Wettbewerb:Alexa, wie viel Geld brauchst du?

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Die Tech-Konzerne aus den USA blasen zum Angriff auf die alten Industrieunternehmen. Die wehren sich.

Von Thomas Fromm, München

Als Siemens-Technikchef Roland Busch im Frühjahr der Presse erklärte, wie er künftig sein Geld einsetzen will, klang das erst einmal nach einer Routine-Übung. Umgerechnet 5,5 Milliarden Dollar Investitionen in Forschung und Entwicklung im laufenden Jahr, das bedeutet: Rund sechs Prozent des gesamten Umsatzes steckt der Münchner Konzern in neue Technologien. Die Welt steht ja nicht still, also muss man als Unternehmen vorsorgen. Das sei "keine Revolution", sondern eine "Evolution", sagte Busch damals.

Evolution? Von wegen. Für entspanntes Dahinforschen hat niemand mehr die Zeit, und so lautete die eigentliche Botschaft an jenem Tag im Mai: Siemens knöpft sich von 50 Technologiefeldern künftig 14 vor, auf die sich der Konzern verstärkt konzentrieren will. Autonome Robotik, künstliche Intelligenz, Cyber-Sicherheit, vernetzte Mobilität. Alles auf Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Alles auf die Zukunft.

Die Zeiten, in denen man in Unternehmen wie Siemens oder Volkswagen Unsummen in die Erforschung neuer, effizienter Gasturbinen oder von Dieselmotoren steckte, laufen allmählich aus. Die Konkurrenten heute heißen nicht mehr nur General Electric, Philips oder Daimler und BMW, sondern auch Google, Amazon und Intel. Und die lassen es gerade mächtig krachen: So ist Amazon, jener US-Konzern, den man bisher vor allem als globalen Versandhändler wahrnahm, längst auf dem Weg zu einem Digital-und Softwarekoloss, der in alle möglichen Branchen hineingrätscht und so viel in seine neuen Technologien investiert wie kein Zweiter. Nicht einmal der Autokonzern VW, der die Rangliste fünf Jahre lang anführte.

Hinter den Zahlen steckt die entscheidende Frage, wer künftig den Ton angibt

Eine Studie von Strategy&, der Strategieberatung des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens PwC, zeigt nun: Amazon steckte im Geschäftsjahr bis Juni 2017 16,1 Milliarden Dollar in seine Forschung. Volkswagen lag mit 12,2 Milliarden Dollar auf dem fünften Platz. Die Nummer zwei weltweit war die Google-Holding Alphabet mit knapp 14 Milliarden Dollar, gefolgt von Intel und Samsung mit je 12,7 Milliarden Dollar. "Ein Blick auf die diesjährigen Top 3 verdeutlicht die Vorherrschaft der amerikanischen Digitalriesen bei Innovationsthemen", sagt Peter Gassmann, Chef von PwC Strategy& Europe. Angesichts der "massiven Investitionen der US-amerikanischen Digitalunternehmen" müsse Deutschland "dringend aufholen". Lediglich im Deutschland-Vergleich liegt VW auf Platz 1, gefolgt von Daimler, Siemens, Bayer und BMW.

Hinter den Zahlen steckt ein harter Wettkampf um die Frage, wer künftig in der Industrie den Ton angibt. Die Internetkonzerne bewegen sich immer mehr hinein in das angestammte Revier der Industrie. So liefern gerade Firmen wie Google, Apple oder auch Intel jene Technologien, die die alten Industrie-Tanker heute brauchen, um in die Zukunft zu kommen.

Der Chiphersteller Intel zum Beispiel übernahm jüngst für mehr als 15 Milliarden Dollar den israelischen Kameratechnik-Spezialisten Mobileye. 15 Milliarden für eine kleine Firma - Zufall ist das nicht. BMW hat bereits eine enge Kooperation mit den beiden, sie sollen dem Autobauer helfen, in den nächsten Jahren selbstfahrende Autos auf den Markt zu bringen.

Intel will mehr und mehr ins Auto, kauft dafür ein kleines, aber innovatives Unternehmen aus Jerusalem - und investiert nebenbei Milliarden in Forschung und Entwicklung. Wenn die IT-Konzerne heute mehr investieren denn je, dann hat das also auch damit zu tun, dass sie Einfluss auf die alte Industriewelt nehmen wollen, die sich gerade massiv verändert. BMW? Das ist auch Intel inside. Oder dass sie, wie im Fall von Google, ein Wettbewerber der klassischen Autobauer werden könnten.

Da hat man das längst begriffen. Volkswagen hat erst kürzlich angekündigt, bis 2030 an die 20 Milliarden Euro in seine Elektroautos zu investieren. Bei VW heißt es: Investitionen an sich seien noch kein Selbstzweck - das Geld müsse auch sinnvoll ausgegeben werden. Sinnvoll, das bedeutet hier zum Beispiel auch, sich für den Wettbewerb mit den finanzstarken IT-Giganten zu rüsten.

Das klingt eher nach Revolution als nach Evolution: Früher waren Entwicklungsabteilungen ein Ort der Schrauber und Ingenieure, ein Reservat für Denker, Nerds und Technologie-Feinschmecker aller Art. Heute sind diese Labors mehr denn je der Ort, an denen sich alles entscheidet.

Die alte Industrie revanchiert sich auf ihre Weise und holt sich möglichst viel Digital-Know-how ins Haus. Die großen Autohersteller Daimler, BMW und VW wandeln sich zu Mobilitätsdienstleistern, bei denen der Autoverkauf nur noch ein Teil des Geschäfts ausmachen wird. Und aus dem Gasturbinen- und Infrastrukturanbieter Siemens wird mehr und mehr ein Digitalkonzern, die Investitionen sind seit 2014 um 25 Prozent gestiegen. "Wir sind selbst ein Software-Unternehmen geworden", teilt der Konzern mit.

Der Wettlauf führt quer über den Globus. Siemens beschäftigt 33 000 Forscher und 21 000 Software-Ingenieure weltweit, pflegt einen regen Austausch mit Universitäten und Forschungseinrichtungen - und kann dort auch schon mal den Kollegen aus Übersee begegnen. In den USA sucht Amazon schon länger den engen Schulterschluss mit Wissenschaftlern, jetzt ist Deutschland dran. Der weltgrößte Onlinehändler wendet sich in Fragen der Künstlichen Intelligenz unter anderem an die deutsche Max-Planck-Gesellschaft und investiert dafür in ein neues "Research Center" in Tübingen. Ein Thema zurzeit: Die Weiterbildung der Haus- und Hofassistentin Alexa.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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