Weinherstellung:Eichenspäne statt Barrique-Fässer

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Frankreichs Weinproduzenten stecken in der Krise. Die Politik hat einen umstrittenen Plan vorgelegt, der den Bruch mit Tabus erzwingt.

Michael Kläsgen

Frédéric Glangetas grinst verlegen, als er die Tür zum Allerheiligsten des Weingutes aufschließt - als würde er etwas Verbotenes tun. Nur wenigen Mitarbeitern ist der Zutritt in das weiß gekachelte Labor gewährt.

Winzer in Heilbronn: Auch in Deutschland könnten die umstrittenen Chips-Weine demnächst hergestelllt werden. (Foto: Foto: dpa)

Heuchelei um Holzchips

Denn im Schrank links vom Eingang liegen auf Regalen verteilt jene Tüten, die den Raum für die Weinbauern im Umland zu einer Giftküche machen und einen "Weinkrieg" ausgelöst haben, wie die Regionalzeitung Midi Libre schrieb. Die Tüten sind mit hell-, dunkel- und rötlich-braunem Inhalt gefüllt. Mal ist dieser fein gemahlen wie Kaffeepulver, mal geraspelt wie Sägespäne, mal klobig wie Schokoriegel.

French oak" steht englisch darauf. Es handelt sich um getoastete Eichenchips aus Frankreich, die nur für den Export bestimmt sind. In Frankreich, dem immer noch mit Abstand größten Weinexporteur in der Welt, sind die im Vergleich zu Eichenfässern wesentlich günstigeren Holzsplitter trotz der sich seit Jahren zuspitzenden Wein-Krise verpönt.

Offiziell darf man die aromatisierenden Chips, die man in überdimensionalen Teebeuteln in Weintanks legt, in Europa nur für den "experimentellen Gebrauch" nutzen. Daran hält sich Glangetas selbstverständlich auch. Der Produktionschef der Domaine de La Baume bei Béziers im südfranzösischen Languedoc-Roussillon ist aber der einzige von vielen kontaktierten Weinproduzenten, der sich dazu bekennt, "Wein auf die australische Art" herzustellen.

Das heißt, das Getränk dem Massengeschmack anzupassen. Noch gilt Glangetas deswegen in Südfrankreich als Paria. Doch schon bald könnte er zur Avantgarde zählen. Denn mit dem Abkommen, das die USA und die EU im Dezember 2005 schlossen und das im März in Kraft trat, darf sich die Weinherstellung in Europa grundlegend wandeln. Eichenchips oder auch Eichenhölzer in Balkengröße, in den USA, Australien und Südafrika schon seit Jahrzehnten in Gebrauch, dürfen nun auch in Europa verwendet werden.

Angst vor dem Dammbruch

Das krisengeschüttelte Weinland Frankreich will die Aroma-Splitter als eines der ersten Länder in Europa "in Kürze" erlauben, kündigte Landwirtschaftsminister Dominique Bussereau vorige Woche an. Für Frankreich sind die Holzspäne der wichtigste Teil eines millionenschweren Aktionsplans zu Rettung des gebeutelten Wirtschaftszweiges, an dem 600.000 Arbeitsplätze hängen.

Hinter den Kulissen wird derzeit nur noch über die Frage gestritten, für welche Art von Weinen die Chips zugelassen werden sollen. Nur für Land- und Tafelweine oder auch für Qualitätsweine der Appellation d'Origine Contrôlée (AOC)?Eine heftig umstrittene Glaubensfrage, könnte man meinen.

Aber die Branche liegt so danieder, dass selbst Christian Paly, Verbandschef der AOC-Weinregionen, meint: "Ausgeschlossen vom Gebrauch sollen nur solche Regionen werden, die es sich selber verbieten."

Ein schönes Glas Rotwein ist Genuss - auch, wenn der Traubensaft nicht mehr nach Trauben schmeckt, sondern nach Holzchips? (Foto: Foto: AP)

Den Boden schmecken

Der Aktivist, Buchautor und Winzer Pascal Frissant fürchtet mit der Erlaubnis, auch wenn sie nur für Landweine kommt, einen Dammbruch. "Damit öffnet man die Büchse der Pandora", sagt der Weinanbauspezialist der alternativen Bauernvereinigung Confédération Paysanne. Er betreibt sein eigenes Weingut Château de Coupe-Roses bei Minerve nur 20 Kilometer von Glangetas' La Baume entfernt.

Beim Anbau aber trennen beide Lichtjahre. Mit schwerem Midi-Akzent erklärt der 52-Jährige, dass das Abkommen Tür und Tor für andere Produktionsmethoden der "Neuen Welt" öffne: den Zusatz von Wasser oder Zuckerwasser und die "Fraktionierung", das Zerlegen des Weins in seine Bestandteile Alkohol, Aroma und Wasser und seine anschließende dem Massengeschmack angepasste Wiederaufbereitung.

Frissant verzieht bei diesen Worten das Gesicht. "Wir wollen den Wein als naturbelassenes und kunsthandwerkliches Getränk bewahren" , fügt er hinzu und wiederholt seinen Lieblingsbegriff: "Terroir". Wörtlich bedeutet das "Boden", meint aber das komplexe Zusammenspiel von menschlichen und natürlichen Kräften bei der Weinzubereitung.

"Man muss dem Wein schon anschmecken, auf welchem Boden er gewachsen ist." Beim "Coca-Cola-Wein", wie Frissant den auf "australische Art" gemachten Wein nennt, gehe das nicht. Der Unterschied zwischen beiden Anbauweisen ist schon den Weinhängen anzusehen. Glangetas hat horizontal Drähte gespannt, an denen entlang sich die Äste der Rebstöcke ausdehnen, damit schneller geerntet werden kann.

Und am Boden wächst lichtes Grün, womit die Wasserzufuhr reguliert und die Stabilität der Rebstöcke gewährt werden soll. Frissants Weinberg dagegen hat keine Drähte und kein Grün, sondern wirkt naturbelassen und vergleichsweise wild. Die Verbraucher in Europa haben jedoch längst entschieden, welcher Wein ihnen lieber ist.

Während etwa Bordeaux-Wein in den vergangenen fünf Jahren ein Drittel an Absatz in Deutschland einbüßte, gewannen die großen Produzenten aus Übersee stetig Marktanteile in der Welt. Frankreichs Winzer stürzte das in die tiefste Krise seit 100 Jahren. 1907 zwangen Massenproteste im Languedoc-Roussillon die Regierung in Paris, Truppen in den Süden zu schicken.

Heute schickt sie statt der Armee Geld. "Der Ärger ist groß und die Menschen sind verzweifelt", sagt Jean Huillet, Verbandschef der französischen Landwein-Produzenten, "die Lage ist exakt mit 1907 vergleichbar."

Aufgebrachte Winzer kippen Müll vor Discount-Ketten und belagern Landwirtschaftskammern. Im März vergangenen Jahres verübte ein geheimes Aktionskommando einen Sprengstoffanschlag auf das ihnen verhasste Weingut La Baume. Die Holztür zum Depot zersplitterte, Balken barsten und das Dach litt Schaden. "Letzte Warnung", hatten die Attentäter auf eine Mauer geschrieben.

Heute sind keine Spuren des Anschlags mehr zu sehen. Glangetas kann über solcherlei Militanz nur den Kopf schütteln. "Manche müssen allerdings wirklich um ihre Existenz fürchten", sagt er und zeigt Verständnis. Die Einkommen der Winzer gingen 2005 um mehr als ein Drittel zurück. Nicht nur der Export sank, auch in Frankreich halbierte sich der Weinkonsum innerhalb von 40 Jahren annähernd.

Die Subventionskürzungen im Zuge der EU-Agrarreform taten das Ihre. Am meisten aber schadete die Überproduktion den Preisen und damit den Einkommen. Zum Aktionsprogramm von Landwirtschaftsminister Bussereau gehört deswegen auch, massenweise Weinstöcke aus der Erde zu reißen und überschüssigen Wein zu vernichten.

Notfallplan für den Bordeaux

Am härtesten trifft diese Maßnahme die größte französische AOC-Region Bordeaux. Dort entschied der Winzerverband am vergangenen Dienstag, ein Drittel des unverkauften Weins, insgesamt 500000 Hektoliter, zu reinem Alkohol zu destillieren und acht Prozent der gesamten Anbaufläche zu stutzen. Wichtiger aber noch:

Der Notplan der Regierung sieht vor, demnächst einen Landwein Bordeaux aus der Taufe zu heben. Christian Delpeuch, Chef des Bordeaux-Weinverbandes, hält diese Schritte für "historisch". "Wenn man Ihnen jahrzehntelang erzählt, dass Sie die besten Weine der Welt haben, ist das schwierig zu akzeptieren", sagt er.

Manche Bordeaux-Winzer tun sich jetzt zusammen, um gemeinsam Landwein zu produzieren und so ihr Überleben zu sichern. Während sich die Immobilienpreise in Frankreich in zehn Jahren verdoppelten, halbierten sich die Preise für manche Weingüter. Viele Winzer finden keine Nachfolger. Glantegas will dieses "Drama" lang vorausgesehen haben. "Die Arroganz der Winzer hat den französischen Wein in die Krise geführt", sagt er. "Die glaubten, der Verbraucher müsste sich dem Wein anpassen und nicht der Wein dem Verbraucher."

So wie in Bordeaux demnächst klar zwischen Qualitäts- und Massenwein getrennt würde, meint er, spalte sich der Weinmarkt überall in der Welt in eine Zweiklassengesellschaft. Sein Arbeitgeber, der elsässische Großhändler Les Grands Chais de France (LGCF), zu dem das Weingut La Baume gehört, stellte sich früh auf diese Entwicklung ein. Der erst vor 25 Jahren gegründete Familienbetrieb bestreitet mittlerweile ein Fünftel aller Weinausfuhren des Landes.

Für diesen Erfolg ist maßgeblich Vertriebschef Bruno Kessler verantwortlich. "Wir haben den Geschmack der Weine gezielt auf einzelne Exportländer ausgerichtet", erklärt er. "In Großbritannien laufen die runden, fruchtigen Weine besser, in den Niederlanden wird ein eher kräftiger Wein bevorzugt. In Deutschland mag man keinen allzu trockenen Wein." Außerdem ahmten Elsässer die Produzenten aus Übersee nach, klebten bunte Etiketten auf die Flaschen und hoben sich so vom sonst eher konservativen Stil ab.

"Ein kleiner Verhandlungsfehler"

Und sie stellten, wie in Übersee üblich, Rebsorten wie Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Syrah in den Vordergrund. Die Verkaufsstrategie hat sich die Region Languedoc-Roussillon inzwischen für ihr Export-Marketing abgeguckt. Sie rief die Marke "Sud de France/South of France" ins Leben, um so verlorenes Terrain im Ausland zurückzugewinnen. "Die Appellation ist für den Verbraucher schwierig zu verstehen", sagt Kessler, "deswegen wird jetzt mit der Marke geworben."

Gemeinsam mit dem Verwaltungsbeamten aus dem Landwirtschaftsministerium hat er den Club "Sans Interdit" (Ohne Verbot) gegründet, dem sich sofort große Konzerne wie Pernot-Ricard und Moët Hennessy anschlossen. Ziel ist es, weitere Marken mit Weltgeltung wie "Champagner" zu schaffen. Denn im Gegensatz zum französischen Wein steigert der Schaumwein aus Reims, einmal abgesehen von Deutschland, von Jahr zu Jahr seinen Absatz im Ausland.

"Viel erreichten die Europäer bei den Verhandlungen mit den USA zwar nicht", sagt Glangetas, "aber immerhin setzten sie durch, Herkunftsbezeichnungen wie Champagner, Porto oder Sherry zu schützen." Er will auch wissen, dass Frankreich in letzter Minute Italien vorschickte, um den Gebrauch der Holzchips in Europa zu ermöglichen.

"Zum Glück ist es mit dieser Heuchelei bald vorbei", sagt er. "Das Absurdeste ist aber, dass Eichenchips in Frankreich ein Tabu sind, obwohl die französischen Eichenchips-Hersteller Weltmarktführer sind." Wenn es nach dem Abkommen geht, muss deren Gebrauch auf den Flaschen nicht deklariert werden, was nicht nur Verbraucherschützer bemängeln.

"Das war ein klarer Verhandlungsfehler", sagt Sommelier Philippe Faure-Brac. Der Mann mit dem wallenden weißen Haar und Vollbart wurde zu den besten Weinkennern der Welt gewählt und betreibt in Paris das Bistrot du Sommelier. Er sitzt in seinem Bistrot und sagt achselzuckend: "Um ehrlich zu sein, auch ich kann den Unterschied nicht schmecken, ob ein Wein im Barrique lag oder mit Chips aromatisiert wurde. Aber es wäre doch das Mindeste, einen auf dem Etikett darüber zu informieren."

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