Warnung aus der Wissenschaft:"Es herrscht extremer Wettbewerb"

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Spricht vom „Kalten Krieg des 21. Jahrhunderts“: Frankreichs Star-Mathematiker und Präsidenten-Berater Cédric Villani. (Foto: Joel Saget/AFP)

Spitzenforscher aus mehreren Staaten warnen: Europa könnte bei der künstlichen Intelligenz von den USA und China abgehängt werden. Sie fordern in einem Manifest stärkeres Engagement der Politik.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Wallendes rotes Seidentuch um den Hals, wuchtige Käfer-Brosche am Revers, schulterlanges Haar und Taschenuhrkette an der Weste: Cédric Villani sieht aus wie ein Besucher aus der Vergangenheit. Doch der 45-jährige Mathematik-Professor spricht in der Stuttgarter Carl-Benz-Arena von der Zukunft. Der Berater des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron erzählt den 2000 Gästen des baden-württembergischen Digitalgipfels, wohin die Reise geht beim Zukunftsthema schlechthin, der künstlichen Intelligenz, kurz KI genannt. "Es herrscht extremer Wettbewerb, die Giganten der Branche investieren in die Forscher Monstersummen", sagt Villani. Er bezeichnet das als "beängstigend" und spricht vom "Kalten Krieg des 21. Jahrhunderts", in dem Europa "Probleme bekommen könnte".

"Die Gefahr wächst, dass wir den Anschluss verlieren."

Villani ist Preisträger der Fields-Medaille, die gerne als Nobelpreis der Mathematik bezeichnet wird. Er ist Autor der französischen KI-Strategie und einer der prominentesten Vertreter der europäischen KI-Szene. Dass er in Stuttgart auftritt, ist kein Zufall: Das Land der Auto- und Maschinenbauer gibt beim Thema künstliche Intelligenz derzeit mächtig Gas. Erst wenige Tage vor dem Digitalgipfel empfing Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Neuen Schloss in Stuttgart 20 namhafte KI-Forscher aus Europa und angrenzenden Ländern. Ziel des Treffens im Marmorsaal: ein Plan gegen die immer (über-)mächtiger wirkende Konkurrenz aus den USA und China. "Wir müssen etwas tun, das ist völlig klar", sagte Kretschmann in seiner Auftaktrede. "Wir müssen uns so aufstellen, dass wir auf Augenhöhe sind, besser noch die Nase vorne haben." Damit sprach er den Wissenschaftlern offenbar aus dem Herzen. Wenige Tage nach dem Abendessen im Schloss veröffentlichten sie unter dem Dach der Initiative Ellis (Europäisches Labor für lernende und intelligente Systeme) einen Aufruf an die europäischen Politiker. Ihre Forderung: Es brauche gemeinsame Anstrengungen der Politik, um die Forschung in Europa so zu stärken, dass sie bestehen kann gegen die reichen und aggressiven Wettbewerber aus Nordamerika und Fernost. Zentraler Wunsch der Professoren: ein Netz an bestens ausgestatteten Instituten, die bei der Ausbildung und der Forschung zusammenarbeiten.

Vorbild wäre das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL), das von 20 europäischen Staaten sowie von Israel, Australien und Argentinien getragen wird. "Es müsste die Entscheidung der Politik kommen, dass ihr unsere Spitzenforschung wichtig ist", fordert Bernhard Schölkopf, einer der Chefs des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und Mitinitiator des Netzwerks Ellis, das auch von der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und von der britischem Royal Society unterstützt wird. "Wir Europäer sollten bei der KI eine Hauptrolle spielen", sagt Schölkopf, "aber wir haben das Gefühl, die Gefahr wächst, dass wir den Anschluss verlieren." Wird das Kürzel KI in Europa demnächst nur noch für "Kränkelnde Intelligenz" stehen?

Diese Angst ist auch Thema in der Carl-Benz-Arena. "Von den weltweiten Investitionen in KI landen nur zehn Prozent in Europa", berichtet Cédric Villani. In China stecke alleine die Stadt Shanghai umgerechnete 15 Milliarden Euro in die KI-Forschung. Und in Deutschland wird über drei Milliarden diskutiert, die eigentlich bis 2025 bundesweit verteilt werden sollten - und jetzt nach Angaben der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) aus dem Finanzplan verschwunden sind. "Ich fordere die Bundesregierung auf, die versprochene Summe freizugeben", ruft sie in die Arena. Auch Kretschmann äußerte im Schloss Kritik Richtung Berlin: "Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Bund hier auf der Bremse steht." Europa brauche Spitzenlabore mit exzellenter Ausstattung und internationalem Gehaltsniveau. "Nur so bekommen wir die Spitzenleute, die wir brauchen." Im Schloss ist wie in der Carl-Benz-Arena immer wieder von einem deutsch-französischen KI-Zentrum die Rede. Doch ob, wann und wo dieses Projekt angeschoben wird, ist noch offen.

In ihrem Manifest fordern Schölkopf und Kollegen "dringend" von allen Staaten Europas "signifikante" Erhöhungen der Investitionen - vor allem in Förderprogramme für wissenschaftlichen Nachwuchs und in die Infrastruktur. Die Forschung in Europa sei zwar noch "exzellent", aber alleine die Speicher-Kapazität entwickle sich zu einem "limitierenden Faktor" für maschinelles Lernen. Cédric Villani ist nicht Mitglied der Ellis-Initiative, unterstützt das Vorhaben aber: "Facebook und Google fordern uns heraus, es ist an uns, unseren Talenten die Perspektiven zu geben, damit sie in Europa bleiben."

Auf dem Digitalgipfel tummelt sich auch Jürgen Schmidhuber, Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz, IDSIA. "Die nächste Welle der KI wird noch viel größer werden", prophezeit der Professor. Bislang werde KI fast nur im Marketing breit angewendet, das mache gerade einmal zwei Prozent der Weltwirtschaft aus. In anderen Bereichen, etwa in der Produktion oder in der Gesundheitsindustrie, stehe man dagegen erst am Anfang. Und in diesen Branchen sei Süddeutschland gut aufgestellt. Deshalb empfiehlt Schmidhuber der Wirtschaftsministerin, 15 Milliarden Euro in die künstliche Intelligenz zu investieren. Da lacht die Politikerin und betont, sie könne nicht so viel Geld ausgeben wie der chinesische Staat. Schmidhuber entgegnet trocken: "Wenn sie 15 Milliarden investieren, werden 150 Milliarden zurückkommen."

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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