Weltwirtschaftsforum Davos:Die Nabelschau der Weltverbesserer

Lesezeit: 5 min

Gehasst, missverstanden, belächelt: Am Mittwoch kommender Woche treffen sich die Mächtigen und die Wichtigen aus Wirtschaft, Politik und Medien wieder in Davos.

Nikolaus Piper

Das Weltwirtschaftsforum ist eine durch und durch erstaunliche Einrichtung. Gehasst, belächelt und für tot erklärt, ist das Treffen der Wirtschaftselite im Graubündner Luftkurort Davos so vital wie eh und je.

Vom 24 bis 28 Januar ist Davos wieder der Nabel der Welt. (Foto: Foto: AFP)

Mehr als 2000 Manager, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten kommen zusammen, um sich kluge Referate anzuhören, an Diskussionen teilzunehmen, vor allem aber, um andere wichtige Menschen zu treffen.

Getragen und finanziert wird das Forum von den Mitgliedern, insgesamt 1000 Spitzenunternehmen aus aller Welt. Deren Manager zahlen viel Geld für die Mitgliedschaft, und daher schimpfen sie auch ausgiebig über Davos, über die wolkigen Debattenthemen ebenso wie über den schlechten Service in überteuerten Hotels.

Der Geist von Davos

Und trotzdem kommen sie alle jedes Jahr. Die Erklärung für den Erfolg des Phänomens Davos ist im Grunde ganz einfach: Es gibt ihn tatsächlich, den viel beschworenen "Geist von Davos" - jene besondere Atmosphäre der elitären Toleranz, eine Mischung aus Neugier, Eitelkeit, Geschwätzigkeit und ernsthafter Sorge um die Belange der Welt -, der die Menschen ins Konferenzzentrum zieht.

Man findet eben wenig Gelegenheiten, bei denen die Antreiber und die Getriebenen der Globalisierung in den Chefetagen auf distinguierte Weise mit deren Kritikern zusammenkommen können. Die Chefs der großen Weltkonzerne setzen sich vermutlich nur in Davos mit Leitfiguren des Anti-Globalisierungs-Protests wie dem Nobelpreisträger Josef Stiglitz oder Literaturkritikerin Viviane Forrester auf ein Podium.

Gehobenes Gutmenschentum

Der Geist von Davos spielt eine große Rolle in der Selbstvermarktung des Weltwirtschaftsforums; dessen Motto ist es ja auch, "den Zustand der Welt zu verbessern". Manch ein Davos-Besucher kritisiert dies als gehobenes Gutmenschentum.

Und der eine oder andere zitiert dann den im vorigen Jahr verstorbenen Nobelpreisträger Milton Friedman mit seinem berühmten Satz: "Die soziale Verantwortung der Wirtschaft liegt darin, die Gewinne zu erhöhen." Aber selbst wenn das so sein sollte, dann haben die Chefs doch das Bedürfnis, über den Tag und über das eigene Geschäft hinauszudenken. Und genau dafür ist Davos da.

Das Weltwirtschaftsforum unterstützt junge Führungskräfte in aller Welt, es hilft im Kampf gegen die Korruption, es sorgt sich um das Gesundheitswesen armer Länder und fördert den Dialog zwischen dem Islam und dem Westen.

Zum Geist von Davos gehört auch eine gehörige Portion Optimismus: Man muss die Probleme der Welt ansprechen und analysieren, dann kann man sie auch lösen. Hier merkt man, dass das Forum, obwohl von einem Deutschen in der Schweiz gegründet, eine sehr von Amerikanern geprägte Veranstaltung ist.

Deren pragmatische Zuversicht durchzieht praktisch alle Diskussionsforen. Das zeigt schon eine willkürliche Auswahl aus den Themen dieses Jahres: Wie man die Welle junger Menschen in Indien "managen" kann; wie aus privaten Spendern "soziale Investoren" werden; wie man die notwendigen Talente für die Zukunft ausbildet; wie man die "Kunst, in Kunst zu investieren" lernt, und ähnliches.

Der Davos-Speak

Überhaupt die Sprache: Es gibt so etwas wie Davos-Speak, eine besondere Art und Weise, über die Probleme der Welt geschraubt-optimistisch daherzureden, die sich beim Weltwirtschaftsforum herausgebildet hat.

"Shaping the Global Agenda. The Shifting Power Equation" heißt das Motto des Treffens in diesem Jahr. Es gehört zum Davos-Speak, dass man nicht so genau weiß, was damit gemeint sein könnte. Was zum Beispiel ist eine "Macht-Gleichung"?

Hinter dem Begriff stehe die Überlegung, sagt Jonathan Schmidt, der zuständige Mann beim World Economic Forum, dass sich die Macht in der Welt dramatisch verschoben hat, von den Produzenten zu den Verbrauchern, von den traditionellen Industrieländern nach China und Indien.

So kann man das sehen, entscheidend aber ist, dass das Motto die Überzeugung der Davos-Teilnehmer reflektiert, irgendwie die "globale Agenda", die Tagesordnung der Welt im bevorstehenden Jahr zu prägen. Der Termin der Veranstaltung im Januar, wenn das Jahr noch jung ist, passt zu diesem Anspruch.

Gegründet von einem Deutschen

Und natürlich hat der Geist von Davos etwas mit Politik zu tun. Klaus Schwab, der Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums, hatte das Treffen in Davos 1971 ursprünglich als Managertreffen konzipiert mit dem Ziel, amerikanische Managementmethoden in europäischen Unternehmen bekanntzumachen.

Doch die Begeisterung der Wirtschaftsführer auf dem alten Kontinent hielt sich in Grenzen; das Davoser Treffen wäre wahrscheinlich mangels Interesse längst eingeschlafen, wäre Schwab nicht auf die Idee gekommen, auch Politiker nach Davos einzuladen - im Rückblick ein genialer Schritt: Die Manager kamen, um Politiker zu sehen, die Politiker nutzten die Chance, ihre Botschaften bei wichtigen Leuten ohne Streuverluste in entspannter Atmosphäre loszuwerden. Davos wuchs und wurde 1987 offiziell in World Economic Forum umbenannt.

Lösung politischer Konflikte

In Davos wurden schon politische Konflikte entschärft - etwa der zwischen Griechenland und der Türkei um die Zypern-Frage. Palästinenser-Präsident Jassir Arafat war zu Lebzeiten Stammgast bei Schwab, der israelische Politiker Schimon Peres ist es bis heute. Davos hat zwar keinen Frieden in Nahost gebracht, aber immerhin eine Vorstellung davon, wie es wäre, wenn die handelnden Personen auf vernünftige Weise miteinander redeten.

Immer wieder gab es historische Momente im Kongresszentrum von Davos. Im Januar 1990 zum Beispiel traf Helmut Kohl den damaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow - damals begann man über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt erst zu reden.

Ein Höhepunkt in Sachen Prominenz war das 30. Treffen im Jahr 2000: Da beehrte der amerikanische Präsident Bill Clinton das Forum; seine Frau Hillary war schon im Jahr vorher da gewesen.

In diesem Jahr wird Bundeskanzlerin Angela Merkel das Forum eröffnen. Unter vielen anderen sind auch EU-Handelskommissar Peter Mandelson und die amerikanische Handelsrepräsentantin Susan Schwab da; sie könnten versuchen, am Rande des Treffens einen neuen Versuch zu lancieren, die Liberalisierungsgespräche ("Doha-Runde") in der Welthandelsorganisation neu zu starten. Auch das wäre dann ein typisches Nebenprodukt des Geistes von Davos.

Die Rolle der Medien

Und schließlich spielen die Medien ihre eigene Rolle beim Erfolg von Davos. Eigentlich werden im Forum selbst nur wenige Nachrichten gemacht, jedenfalls im strengen Sinn des Wortes.

Normale Journalisten kommen in die meisten Foren gar nicht hinein; dort ist nur eine begrenzte Auswahl von Medienvertretern (Davos-Speak: "World Media Leaders") zugelassen, und die dürfen keine wörtlichen Zitate bringen. Andererseits ist die Ballung von Prominenz in Davos so groß, dass Fernsehen und Zeitungen das gar nicht ignorieren können.

Wann laufen einem Journalisten schon einmal Josef Ackermann von der Deutschen Bank, Klaus Kleinfeld von Siemens und die Königin Jordaniens gleichzeitig über den Weg, noch dazu ohne den üblichen Schutz durch Pressesprecher und PR-Leute? Viele Firmen und Institutionen nutzen Davos, um am Rande des Treffens eigene Nachrichten zu produzieren. Und so ist der Medienrummel im Laufe der Jahre eher noch größer geworden.

Vor allem aber ist der Geist von Davos nicht vorstellbar ohne die Person seines Gründers Klaus Schwab. Der Wirtschaftsprofessor, der bis 2002 einen Lehrstuhl für Unternehmenspolitik an der Universität Genf hatte, ist bis heute die Seele des Geschäfts.

Nimmermüder Schwab

In diesem Jahr wird Schwab 69 Jahre alt, aber er macht keinerlei Anstalten, sich wirklich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Vor einiger Zeit sprach Schwab einmal mit Thomas Middelhoff, dem heutigen Chef von Karstadt-Quelle, der damals gerade seinen Job an der Spitze von Bertelsmann losgeworden war. Schwab hätte sich Middelhoff gut als seinen Nachfolger vorstellen können, hieß es damals. Doch im Laufe der Gespräche zeigte sich schnell, dass Schwab einen Nachfolger eigentlich nicht braucht.

Sein Talent als Öffentlichkeitsarbeiter bewies Schwab Ende der neunziger Jahre, als Davos ziemlich unvermittelt zum Hassobjekt der Globalisierungskritiker avancierte. Die missverstanden Schwabs Anspruch gründlich und deuteten das Treffen als eine Verschwörung des Neoliberalismus gegen die Interessen der Völker der Welt.

Von Globalisierungsgegnern missverstanden

Allein schon die Exklusivität von Davos ließ vielen die Veranstaltung als "Geheimtreffen" erscheinen. Es gab Demonstrationen, mal mehr, mal weniger friedlich. In der Davoser Hauptstraße gingen Scheiben zu Bruch, Schweizer Soldaten und Polizisten mussten den Kurort wie eine Festung schützen.

Das Fernsehen zeigte hässliche Bilder von Stacheldrahtrollen und gepanzerten Fahrzeugen, und einige Schweizer fragten sich, ob ihnen das "WEF", wie das World Economic Forum bei den Eidgenossen kurz heißt, das alles wert war.

Dann kamen die Anschläge vom 11.September 2001 in Amerika. Klaus Schwab hatte die geniale Idee, die gesamte Veranstaltung im Januar 2002 nach New York zu verpflanzen. Das war ein ehrliches Zeichen der Solidarität, aber es signalisierte auch, nolens volens: Wir können auch anders.

Jedenfalls redet seither niemand mehr davon, das Weltwirtschaftsforum aus Davos auszuladen. Schwab ging den umgekehrten Weg, er holte die Globalisierungskritiker selbst in sein Forum. Deren Beiträge gehören seither auch zum Geist von Davos.

© SZ vom 18.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: