Weltwirtschaft in Angst:Der perfekte Sturm

Lesezeit: 2 min

Düstere Vorzeichen: In den USA taumeln die Banken, in Großbritannien und Spanien kollabieren die Immobilienmärkte. Das Zittern ist groß - und die Welt befürchtet eine Rezession.

Nikolaus Piper

Innerhalb weniger Tage haben sich ein paar Dinge in der Finanzwelt grundstürzend verändert. Die amerikanische Regierung übernimmt die Macht bei den beiden größten Hypothekenbanken des Landes, Fannie Mae und Freddie Mac. Der Vorgang ist de facto, wenn auch nicht formal, eine Verstaatlichung auf Zeit.

Skyline von New York: Die Weltwirtschaft ist von einer Rezession bedroht. (Foto: Foto: AP)

Kaum ist die Erleichterung über diesen Schritt verflogen, kommt der nächste Schock: Die angeschlagene Investmentbank Lehman Brothers verliert an einem einzigen Tag fast die Hälfte ihres Börsenwertes - ein beispielloser Absturz. Aber auch außerhalb des Finanzsektors werden die Zahlen aus den USA immer schlechter. Nach dem unerwarteten Anstieg der Arbeitslosigkeit im August glauben die meisten Ökonomen inzwischen, dass sich das Land - trotz Konjunkturprogramms - in einer Rezession befindet. Die größte Volkswirtschaft der Erde schrumpft.

Alarmierende Nachrichten

Der Rest der Welt ist davon stärker betroffen als bisher geglaubt. Gerade hat die Europäische Kommission ihre Wachstumsprognose für die Eurozone von 1,7 auf magere 1,3 Prozent in diesem Jahr herabgesetzt. Ein zyklischer Abschwung wäre in Europa zwar durchaus normal, nun könnte er sich aber zu Schlimmerem auswachsen.

Es gibt jedenfalls alarmierende Vorzeichen: In Spanien, dessen Immobilienkrise mit der der USA vergleichbar ist, hat die Rezession bereits begonnen, in Italien gehen politische und ökonomische Stagnation Hand in Hand, Großbritannien erlebt den schärfsten Einbruch seit Jahrzehnten, in Deutschland ist das Geschäftsklima so schlecht wie schon lange nicht mehr.

Japan vor einer Rezession

Die Währungsmärkte reflektieren den allgemeinen Pessimismus. Der Euro ist von seinem Höchststand weit entfernt und schien zeitweise frei zu fallen. Die Entwicklung zeigt: Die Anleger rechnen nicht mehr automatisch damit, dass die Dinge in Europa besser laufen als in den Vereinigten Staaten.

Auch Japan könnte vor einer Rezession stehen. Im zweiten Quartal ist die Wirtschaftsleistung um 2,4 Prozent geschrumpft. Selbst in China, bisher Wachstumsmotor der Welt, kühlt die Konjunktur ab. Daraus könnte werden, was man in Amerika einen "perfekten Sturm" nennt, eine Weltrezession, was es zuletzt nach dem ersten Ölschock 1974 und 1975 gab.

Was diesen Abschwung von allen vorherigen unterscheidet, ist das Zusammentreffen der größten Finanzkrise seit den dreißiger Jahren mit einer beispiellosen Rohstoffteuerung. Diese Dimension ist auch Fachleuten erst im Laufe dieses Jahres klargeworden. Inzwischen sind die Preise für Öl und Agrarprodukte wieder eingebrochen, aber auch dies ist ein Symptom für die Krise: Alle rechnen mit sinkender Nachfrage. Im Übrigen ist Öl auch noch bei einem Preis von 100 Dollar für das Fass sehr teuer.

Wahlkampf ignoriert Finanzkrise

In einem Punkt gibt es keinen Zweifel: Es sind die Vereinigten Staaten, die auf dem Weg aus der Krise führen müssen. Dort hat alles begonnen, dort liegt immer noch der Herd der Probleme. Es ist eine gute Nachricht, dass Washington die Verantwortung bei Fannie und Freddie übernommen hat. Wenigstens im US-Finanzministerium regieren Realisten.

Beunruhigend ist, wie wenig die Dimension der Krise im laufenden Wahlkampf eine Rolle spielt. Der Republikaner John McCain, der mit einem durchaus vernünftigen Wirtschaftsprogramm gestartet war, verfällt in Populismus. Er tut so, als könnten neue Öltürme vor Amerikas Küsten die Energieprobleme des Landes lösen. Oder als könne sich der hochverschuldete Staat weitere Steuersenkungen leisten.

Tatsächlich wird sich das Budgetdefizit verdoppeln, die Rettung von Fannie und Freddie bürdet dem Haushalt zusätzliche Risiken auf, die sich leicht auf 200 Milliarden Dollar und mehr addieren können. Zudem dürfte sich McCain, ebenso wie sein Konkurrent Barack Obama, nach einem Wahlsieg gezwungen sehen, noch einmal ein Konjunkturprogramm aufzulegen. Obama seinerseits nimmt in seinen Reden den Ernst der Lage und den Wunsch vieler Amerikaner nach Veränderung auf. Unklar ist, wie genau er mit den Folgen der Wirtschaftskrise umgehen will.

© SZ vom 11.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: