Volkswagen-Skandal:Mathematiker des Todes

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Kenneth Feinberg, 70, wird oft gerufen, wenn in den USA um hohe Entschädigungszahlungen gerungen wird. Meist konnte der Anwalt, der deshalb der "Zahl-Zar" genannt wird, erfolgreich vermitteln. (Foto: AP)

Kenneth Feinberg soll VW-Kunden in USA von Klagen abhalten. Er ist sonst mit Klagen im Zusammenhang mit tödlichen Unfällen beschäftigt.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Wer ihn engagiert, hat sich zumindest zwei Dinge bereits eingestanden: Die Probleme sind groß und die drohenden Kosten gewaltig. Kenneth Feinberg ist der Mann für die ganz heiklen Fälle.

In den nächsten Monaten wird der Top-Anwalt mit dem Faible für John F. Kennedy vor allem für die Volkswagen Group of America arbeiten. Feinberg, dessen Kanzlei nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt an der Washingtoner Pennsylvania Avenue liegt, soll ein Paket zur Entschädigung der 570 000 amerikanischen VW-Kunden ausarbeiten, deren Diesel-Pkw durch den Skandal um gefälschte Abgastests deutlich an Wert verloren haben. Man könnte auch sagen: Er soll möglichst viele Menschen davon abhalten zu klagen.

Damit kennt er sich aus - auch nach den Terrorattacken vom 11. September 2001, dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon und der Explosion der BP-Ölplattform Deepwater Horizon rief man ihn, um zwischen Entschädigungszahlern und -empfängern zu vermitteln. Zuletzt eilte er dem Fahrzeugkonzern General Motors (GM) zur Hilfe, in dessen Autos wegen eines fehlerhaften Zündschlosses mindestens 124 Menschen gestorben waren.

Nun also der Volkswagen-Konzern, der den Abgasausstoß seiner Diesel-Pkw über Jahre manipuliert hatte und sich allein in den USA mehr als 500 Klagen, zumeist Sammelklagen, gegenübersieht. Anfang nächsten Jahres wird ein Richter in San Francisco entscheiden, wie viele dieser Klagen zugelassen werden und welche Anwaltskanzleien die Betroffenen vertreten dürfen. Feinberg soll den Kollegen, die allesamt das große Geschäft wittern, mit einem attraktiven Angebot an die Kunden den Wind aus den Segeln nehmen. Wie die Offerte aussehen wird, ob sich VW also etwa dazu bereit erklärt, Autos zurückzukaufen, ist allerdings noch völlig offen.

Im besten Fall liegt am Ende ein Vorschlag auf dem Tisch, mit dem beide Seiten leben können: der Konzern, weil er eine zwar hohe, aber wenigstens kalkulierbare Summe zahlen muss, und die Geschädigten, denen ein langer Prozess mit ungewissem Ausgang erspart bleibt. Im Fall GM gelang das Feinberg weitgehend: Von den insgesamt 4343 Unfällen, für die Schadenersatz verlangt wurde, blieben am Ende 399 übrig, in denen das kaputte Zündschloss tatsächlich der Grund für den Tod oder eine Verletzung war. 361 Betroffene oder aber deren Hinterbliebene nahmen das Entschädigungsangebot an, sie erhielten im Schnitt etwa 1,5 Millionen Dollar.

Dass Feinberg mit seinem Job zu einer Art Mathematiker des Todes geworden ist, bekümmert ihn, ist aber wohl unvermeidlich, wie er in seinem Buch "Wer was bekommt: Fairer Ausgleich nach Tragödien und finanziellen Verwerfungen" beschreibt. Fazit: Damit eine Regelung von den Betroffenen als gerecht empfunden wird, ist es unerlässlich, die Schadenssumme so individuell wie möglich zu berechnen. Dazu schaut sich Feinberg etwa das Alter eines Verstorbenen, seine früheren Familienverhältnisse und die Einnahmen an, die er bis zu einem natürlichen Lebensende noch hätte erwarten können. Das bedeutet allerdings auch: Die Ehefrau eines 45-jährigen Managers mit zwei Kindern erhält mehr als die Angehörigen eines ledigen 25-jährigen Berufsanfängers.

Immerhin: Solcherlei Berechnungen werden dem Top-Anwalt diesmal erspart bleiben, denn anders als in New York, in Boston und in den Autos von General Motors ist diesmal wenigstens niemand zu Tode gekommen. Der Fall Volkswagen, so hat Feinberg der New York Times gesagt, erinnere ihn weniger an GM als vielmehr an die Causa BP. Das mache die Sache nicht einfach, aber zumindest "weniger emotional".

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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