"Wie kann man nur so blöd sein und so etwas machen":Späte Quittung für vier Berliner Nächte

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Ein Aufenthalt im Luxushotel, drei anonyme Briefe und die Folgen: Warum dem bestbezahlten deutschen Beamten kein Politiker zu Hilfe kommt.

Von Helga Einecke und Ulrich Schäfer

Kein Tag wie jeder andere für ihn, dieser Dienstag. Ernst Welteke hat viel telefoniert an diesem Tag, hat Mitarbeiter empfangen, hat mit Kollegen gesprochen, hat Texte geprüft und immer wieder abgewogen, was wohl zu tun sei in der misslichen Lage, in die er da geraten ist.

Folgenreiche Sylvester-Party (v.r.n.l.): Hans Eichel, Welteke und Bernd Fahrholz bei der Euroeinführung Sylvester 2001. (Foto: Foto: ddp)

Kein schöner Tag für Welteke

Der 61-Jährige hat sein geräumiges Büro im obersten Stock des Bundesbankgebäudes, hoch über dem Frankfurter Stadtteil Ginnheim. Auf seinem Schreibtisch steht ein Monitor, in dem die Meldungen der Nachrichtenagentur Reuters über das Welt- und Börsengeschehen auflaufen. Vermutlich brauchte er nicht erst auf den Schirm zu schauen, um zu wissen, dass er selber an diesem Dienstag einer der Protagonisten der Nachrichtenwelt war.

Reuters meldete um 13.26 Uhr, der Vorstand der Bundesbank habe am Vormittag getagt und bereite für den Nachmittag eine neue Stellungnahme vor. Und Reuters hat an diesem Dienstag Ernst Welteke ans Telefon bekommen, und der hat erklärt: "Ich schließe einen Rücktritt nicht aus."

Dass sich der Präsident der Deutschen Bundesbank überhaupt mit solch düsteren Erwägungen tragen muss, verdankt sich einer fröhlichen Silvesterfeier, der glanzvollen Nacht vom 31. Dezember 2001 auf den 1. Januar 2002. In jener Nacht wurde in Europa der Euro eingeführt, und Bernd Fahrholz, der Chef der Dresdner Bank, hatte zu diesem Anlass eine illustre Runde aus der Finanzwelt, zudem Politiker, Diplomaten und Journalisten zu einem Festchen nach Berlin geladen, und viele kamen. Unter ihnen Ernst Welteke sowie Hans Eichel, der Bundesminister der Finanzen.

Karriere eines Mechanikers

Die Sause wäre längst vergessen, hätte nicht am Wochenende der Spiegel berichtet, dass Welteke sich damals aus Anlass jener Feier von der Dresdner Bank ins Berliner Luxushotel Adlon einladen ließ, für vier Übernachtungen mit Ehefrau, kleinem Sohn und größerem Sohn nebst Freundin - Gesamtkosten 7661,20 Euro.

Darf er das als Sachwalter des öffentlichen Wohls? Und wenn ihm schon juristisch nichts anzukreiden ist, hat er dann nicht doch politisch-moralisch einen grässlichen Fehltritt begangen - gerade er als Sozialdemokrat, als gelernter Landmaschinenmechaniker aus dem nordhessischen Korbach, der durch eine SPD-Karriere aufstieg zum hessischen Wirtschafts- und Finanzminister, zum Landesbank-Präsidenten und schließlich zum Bundesbank-Chef mit einem Jahreseinkommen von 350000 Euro?

Der allmähliche Skandal

Ein Skandal braute sich zusammen, Welteke erfuhr davon am Donnerstag. Der Spiegel schickte ihm Fragen zu, die er beantwortete. Am Freitag informierte ihn das Bundesfinanzministerium über das Auftauchen dreier anonymer Briefe, die sich mit den Informationen des Nachrichtenmagazins deckten.

Die Couverts, aufgegeben in Frankfurt, eingetroffen am 1. April und gerichtet an Finanzminister Hans Eichel, Staatssekretär Caio Koch-Weser sowie Abteilungsleiter Jörg Asmussen, enthielten nichts als jene Rechnung des Hotels Adlon, versehen mit dem Eingangsstempel der Dresdner Bank. "Wie kann man nur so blöd sein und so etwas machen," meinte einer von Eichels Beamten.

Am Samstag nahm Ernst Welteke in Punchestown bei Dublin in Irland am Treffen der EU-Finanzminister teil. Journalisten sprachen ihn dort auf die Vorwürfe an, und dann kamen ihm die verhängnisvollen Sätze über die Lippen, die er heute vielleicht gerne zurücknehmen würde. "Wenn ich an der Veranstaltung eines Dritten teilnehme und der mich dazu einlädt, dann gehe ich auch davon aus, dass die Kosten übernommen werden", sagte er und fügte provozierend hinzu: "Soll ich das selber bezahlen?"

Ernst Welteke wollte weiter in die Offensive gehen und am Montag in Frankfurt eine Pressekonferenz abhalten, davon rieten ihm seine Helfer jedoch dringend ab. Statt dessen prüfte der Bundesbankvorstand den Fall, das Ergebnis war eine Erklärung von 16 Zeilen. Darin sprach Welteke von Missverständnissen und erklärte, er und die Bundesbank würden nun doch je zur Hälfte nachträglich die Kosten für seinen Berlin-Aufenthalt übernehmen. Von einer Entschuldigung oder gar von Fehlern war nichts zu lesen.

Tagung am Dienstag

Am Dienstag tagte der Vorstand erneut. Er besteht aus acht Männern, die alle ihre Büros auf derselben Etage haben. Vizepräsident Jürgen Stark und Chefvolkswirt Hermann Remsperger waren freilich unterwegs und deshalb per Telefon zugeschaltet. Der Vorstand ist das einzige Gremium, das den Chef kontrollieren kann, denn die Bundesbank ist politisch unabhängig. Die parteipolitische Zuordnung der Vorstandsmitglieder ist ausgewogen, jeweils drei kommen aus dem Regierungslager und der Opposition, die zwei restlichen werden als neutral eingestuft.

Das Führungsgremium hält zu Welteke, ebenso die Vertretung der Belegschaft. Bernd Palsbröker, der Vorsitzende des Hauptpersonalrats, fürchtet gar "ein Kesseltreiben" und "eine Hexenjagd" gegen den Präsidenten. "Es wäre schade um ihn", meint er. Palsbröker hält dem stets umgänglichen Welteke zugute, den durch die Euro-Einführung nötigen Umbau der Bundesbank "menschlich in Ordnung" durchgeführt zu haben.

Schieres Entsetzen bei den Politiker

Hingegen hat die Affäre im politischen Berlin das schiere Entsetzen hervorgerufen, insbesondere da Welteke die Sache anfangs so offenkundig auf die leichte Schulter nahm. Anders als noch bei Florian Gerster, dem ebenfalls nicht sonderlich schuldbewussten Chef der Bundesagentur für Arbeit, sprang niemand dem Bundesbank-Präsidenten bei — kein Minister, kein Kanzler, kein Regierungssprecher.

Gerhard Schröder sei, so war zu hören, "nicht amüsiert" und lasse sich auch in Italien, wo er seinen 60. Geburtstag feiert, detailliert über den Stand der Affäre informieren. Welteke, der bestdotierte Beamte der Republik, der mit seinem Einkommen noch weit über dem des Kanzlers liegt, habe "kein Gespür dafür, was in diesem Land los ist", ärgerte man sich im Finanzministerium.

Schließlich waren die Skandal-Meldungen just an jenem Tag über die Nachrichtenagenturen getickert, als in Köln, Stuttgart und Berlin - übrigens direkt vor dem Hotel Adlon - eine halbe Million Menschen gegen die Reformen der Regierung und den "Sozialkahlschlag" demonstrierten.

Eichel wird deutlich

Und so rückte Hans Eichel, sonst ein Mann der vorsichtigen Worte, am Montag in aller Öffentlichkeit von Welteke ab, den er einst als dessen politischer Vormann 1991 zum Landesminister und 1999 zum Bundesbank-Chef gemacht hatte: "Was die Bundesregierung betrifft, so sind nach den Verhaltensregeln, die wir haben, solche Vorgänge nicht möglich." Soll heißen: Hätte er, Eichel, selber im Adlon genächtigt, dann müsste er jetzt als Minister zurücktreten.

Dass die Regierung derart kühl reagierte, hat offenkundig aber auch mit dem angespannten Verhältnis zu tun, das - unabhängig von der Adlon-Affäre - zwischen Berlin und Frankfurt herrscht: Es geht um Kompetenzen und Macht, um die Reformpolitik der Regierung und die Zukunft einer Institution, die einst für die D-Mark stand und die im Euro-Zeitalter immer noch nach Halt und Orientierung sucht.

Nordhessen unter sich

Immer noch haben es Welteke und seine Vorstandskollegen nicht verwunden, dass die Regierung der Bundesbank den Personalbestand gestutzt und einen bedeutenden Teil der Bankenaufsicht entwunden hat. Eichel ärgert sich unterdessen darüber, dass der SPD-Mann Welteke, wie Eichel ein Nordhesse, immer häufiger die Politik der Regierung kritisiert und sich sogar offen einmischt, selber aber statt eines Gewinns von 3,5 Milliarden Euro, so wie im Haushalt eingeplant, nicht einmal ein Zehntel dessen nach Berlin überweist.

Seltsam ist an diesem Fall, dass Weltekes Adlon-Nächte ausgerechnet jetzt publik wurden. Wer, so fragt man sich in Frankfurt wie in Berlin, hat ein Interesse daran, Welteke zu schaden, sei es aus politischen oder persönlichen Interessen heraus? Welteke selber verdächtigte zunächst das hessische Finanzministerium, das er von 1991 bis 1995 selbst geleitet hatte und das nun einem CDU-Minister untersteht — doch von dort kam ein scharfes Dementi.

Dann fiel sein Verdacht auf das Bundesfinanzministerium, doch auch Eichels Büchsenspanner wehren sich heftig. Quasi als Beleg wird darauf verwiesen, der Spiegel habe Welteke bereits vor eineinhalb Wochen erstmals mit dem Fall konfrontiert, also ehe die anonymen Briefe in Berlin eintrafen - was wiederum - seltsam, seltsam - bei der Bundesbank bestritten wird. Stammt der Absender etwa aus der Bundesbank selber? Oder hat jemand bei der Dresdner Bank Welteke düpieren wollen? Auch dafür gibt es allenfalls Vermutungen.

Welteke ringt mit sich

Welteke ist tief getroffen durch all diese Umstände, zumal auch seine Familie so tief involviert ist. Er hält sich für einen rechtschaffenen Menschen und rätselt, wer ihm da schaden möchte. Am Dienstag rang er, wie aus seiner Umgebung verlautete, mit sich um seinen Rücktritt. Der Nachmittag brachte eine neue Schreckensmeldung: die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn.

Egal, wie lange Welteke sich noch hält: in Berlin hat bereits die Suche nach einem potenziellen Nachfolger begonnen. Jürgen Stark wird genannt, der derzeitige Vize: fachlich der Beste, doch ein CDU-Mann. Auch der Name Hans Eichel taucht auf. Macht der Finanzminister, der im Kabinett keinen guten Stand mehr hat, sich Hoffnungen? "Das ist totaler Quatsch", heißt es im Ministerium.

Vor zwei Wochen wurde Ernst Welteke in Frankfurt bei der Vorlage der Bundesbank-Bilanz nach seinem Verhältnis zu Hans Eichel gefragt. Er grinste kurz und sagte nur: "Wir kennen uns seit 40 Jahren."

© SZ vom 7.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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