verwunderlich ist, weil Spitzberg seit März 2018 daran arbeitet, den Weg des Zahlungsdienstleisters nach China zu ebnen. Es ist die Zeit, in der Präsident Xi Jinping die Öffnung des chinesischen Marktes in Aussicht stellt. Spitzberg erstellt eine Shortlist mit Unternehmen, die als Partner für Wirecard geeignet sein könnten, darunter ist Allscore, ein Zahlungsdienstleister. Guttenberg weiß, dass die Bundesregierung in Peking erkennen lassen muss, dass sie die Idee gut findet.

Seiner Erinnerung nach aber hat er erst kurz vor dem Treffen mit Merkel den Hinweis erhalten, dass es gut wäre, sie auf die Übernahme hinzuweisen. "Im Laufe des Gesprächs erwähnte die Frau Bundeskanzlerin China", liest Guttenberg ab. "Daraufhin erwähnte ich den jungen Dax-Dienstleister, der nach China wollte und sagte, wenn", er zieht "wenn" in die Länge, "es eurer Überzeugung entspricht, könnte ein Hinweis von eurer Seite hilfreich sein". - "Frau Bundeskanzlerin wusste von Wirecard". Guttenbergs erinnert sich, sie habe gesagt, ja, das könnte hilfreich sein, und habe ihren Berater gebeten, eine Formulierungshilfe vorzubereiten.

Das Ende ist bekannt: Merkel half, Wirecard übernahm Allscore, zehn Monate später flog der Betrug auf, 20 Milliarden Euro Börsenwert waren weg, der Dax-Konzern kollabiert. Am 23. Juni kündigt Spitzberg Partners den Vertrag. Guttenberg bemüht sich, den politischen Schaden zu begrenzen. Im Bundestag erzählt er die Geschichte einer Beratungsfirma, die staatlichen deutschen Behörden und einem Dax-Konzern vertraut und normale Geschäfte gemacht hat. Und sich täuschte. Er habe durchaus Sympathie für die Idee, in Deutschland ein Regelwerk für Lobbytätigkeit zu entwickeln. Nur: "Kann man der Kanzlerin für jedes Gespräch ein Protokoll abverlangen?" Übrigens: Anders als bei der deutschen Finanzaufsicht Bafin war es bei Spitzberg immer verboten, "mit Aktien unserer Klienten zu handeln".

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