Wahl eines Kritikers:Hobbyboxer in der Handelskammer

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Der Niederbayer Tobias Bergmann wird Präsident einer urhanseatischen Institution. Und dort will er vieles anders machen als seine Vorgänger, so viel ist schon klar.

Von Angelika Slavik, Hamburg

Neulich war Tobias Bergmann bei einer Veranstaltung in Hamburg. Er wird oft eingeladen in diesen Tagen. Der Moderator, der den Gast vorstellte, nannte Bergmann einen "Mann aus der Oberpfalz". Bergmann, 45 Jahre alt, aber kommt aus Langquaid, das liegt zwar nur 30 Kilometer von Regensburg entfernt, ist aber in Niederbayern. "Natürlich habe ich ihn korrigiert", sagt Bergmann. Aber der Moderator bestand darauf, er habe sich das auf der Karte extra angesehen: Oberpfalz. "Dann haben wir eine halbe Stunde lang über bayerische Regierungsbezirke diskutiert", sagt Bergmann. "Das kann man hier oben natürlich nicht machen, die Leute fragen dann: Wer ist der verrückte Bayer, und wovon redet der? Da muss ich wirklich noch besser werden."

Wer ist der verrückte Bayer, das haben sich in den vergangenen Wochen noch ganz andere Leute gefragt, zum Beispiel die Funktionäre der Hamburger Handelskammer. Denn Bergmann ist das Gesicht des Bündnisses "Die Kammer sind Wir!", das bei den Handelskammerwahlen unlängst einen spektakulären Sieg errungen hatte. 55 der 58 Sitze im Kammerplenum gehören nun Bergmanns Bündnis, im Mai wird er zum neuen Präsidenten der Kammer gewählt werden. In den vergangenen drei Jahren saß die Gruppe nur mit zwölf Leuten in dem Gremium. Schon da trieben die selbsternannten Rebellen das Establishment vor sich her - auf Druck des Bündnisses, das vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmern getragen wird, musste die Kammer etwa erstmals das Gehalt ihres Hauptgeschäftsführers Hans-Jörg Schmidt-Trenz offenlegen. Dass der jährlich eine halbe Million Euro verdient, kam bei vielen Mitgliedern gar nicht gut an. Und es verschaffte dem Kampf um die Vorherrschaft in der Handelskammer zusätzliche Aufmerksamkeit. Für noch mehr Aufregung als das Gehalt des Geschäftsführers sorgte allerdings die zentrale Forderung von Bergmanns Wahlbündnis: das Ende der Zwangsgebühren.

Die schöne Hamburger Speicherstadt ist weltbekannt, berühmt gemacht durch die Händler der Hansestadt. Nun erschüttert ein Rebell die Handelskammer. (Foto: Stefan Kunert/picture alliance)

40 Millionen Euro sammelt die Hamburger Handelskammer jährlich von ihren Mitgliedern ein. Bergmann findet das undemokratisch. "Wenn die Beiträge ohnehin reinkommen, dann ist das für die Leistungsorientierung nicht gerade förderlich", sagt er. "So eine Konstruktion fördert Ineffizienz." Die Kammer müsse sich so aufstellen, dass Unternehmen freiwillig Beiträge leisteten, weil sie mit der Arbeit der Institution zufrieden seien.

Die Aussicht auf das Ende der Zwangsbeiträge kam vor allem bei den kleineren Unternehmen gut an, die Wahlbeteiligung verdoppelte sich im Vergleich zur vorigen Abstimmung. Doch die Beiträge machen bisher etwa 80 Prozent des Gesamtbudgets der Kammer aus - wie soll die ohne dieses Geld zurechtkommen? "Die Kammer wird künftig sicher deutlich weniger Geld zur Verfügung haben als bisher", sagt Bergmann. "Das macht aber nichts, wenn sie kostenbewusster und vor allem effizienter arbeitet." Die Verschwendung gebe es bislang im Großen, wie beim Gehalt des Geschäftsführers, aber auch im Kleinen: "Wenn man für irgendeine Funktion in der Kammer kandidiert und nicht gewählt wird, bekommt man zum Trost eine Flasche Wein. Die Flasche Wein kostet 70 Euro. Muss das sein?" Um zu verstehen, welche Bedeutung die Handelskammer in Hamburg hat, hilft es vielleicht zu wissen, dass es zwischen dem Rathaus und der Kammer einen Verbindungsgang gibt. Die enge Kooperation zwischen der Wirtschaft und der Politik gehört hier seit jeher zum guten Ton, die Interessen der Unternehmer werden fast selbstverständlich mit jenen der Stadt gleichgesetzt. Ob der Verbindungsgang offen oder geschlossen ist, kann nur auf einer Seite gesteuert werden: auf der der Handelskammer.

Wer immer nur nobel und zurückhaltend sei, bewirke nichts

In dieser Szene muss sich der Unternehmensberater Bergmann schon seit Jahren anhören, sein Auftreten sei "unhanseatisch". Das nerve ihn schon, sagt Bergmann, schließlich meinten die Kritiker damit ja nicht seine Sprachfärbung. "Die tun dann so, als gingen mir diese als typisch hanseatisch empfundenen Tugenden ab", sagt er. Aber man könne nicht immer nur nobel und zurückhaltend sein, sonst ändere sich ja nichts. Und immerhin sei es gelungen, sein Wahlbündnis nicht nur bei den linken Kleinunternehmern im Hamburger Schanzenviertel populär zu machen. Auch von Teilen der traditionsbewussten Wirtschaft habe es viel Unterstützung gegeben. Die Reeder zum Beispiel seien seinen Vorschlägen gegenüber sehr offen.

Der Unternehmer Tobias Bergmann steht für das Bündnis "Die Kammer sind Wir!", das bei den Handelskammerwahlen gerade eine spektakuläre Mehrheit gewonnen hat. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Bergmann, seit ein paar Monaten Hobbyboxer, arbeitet mit einer kurzen Unterbrechung seit dem Jahr 2000 in Hamburg. Erst als Angestellter bei einem dänischen Beratungsunternehmen, später gründete er seinen eigenen Laden. Der heißt, das ist nicht ohne Ironie, "Nordlicht Management Consultants". Künftig werde er drei Tage in der Woche dort arbeiten, die anderen zwei Tage der Aufgabe als Präsident der Handelskammer nachkommen. Drei Jahre hat Bergmann nun Zeit zu beweisen, dass eine Interessenvertretung ohne Zwangsbeiträge funktionieren kann. Mit welchen Veränderungen das konkret passieren soll, jenseits von billigerem Wein, lässt er noch offen. Die Frage nach einer Verkleinerung der Mitarbeiterzahl steht im Raum, außerdem will Bergmann einen Geschäftsführer, der ein Jahresgehalt von 150 000 Euro akzeptiert. Der gut dotierte Vertrag des amtierenden läuft allerdings noch bis 2019. Man werde das Gespräch suchen, sagt Bergmann. Schließlich brauche man in dieser Position jemanden, der den Neuanfang glaubwürdig verkörpere.

Bergmann ist der Sohn des ehemaligen SPD-Bürgermeisters von Langquaid, selbst ist er seit früher Jugend Mitglied der Sozialdemokraten. Eine Karriere in der Parteipolitik sei aber nichts für ihn: "Um in einer Partei etwas zu werden, muss man wahnsinnig viel Zeit nur für Anwesenheit aufbringen. So viel Zeit habe ich einfach nicht." Für den neuen Job überlege er, seine Parteimitgliedschaft ruhend zu stellen - auch als Symbol für den neuen Lebensabschnitt. Ohnedies seien es die Brüche, die ihn im Leben vorangebracht hätten, privat wie beruflich, sagt Bergmann. Sein neuer Job wird bestimmt wieder eine Zäsur. Für ihn und für die Kammer.

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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