Vor der Gerichtsentscheidung:Die Zocker warten schon

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Es geht hart zur Sache beim Super Bowl. Im vergangenen Jahr besiegten die New England Patriots die Atlanta Falcons. (Foto: Charlie Riedel/dpa)

Der amerikanische Supreme Court berät über das staatliche Wettverbot. Wenn dieses fällt, dürfte das weltweit Konsequenzen haben. Es geht um viele Milliarden Dollar - und den Föderalismus.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Fünf Milliarden Dollar. So viel werden die Amerikaner auf das Sportspektakel am kommenden Wochenende wetten. Darauf, ob die Philadelphia Eagles oder die New England Patriots den Super Bowl gewinnen werden, welches Lied der Sänger Justin Timberlake während der Halbzeitshow präsentieren wird. Fünf Milliarden Dollar - und mehr als 90 Prozent davon werden illegal abgeschlossen.

Die American Gaming Association schätzt vorsichtig, dass die Amerikaner pro Jahr 150 Milliarden Dollar auf Sportereignisse wetten. Es könnte durchaus noch viel mehr sein, würde man Büro-Tippspiele und Wetten unter Freunden hinzurechnen. Exakte Zahlen gibt es nicht, denn Sportwetten sind nur in den Bundesstaaten Nevada, Oregon, Delaware und Montana erlaubt, Einsätze auf einzelne Partien wie den Super Bowl gar nur in Nevada. Überall sonst ist es seit 1992 verboten.

Das allerdings könnte sich bald ändern. Der Oberste Gerichtshof beschäftigt sich seit Anfang Dezember mit dem entsprechenden Gesetz - und ist den Anhörungen zufolge nicht abgeneigt, das Verbot aufzuheben. Das hätte gravierende Folgen für das Geschäft mit den Sportwetten, nicht nur in den Vereinigten Staaten, die Auswirkungen wären auch in Europa zu spüren. "Ich würde vier zu eins darauf wetten, dass der Supreme Court für ein Ende des Verbots sorgt", sagt Jimmy Vaccaro, Direktor des Wettbüros im South Point Casino in Las Vegas. "Viele Casinos bereiten sich bereits auf ein gewaltiges Erdbeben vor."

MGM International etwa verkündete kürzlich, für sieben Millionen Dollar ein Wettbüro im Borgata Casino in Atlantic City zu bauen. Nicht weit davon entfernt hat das Online-Casino William Hill neben einer Pferderennbahn bereits eine Annahmestelle für Sportwetten errichtet, die innerhalb weniger Tage in Betrieb genommen werden könnte. Internet-Anbieter basteln seit Monaten an Applikationen für den Tag X, auf der Technikmesse CES wurden bereits die ersten Produkte vorgestellt.

Der Fall ist kompliziert, doch macht ihn genau das so spannend und die möglichen Auswirkungen so spektakulär. Chris Christie, der Weltöffentlichkeit bekannt durch seinen traurigen Dackelblick während einer Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump, hatte als Gouverneur von New Jersey Sportwetten nach einer Abstimmung legalisiert und in mehreren Instanzen prozessiert. 20 Bundesstaaten haben sich der Klage mittlerweile angeschlossen. Gegner der Klage sind die Profiligen NFL (Football), NBA (Basketball) und MLB (Baseball) sowie die Universitätssport-Vereinigung.

Sollte das Verbot fallen, könnten zunächst alle Bundesstaaten eigene Regeln einführen

Es geht bei dieser Klage nicht nur ums Wetten, zunächst einmal geht es um Föderalismus. Der Supreme Court prüft, ob das landesweite Verbot gegen den zehnten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung verstößt. "Normalerweise wird Landesrecht nur dann ungültig, wenn es ein entsprechendes Gesetz auf Bundesebene gibt", sagt Richter Stephen Breyer. "Es gibt aber kein Bundesgesetz, das Sportwetten verbietet - sondern nur eines, das es den Bundesstaaten verbietet, Sportwetten zu erlauben. Das ist eigenartig."

Nun wird es interessant: Sollte der Oberste Gerichtshof das Verbot kippen, könnten sämtliche US-Bundesstaaten erst einmal eigene Regeln einführen. Die Verabschiedung eines Bundesgesetzes könnte Jahre dauern, zumal der Kongress in diesem Jahr wiederholt seine Zerstrittenheit und Ineffizienz unter Beweis gestellt hat und Präsident Trump, einst an Casinos beteiligt, zögerlich sagt: "Das muss man sich intensiv ansehen und die zahlreichen unterschiedlichen Meinungen dazu berücksichtigen. Ich kann Ihnen sagen: Das würden wir nicht einfach mal so machen."

Die Bundesstaaten würden also um Kunden konkurrieren, möglicherweise von überall auf der Welt. Mit jedem Smartphone kann eine Wette platziert werden. In Nevada etwa werden Sportwetten mit 0,25 Prozent besteuert, die Einnahmen im vergangenen Jahr lagen deshalb bei mehr als 110 Millionen Dollar. Es heißt, dass die landesweiten Steuereinnahmen bei einer Legalisierung von Sportwetten bei mehr als vier Milliarden Dollar pro Jahr liegen dürften. Welcher Bundesstaat würde nicht gerne möglichst viel davon in die eigenen, derzeit meist leeren Geldspeicher schaufeln? "Wenn alle 50 Bundesstaaten miteinander konkurrieren, dann könnte das ein Wettlauf werden, wer die gesetzlichen und moralischen Hürden am tiefsten legt - das würde die Integrität des Sports gefährden", sagt NBA-Chef Adam Silver. Er wünscht sich deshalb, dass der Supreme Court das Verbot so lange in Kraft hält, bis es auf Bundesebene adäquate Gesetze gibt: "Ich glaube, dass Sportwetten aus dem Schatten der Unterwelt hervorgeholt werden sollten."

NBA-Chef Silver sagt das nicht unbedingt, weil er ein Verfechter der Zockerei wäre. Es ist vielmehr ein pragmatischer Ansatz: Die Leute wetten sowieso, warum sollten wir nicht über eine Legalisierung, Regulierung und Besteuerung Geld damit verdienen? Es schadet zum einen den Einschaltquoten gerade in der regulären Saison nicht, wenn möglichst viele Menschen auf den Ausgang (oder, in den USA sehr beliebt: den Punktevorsprung) einer Partie wetten und bis zum Schluss zuschauen. Zum anderen gibt es eine andere, überaus lukrative Möglichkeit, mit Online-Live-Wetten Einnahmen zu generieren. Der Zuschauer soll vor dem Fernseher fiebern und über das Handy wetten.

In der vergangenen Woche hatte die NBA deshalb einen grotesken Auftritt vor der Kommission zur Legalisierung von Sportwetten im Bundesstaat New York. "Sollten Sportwetten erlaubt sein, dann müssen die Ligen Maßnahmen zur Wahrung ihrer Integrität ergreifen", sagte NBA-Vizepräsident Dan Spillane: "Wir halten es deshalb für angemessen, dass Wettanbieter ein Prozent der gesetzten Summe an die jeweilige Liga abführen." In Zockerkreisen würde man sagen: Da will einer seinen Anteil haben.

Die Wettanbieter müssen bei Liveveranstaltungen rasch auf Veränderungen beim Spielstand reagieren, um zeitnah aktualisierte Quoten anbieten zu können. Das bedeutet: Sie brauchen den offiziellen Spielstand und möglicherweise noch Statistiken, um den weiteren Verlauf einer Partie prognostizieren zu können. Die NBA kooperiert seit vergangener Saison mit dem Schweizer Unternehmen Sportradar, in das die NBA-Vereinsbesitzer Michael Jordan (Charlotte Hornets), Ted Leonsis (Washington Wizards) und Mark Cuban (Dallas Mavericks) investiert haben. Die Datenfirma arbeitet auch mit der NFL und der Eishockeyliga NHL zusammen, mit dem Tennisverband ITF und der deutschen Fußball-Bundesliga.

Es heißt, dass die NBA über sechs Jahre hinweg etwa 250 Millionen Dollar bekommt. Das ist viel Geld, könnte aber aufgrund der Aussicht auf Legalisierung eine verantwortungsbewusste Investition gewesen sein - mindestens 32 US-Bundesstaaten wollen Sportwetten bis zum Jahr 2025 legalisieren, wenn das Verbot kippt. Der Oberste Gerichtshofs will seine Entscheidung zeitnah verkünden, die viele Leute mindestens so gespannt erwarten wie den Ausgang des Super Bowl.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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