Wagniskapital:Die Risikofalle

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Viele deutsche Start-ups überleben das "Tal des Todes" nicht. Es mangelt hierzulande nicht nur an Investoren. Es bräuchte auch eine andere Risikokultur. Was den Jungunternehmen helfen könnte.

Von Lara Voelter

Soll aus einer innovativen Idee ein erfolgreiches Start-up werden, dann ist zunächst einmal eines nötig: ausreichend Geld. Da sich die wenigsten Geschäftsideen ausschließlich aus eigener Tasche bestreiten lassen, gilt es, alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Für viele Jungunternehmer ist das in Deutschland eines der Hauptprobleme.

Immer wieder bemängeln Experten den Rückstand zu den USA und asiatischen Technologiestandorten, wo Gründer leichter an Kapital kommen als hierzulande. Deutsche Start-ups haben 2019 zwar häufiger als jemals zuvor Geld von Investoren erhalten, die investierte Summe ist aber gesunken, wie eine Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young herausfand. Im diesjährigen Start-up Monitor, einer Studie des Bundesverbands Deutsche Startups und der Unternehmensberatung PwC, welche alljährlich die aktuelle deutsche Start-up-Landschaft abbildet, bewerten beinahe 40 Prozent der teilnehmenden Start-ups den Zugang zu Kapital als schlecht. Laut dem Digitalverband Bitkom denke beinahe jedes vierte der befragten deutschen Start-ups über einen Umzug ins Ausland nach.

In Deutschland fördert der Staat zwar die Gründung von Start-ups, jedoch fehlen deutsche Investoren. Deren Unterstützung benötigen junge Unternehmen vor allem in der sogenannten Later-Stage-Phase, wenn sie ihre Ideen auf den Markt bringen und schnell wachsen. Die ersten ein, zwei Millionen erhalten sie meist eher unproblematisch. Es sind die späteren Finanzierungsrunden jenseits der Zehn-Millionen-Zuschüsse, in denen die Schwierigkeiten beginnen.

In Deutschland gibt es für große Finanzierungsrunden kaum inländische Venture-Capital-Fonds. Große Investoren wie etwa Versicherungen oder Stiftungen können Summen, die meist erst ab 20 Millionen beginnen, nicht investieren - das Risiko, einen sehr großen Anteil des Gesamtfondskapitals selbst zu stellen, ist ihnen schlicht zu groß.

Daher gelte es, den Investoren Brücken zu bauen, sagt Christoph Stresing, der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Startups: "Es ist sehr wichtig, dass der von der Bundesregierung geplante Zukunftsfonds im Sinne eines Dachfonds kommt". Damit will der Staat ab 2021 Steuergelder in private Fonds investieren und auf diese Weise beträchtliche Summen an Wagniskapital für Start-ups mobilisieren. Die größeren Fonds würden dann automatisch auch attraktiver für weitere Investoren, meint Stresing.

Noch immer überleben viele deutsche Start-ups das "Tal des Todes" nicht. Diejenige Phase, in der staatliche Förderungen versiegen und es häufig sehr schwierig wird, private Investoren mit ins Boot zu holen oder zu halten. Das war auch bei dem Berliner Online-Einrichtungs-Start-up 99 Chairs der Fall. Julian Riedelsheimer und sein Mitgründer riefen es 2014 ins Leben. 3,3 Millionen Euro hatten sie seit dem Start eingesammelt, nach viereinhalb Jahren war Schluss: Als es in eine größere Finanzierungsrunde ging, sprang der Investor kurzfristig ab. "Viele deutsche Investoren denken nicht so groß, sind vorsichtig. Häufig sind sie auch eher Mitläufer. Sie investieren, wenn ein anderer mitinvestiert, ansonsten eher nicht", berichtet Riedelsheimer.

Eine klassische Bankfinanzierung komme für Jungunternehmer häufig nicht infrage, weil die Start-ups anfangs oftmals noch keinen Gewinn erzielen würden, sodass Banken keine Kredite geben würden, sagt Christoph Stresing: "Es besteht die Gefahr, dass die Start-ups zwar laufen lernen, sie dann aber keine Finanzierung mehr von deutschen oder europäischen Wagniskapitalgebern erhalten." Die Hälfte des Volumens von Venture-Capital-Investitionen in Europa kommt, so Stresing, von außereuropäischen Investoren. Die Firma Get Your Guide, über die man Touristikaktivitäten online buchen kann, der Autogroßhändler AUTO 1 oder N 26, eine Direktbank, die sich auf Smartphone-Kontoführung spezialisiert hat, sind Beispiele für sogenannte Einhörner (Unicorns) - Start-ups, deren Marktwert über eine Milliarde Dollar beträgt. Sie alle haben zahlreiche Investoren aus Übersee an ihrer Seite.

Ausschlaggebend für das generelle Fehlen von einheimischen Investoren ist nach Einschätzung der Bayerischen Industrie- und Handelskammer (BIHK) auch das deutsche Steuerrecht. Deutschland erhebt eine Umsatzsteuer auf die Verwaltungsleistungen von Fondsmanagern - in den USA, Großbritannien oder Schweden etwa ist das nicht der Fall. Die BIHK fordert darüber hinaus bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Wagniskapital.

Apple, Google, Amazon, Facebook, Alibaba, Tencent - vor allem US-amerikanische und chinesische Tech-Titanen, Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen und einem Börsenwert von mehr als 100 Milliarden US-Dollar, sind die Zugpferde der Weltwirtschaft. Lediglich der Softwarehersteller SAP stammt aus Deutschland und zählt zu den international erfolgreichen Technologieunternehmen. "Das ist zu wenig für ein Land, das so technologiebegabt ist wie Deutschland. Wir haben hier alle Voraussetzungen", sagt Adam Bird. Er ist Senior Partner bei der Unternehmens- und Beratungsgesellschaft McKinsey. Was neben Folgefinanzierungen noch fehle, sei ein gewisser Unternehmergeist.

Die Deutschen und Mitteleuropäer seien einfach viel risikoaverser als die Amerikaner, meint Bernhard Janke. Ihre Denkweisen würden sich eklatant voneinander unterscheiden. Er ist Partner des Karlsruher Technologieinvestors LEA Partners, hinter dem die L-Bank - das Landesförderinstitut des Landes Baden-Württemberg - mit einer Reihe weiterer Investoren steht. Außerdem seien der europäische und vor allem auch der deutsche Markt viel kleiner. "In Amerika haben wir eine Homogenität. Man muss zum Beispiel die Website nicht extra in andere Sprachen übersetzen, hat bei vielen Themen keine Regulatorik, sondern kann relativ schnell auf einem großen Markt wachsen", sagt Janke. Venture Capital benötige eben große Märkte. "In Amerika kann man viel leichter expandieren", sagt er. Dennoch finde er nicht, dass es in Deutschland schwieriger sei, mit guten Start-ups an Kapital zu kommen. "Selbst amerikanische Firmen investieren in Stuttgart oder Karlsruhe, weil sie sehen, dass hier gute Leute sind, die groß denken können." Die Softwarehersteller Daedalus und Any Desk seien gute Beispiele dafür und zögen Kapital aus der ganzen Welt an.

Adam Birds Einschätzung fällt ebenfalls positiv aus: "Ungefähr ein Drittel aller Neugründungen der Welt kommt aus Europa und ein gutes Stück davon aus Deutschland, womit wir uns aber noch schwertun, ist es, Tech-Titanen zu gründen." Es müsse bei der Expansionsfähigkeit der Start-ups angesetzt werden.

Der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Startups, Christoph Stresing, plädiert für mehr Schnelligkeit: "Die Finanzierung ist eine große Stellschraube, an der wir rasch drehen müssen, wenn wir kein Freilichtmuseum für Chinesen werden wollen."

© SZ vom 03.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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