VW-Porsche:Das Schweigen des Herrn Winterkorn

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Der VW-Chef soll die Eigentümer-Holding nicht rechtzeitig über die Abgasmanipulation informiert haben. Das kann teuer werden.

Von Klaus Ott, München

Wolfgang Porsche, Aufsichtsrat und Großaktionär von Volkswagen, hat bislang in alter Treue zu Martin Winterkorn gestanden, dem Ex-Chef des Autokonzerns. Selbst Monate nach Beginn der Abgasaffäre äußerte sich der österreichische Industrielle noch sehr freundlich über den früheren Vorstandsvorsitzenden. Porsche erzählte, er telefoniere ab und zu mit Winterkorn und frage ihn, "wie es ihm geht". Der Ex-Chef habe dem VW-Konzern fast 35 Jahre lang gedient, "das sollten wir nicht vergessen".

Diese Eintracht wird jetzt auf eine harte Probe gestellt. Das Landgericht Stuttgart hat einen 129-seitigen Beschluss gefasst, der sowohl die Volkswagen AG wie auch deren Konzernmutter, die Porsche-Holding, insgesamt einen Milliardenbetrag kosten könnte. Das Landgericht kommt zu dem Schluss, bereits seit Mai 2014 habe für VW ein großes Risiko bestanden, mit den Abgasmanipulationen in den USA aufzufliegen. Winterkorn hatte damals intern einen Hinweis auf weit überhöhte Schadstoffwerte bei Dieselfahrzeugen erhalten. Doch erst im September 2015 erfuhren die Öffentlichkeit und somit auch die Aktionäre von Volkswagen und der Porsche-Holding von den Gesetzesverstößen; allerdings nicht von VW, sondern durch die US-Umweltbehörde EPA. Das Landgericht Stuttgart spricht in diesem Zusammenhang von einer "Desinformationsphase des Anlegerpublikums", also der Aktionäre.

Auch Winterkorn gerät dadurch noch mehr in Bedrängnis, als er ohnehin schon ist. So sehr, dass am Ende der Zusammenhalt mit Wolfgang Porsche gefährdet sein könnte. Der Justizbeschluss ist ein Etappensieg für Kapitalanleger, die in Aktien der Porsche-Holding investiert haben und nun Schadenersatz für massive Kursverluste infolge der Abgasaffäre fordern. Das Landgericht Stuttgart macht mit seinen 129 Seiten den Weg frei für einen Musterprozess, den das dortige Oberlandesgericht ansetzen soll; parallel zu einem geplanten Musterverfahren von VW-Anlegern in Braunschweig. Die in Stuttgart ansässige Holding gehört vor allem den aus Österreich stammenden Industriellenfamilien Porsche und Piëch. Die beiden Familien wiederum sind über ihre Holding Hauptinhaber von Volkswagen. Das war und ist nicht die einzige Verbindung zwischen Stuttgart und Wolfsburg, dem Sitz von Volkswagen.

Dem Vorstand der Porsche-Holding gehören in der Regel auch VW-Manager an. Winterkorn war bis zum Beginn der Abgas-affäre, die ihn viele Ämter kostete, Vorstandschef von Volkswagen wie auch der Porsche-Holding. Und genau da setzt nun das Landgericht Stuttgart an. Das Gericht listet auf, wie Winterkorn intern bei VW ab Mai 2014 nach und nach über die weit überhöhten Stickoxid-Werte von Diesel-Fahrzeugen in den USA informiert worden sei.

Für einen "Doppelvorstand" bestehe in einem solchen Fall auch eine "Redepflicht" gegenüber der Muttergesellschaft, in diesem Fall also bei der Porsche-Holding, heißt es in dem Justizbeschluss. Insofern muss sich die Holding in Stuttgart wahrscheinlich Winterkorns Wissen bei VW in Wolfsburg anrechnen lassen. Das könne man annehmen, schreibt das Landgericht und legt sogar noch nach. Aufgrund der personellen Verflechtung und weiterer Umstände sei davon auszugehen, dass sich die Porsche-Holding mit den bei Volkswagen in den Jahren 2014 und 2015 vorgelegenen Insiderinformationen "infiziert" habe.

Das bedeutet: Die Porsche-Holding hätte sich wegen Winterkorns Doppelfunktion die Abgasaffäre ins eigene Haus geholt. Mit der Folge, so das Gericht, dass die Porsches und Piëchs ihre Mitaktionäre in der Holding über die Abgasprobleme von VW in den USA hätten informieren müssen. Der Holding waren diese Probleme aber offiziell gar nicht bekannt. Noch am 18. September 2015 hatte Winterkorn vormittags bei einer Vorstandssitzung der Porsche-Holding laut Protokoll die Frage verneint, ob es zusätzliche Risiken des VW-Konzerns gebe. Am Abend machten US-Umweltbehörden die Gesetzesverstöße publik, was die Aktienkurse von Volkswagen und der Porsche-Holding abstürzen ließ.

Bei der Holding hat das Gericht einen Kursverfall von 19,36 Prozent zwischen Mai 2014 und September 2015 errechnet. Die Anleger hätten also ihre Papiere in diesem Zeitraum um fast 20 Prozent zu teuer gekauft. Der Tübinger Anwalt Andreas Tilp, der zahlreiche Aktionäre vertritt, bezeichnet den Gerichtsbeschluss als "wegweisend". Tilp will für seine mehr als 1500 Mandanten, darunter zahlreiche Großanleger, in Stuttgart 550 Millionen Euro und in Braunschweig gar 5,2 Milliarden Euro Schadenersatz von der Holding und von VW erstreiten. Der Anwalt fragt sich, wie lange die "nach außen gezeigte Solidarität der Porsches mit Winterkorn" noch halte.

Offiziell herrscht noch immer Eintracht. Die Porsche-Holding, VW und Winterkorn weisen alle Vorwürfe zurück. Man habe nichts verschwiegen und niemanden geschädigt.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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