Wasserstoff aus erneuerbaren Energien:Zapfstelle am Hof

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Der Weg ins grüne Wasserstoff­zeitalter ist weit und gleicht einer Jahrhundert­aufgabe. Es mangelt an Ökostrom für die Herstellung. Eine Lösung böte das gut ausgebaute Netz von Biogasanlagen.

Von Joachim Becker

Und es hat Wumms gemacht: Mit neun Milliarden Euro soll Deutschland zur weltweiten Nummer eins bei Wasserstofftechnologien werden. "Die Zeit für Wasserstoff und für die nötigen Technologien ist reif", sagt Peter Altmaier. Der Bundeswirtschaftsminister spricht von einem Schlüsselrohstoff der Energiewende. Bereits von 2006 bis 2016 ermöglichte das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) 700 Millionen Euro an Fördermitteln. Parallel wurde eine breite Forschungslandschaft aufgebaut. Mittlerweile ist Deutschland bei Innovationen rund um Wasserstoff europaweit führend und liegt mit 17 238 Brennstoffzellen-Patenten weltweit auf dem dritten Platz nach Japan und den USA. Besonders China gilt als riesiger Zukunftsmarkt für solche Technologien. Da will Deutschland als Exportweltmeister mitmischen, obwohl es mit dem Mercedes GLC F-Cell nur ein einziges Wasserstofffahrzeug aus heimischer Produktion gibt. Und das läuft demnächst aus.

Viel Zukunftsmusik also. Die betriebswirtschaftliche Gegenwart sieht bescheiden aus. Sowohl das Wasserstoffgas (H₂) als auch die Fördermilliarden sind leicht flüchtig. Deutschland kann mit 84 Wasserstofftankstellen zwar mehr als doppelt so viele vorweisen wie der Rest Europas. Angesichts einer Gesamtflotte von etwa 500 Wasserstofffahrzeugen sind die Zapfstellen aber weitgehend verwaist. Und wenn, dann wird an den Hochdrucksäulen kein nachhaltig erzeugtes Gas, sondern H₂ aus der Erdgas-Umwandlung getankt. Noch gibt es kaum Elektrolyseanlagen, die Wasserstoff mittels Strom aus Wind und Sonne herstellen. Diesen grünen Wasserstoff bis zum Jahr 2030 zu wettbewerbsfähigen Preisen zu erzeugen, wird genauso zum Kraftakt wie der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur für die Verteilung.

Die Abnabelung vom billigen fossilen Öl wird zur Jahrhundertaufgabe. Für eine ökologische Wasserstoffwirtschaft braucht es nicht nur massenhaft neue Windräder und Elektrolyseure. Am Ende der Pipeline müssen auch zahlungskräftige Abnehmer stehen, denn die Herstellung von grünem Wasserstoff ist energieaufwendig und daher teuer. Von 100 Kilowattstunden (kWh) erneuerbarem Strom bleiben nach der Elektrolyse nur noch zwei Drittel in Form von Wasserstoff übrig. Auf dem Weg über die Brennstoffzelle bis ans Rad geht ein weiteres Drittel verloren. Die schlechte Energieeffizienz spreche gegen eine Wasserstoffnutzung in Fahrzeugen, meinen Umweltverbände. Sie wollen den Energieträger stattdessen in der Luftfahrt oder in der Industrie, etwa in der Stahlproduktion nutzen. "Grüner Wasserstoff hat in Pkw und Heizungen nichts zu suchen", sagt Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung der Deutschen Umwelthilfe.

Es stimmt schon, dass die Stahlwerke nur mit grünem Wasserstoff anstelle von Koks ihre Klimaziele erreichen können. Für eine klimaneutrale Produktion benötigen sie bis 2050 mehr von dem raren Stoff, als bisher in ganz Deutschland (aus Erdgas) hergestellt wird. Doch gerade dieser Mega-Abnehmer steht weltweit unter extremem Preisdruck: Hochöfen wollen mit billiger Energie gefüttert werden, sonst verschwinden sie in Dritte-Welt-Ländern - wo die Folgekosten des CO₂-Ausstoßes nicht eingepreist werden. Daher könnte der Verkehr doch noch eine zentrale Rolle spielen: Auto- und Lkw-Hersteller haben größte Schwierigkeiten, ihre CO₂-Ziele in Europa bis 2030 und darüber hinaus zu erreichen. Die drohenden Strafen in Milliardenhöhe schaffen den nötigen Druck, um in die Entwicklung von Brennstoffzellenfahrzeugen zu investieren. Die Autohersteller spekulieren auch auf Flüssigkraftstoffe auf Wasserstoffbasis (Power-to-liquid), um damit die Klimabilanz ihrer Verbrenner aufzuhübschen. Die benötigten Wasserstoffmengen stellen selbst den Bedarf der Stahlindustrie in den Schatten.

Mit einem neu entwickelten Verfahren erzeugen die Erfinder Joachim Wünning senior und junior grünen Wasserstoff. (Foto: Karin Rebstock/DBU)

Der Grundsatzstreit über die Verwendung des grünen Energieträgers hat den Start der "Nationalen Wasserstoffstrategie" immer wieder verzögert. Trotz aller Fortschritte stößt die reine Batteriemobilität bei Bussen, Müllautos, Fernverkehrs-Lkw aber auch bei leistungsstarken Pkw an ihre Grenzen. Je höher die Anforderungen an Nutzlast, Reichweite oder an den Klimakomfort werden, desto mehr Energiedichte im Tank ist gefragt. Wasserstoff ist hier im Vergleich zu Akkus und zu konventionellen Kraftstoffen im Vorteil, erst recht, wenn er tiefkalt und flüssig gespeichert wird. Auch als Druckgas mit 700 bar sind reale Reichweiten von mehr als 500 Kilometer und kurze Tankzeiten kein Problem: ein klares Plus beim Transport von Gütern und Personen.

Doch damit ist das Versorgungsproblem beim grünen Wasserstoff längst nicht gelöst: Planung und Bau von großindustriellen Anlagen werden viele Jahre dauern, da denken Experten eher in Dekaden. Das Projekt NortH2 vor der Küste Nordhollands wird beispielsweise erst 2027 in Betrieb gehen: Dieser Megawindpark soll große Mengen an erneuerbarer Energie liefern, die von einem Elektrolyseur in Eemshaven zu grünem Wasserstoff verarbeitet, gespeichert und ins Gasnetz eingespeist wird. Innerhalb von zehn Jahren soll der Windpark zwischen drei und vier Gigawatt Strom liefern. Bis 2040 sind zehn Gigawatt geplant, pro Jahr sollen rund 0,8 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert werden. "Gemeinsam mit dem niederländischen Gasnetzbetreiber Gasunie und dem Hafen Groningen Seaports treten wir an, um die Niederlande weltweit an die Spitze der Wasserstoffindustrie zu bringen", sagte Marjan van Loon, die Chefin von Shell-Niederlande, Ende Februar. "Wir brauchen mehr von solchen Großprojekten, um die Kosten zu reduzieren."

Ambitionierter sind auch die selbsternannten Weltmarktführer aus Deutschland nicht. Für 2035 peilt die Bundesregierung lediglich eine Elektrolyseleistung von zehn Gigawatt (GW) an. Im absehbaren Preiswettbewerb hat die Bundesrepublik mit vielen relativ kleinen Windanlagen keinen Vorsprung. Förderlicher könnte der Föderalismus an anderer Stelle sein: Hierzulande gibt es circa 9500 Biogasanlagen, die im Durchschnitt eine elektrische Leistung von 400 Kilowatt erzeugen können. Dies entspricht einer stündlichen Wasserstoffproduktion von etwa 18 Kilogramm und würde ausreichen, um etwa 18 Brennstoffzellenbusse zu betreiben. Vor allem Speditionen und Kommunen, die hohe Subventionen für die Anschaffung von Wasserstofffahrzeugen erhalten, könnten von der kurzfristig verfügbaren, dezentralen Wasserstofferzeugung profitieren: Weil weite Transportstrecken entfallen, wird der Biowasserstoff direkt ab Hof ein bis drei Euro günstiger.

Mit vergorenen Reststoffen statt Wasser lässt sich einiges an Energie und Kosten sparen. Grob gesagt, verdoppelt sich durch die Verwendung von Biogas die Wasserstoffausbeute bei gleichem Energieeinsatz. Das funktioniert ähnlich wie bei der Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas - ohne dass überschüssiges CO₂ entsteht. Viel Erfahrung mit der Verbindung von Ökonomie und Ökologie haben Joachim A. und Joachim G. Wünning. Der fast 90 Jahre alte Vater ist Erfinder und ein Pionier bei effizienten Hochtemperaturprozessen. Für die Entwicklung der flammlosen Verbrennung (Flox) zum Beispiel in der Herstellung von Stahl, Glas oder in der chemischen Industrie erhielt er 2011 zusammen mit seinem Sohn den Deutschen Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt (DBU). Nach mehr als 100 Patenten wollen Vater und Sohn Wünning nun den Start in die Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.

Energie sparen und Emissionen mindern sind auch bei der Herstellung von grünem Wasserstoff entscheidend. Für gewöhnlich findet die Dampfumwandlung in großindustriellen Anlagen statt. Die Wünnings können die Verfahrenstechnik jedoch ohne Wirkungsgradverluste auf die Größe einer Hundehütte schrumpfen. "Wir stellen uns vor, dass man eine Biogasanlage zu einer Wasserstofftankstelle aufrüstet und im gleichen Atemzug durch eine Fahrzeugflotte eine Mindestabnahmemenge garantiert - zum Beispiel über Brennstoffzellenbusse", sagt Joachim G. Wünning: "Wenn die Anlage kontinuierlich läuft und Wasserstoff verkauft, sollte man das derzeitige Preisniveau von 9,50 Euro pro Kilogramm erreichen." Der Wasserstoff aus Biogas könne ein Wegbereiter des Elektrolyse-Wasserstoffs sein, indem er den Markthochlauf mit allen Akteuren vorantreibt. "Vor allem ist dieses Potenzial sofort verfügbar", sagt Joachim Wünning junior. "Die Idee hinter der Elektrolyse ist ja überschüssiger Strom aus nachhaltiger Produktion. Der wird aber erst in zehn bis 15 Jahren konstant anfallen."

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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