Volkswagen:Sieger sehen anders aus

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Es war eine besondere Sitzung, in der über die Zukunft von VW-Boss Pischetsrieder entschieden wurde. Handys waren verboten, dann wurde Skat gespielt. Auf der heutigen Hauptversammlung wurde lautstark debattiert.

Karl-Heinz Büschemann

Die erste Attacke kam um 12 Uhr 40. Der Sprecher einer Aktionärsgruppe trat ans Mikrophon und erklärte: "Ich werde den Aufsichtsratsvorsitzenden nicht entlasten."

Ferdinand Piëch redet, Bernd Pischetsrieder hört zu (Foto: Foto: dpa)

Ein anderer Vertreter von Volkswagen-Aktionären rief den etwa 3500 Anteilseignern von VW zu. "Unser Vertrauen in den Aufsichtsratsvorsitzenden ist beschädigt."

Ein Redner warf dem obersten Kontrolleur von Volkswagen "die gezielte Schwächung des Vorstands und seiner Sanierungspolitik vor". So dick war es für den obersten Kontrolleur eines deutschen Großkonzerns schon lange nicht mehr gekommen.

Ferdinand Piëch, 69, sitzt mit modisch bunt gescheckter Lesebrille und regungsloser Miene auf dem Podium und leitet die Versammlung in militärisch knappem Ton ("Bitte den nächsten Redner sich bereit zu machen".)

Und immer wieder brandet Beifall auf, wenn von beschädigtem Vertrauen die Rede ist oder davon, dass wegen einer einzigen Bemerkung Piëchs das Management von VW lange nur noch eingeschränkt handlungsfähig war. Was der Mann auf dem Podium getan habe, rief ein Aktionärsvertreter, sei "der Versuch einer Demontage" gewesen.

An diesem schönen Frühlingstag entlädt sich der Zorn der Aktionäre, die seit fast einem Jahr mit stockendem Atem den dramatischen Vorfällen in Europas größtem Autokonzern zusehen. Im vergangenen Sommer drohte der Konzern in einem Sex- und Korruptionsskandal zu versinken. Betriebsräte hatten sich offenbar mit Genehmigung des Personalchefs Peter Hartz auf Firmenkosten ein schönes Leben mit Prostituierten gemacht.

Piechs Regelverstoss

Im vergangenen Februar hatte sich Ferdinand Piëch, der von 1993 bis 2002 der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Autokonzern war und seitdem den Aufsichtsrat leitet, eine ungewöhnliche Äußerung geleistet: Der Manager aus Österreich, von dem bekannt ist, dass es ihm kaum jemand recht machen kann, hatte im Februar einer Zeitung erzählt, die Verlängerung des Chef-Vertrags seines Nachfolgers Pischetsrieder sei "eine offene Frage". Die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat sei gegen ihn.

Damit hatte der Enkel des Käfer- und Porsche-Erfinders Ferdinand Porsche gegen die Regeln der Vertraulichkeit verstoßen. Damit hatte Piëch, der wegen seines schwierigen Charakters gefürchtet ist, so ganz nebenbei den Vorstandsvorsitzen den geschwächt. Manche behaupten sogar, der gesamte Konzern hätte Schaden genommen.

Harmloser Beginn

Nahezu jeden Tag standen seitdem neue Spekulationen in den Zeitungen über einen möglichen Nachfolger Pischetsrieders, der von 1993 bis zum Jahr 2000 der Chef des Münchner Autokonzerns BMW war. Wohl nie zuvor haben sich der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Konzerns und sein oberster Kontrolleur so heftig auf offener Bühne bekämpft wie in diesem Fall.

Doch trotz dieser Ausgangslage begann das Aktionärstreffen an diesem Mittwochmorgen ganz harmlos. Pischetsrieder und Piëch standen offenbar in bester Laune lässig mit den Händen in den Taschen beim Plausch vor Beginn der Hauptversammlung auf dem Podium. Von Zwist keine Spur.

Doch wie unsicher Pischetsrieders Zukunft war und wie ernst die Lage bei VW noch einige Stunden zuvor aussah, wurde auf einem Krisentreffen deutlich, das am Tag vor dem Aktionärstreffen im feinen Hamburger Hotel Atlantic stattfand. Dort sollte der Aufsichtsrat den Vertrag von Pischetsrieder verlängern, der in einem Jahr ausläuft.

Kurze Sitzung vorgesehen

Vorgesehen war nur eine kurze Sitzung. Tatsächlich tagten die Aufsichtsräte den ganzen Tag. Mal saßen nur die Vertreter der Belegschaft, angeführt von IG Metallchef Jürgen Peters, zusammen, um ihre Strategie zu planen, mal berieten sich die Vertreter der Kapitalseite.

Die eigentliche Sitzung im Hotel hatte erst mit stundenlanger Verspätung um 19 Uhr begonnen, und dass die Teilnehmer ihre Handys nicht mit in den Saal mitnehmen durften, zeigte, dass hier keine Routinesitzung stattfand.

Das Foyer, in dem sich üblicherweise die Gäste in Ruhe einen Nachmittagstee gönnen, wimmelte von den Aktenkofferträgern der Akteure, die hinter schweren gelben Vorhängen in den Festsälen im Erdgeschoss tagten. TV-Reporter berichteten im Minutentakt von der Krisensitzung, und hektische Agenturjournalisten irritierten die Hotelgäste, weil sie aufgeregt zwischen Gesprächspartnern und Laptops hin und her irrten auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob Pischetsrieders Vertrag verlängert wird.

Noch am frühen Abend wagte im Foyer des Atlantic niemand eine Prognose. "Am Wochenende war ich noch sicher, dass die Sache klar geht", sagte einer der Zuarbeiter, "h eute bin ich es nicht mehr." Die IG Metall unter Führung ihres Vorsitzenden Jürgen Peters hatte den Eindruck erweckt, sie sei mit Pischetsrieders Sanierungsplan für den angeschlagenen VW-Konzern unzufrieden.

Nach außen ungerührt

Am Abend um halb zehn war dann klar, dass Piëch den von ihm selbst angezettelten Machtkampf verloren hatte. Die Gewerkschaften hatten geschlossen für Pischetsrieder gestimmt. "Wir haben eine gute Abmachung mit der Kapital seite getroffen", sagte Peters. Kurz vor Mitternacht fanden sich die Aufsichtsratsmitglieder im Foyer des Atlantics ein. Piëch strebte mit strenger Miene gleich an die Bar, wo seine Ehefrau Uschi auf ihn wartete.

Andere Kontrolleure waren nach der ganztägigen Verhandlungsqual so erleichtert, dass sie sich sogleich in eine Ecke des vornehmen Foyers zum Skatspiel zusammensetzten. Einer ätzte mit einem Weinglas in der Hand über Piëch: "Der Ferdi wird sich auf der Hauptversammlung morgen auf einiges gefasst machen müssen." Vorstandschef Pischetsrieder, dem die Anspannung dieses Tages noch anzusehen war, machte sich zügig gemeinsam mit Ehefrau Doris von dannen.

Den frisch gestärkten Vorstandsvorsitzenden hielt die qualvolle Vertragsverlängerung nicht davon ab, den Aktionären eine einstündige Rede zu bieten, die wirkte, als wäre bei dem Wolfsburger Tumultkonzern schon wieder alles normal.

"Bewegtes Jahr 2005"

Pischetsrieder spulte monoton seinen Redetext ab, sprach von "einem bewegten Jahr 2005", von erhöhtem Kostenbewusstsein und vom Preisdruck auf dem Markt. VW müsse heute handeln, "um morgen den verschärften Angriffen unserer Wettbewerber erfolgreich begegnen zu können". Von Frust über die Erniedrigung der vergangenen Monate ist nichts zu spüren.

Ferdinand Piëch indes ließ sich von den Attacken der Aktionäre scheinbar nicht schrecken. Er ließ sich nicht aus der Reserve locken. Auch bei der Frage eines Aktionärs, ob er nicht bald den Aufsichtsrat von Volkswagen verlassen wolle, blieb er vage.

"Ich werde zu gegebener Zeit über meine Lebensplanung informieren - aber nicht über die Zeitung." Aber auch die Aktionäre kamen im Laufe des Tages wieder zur gewohnten Realität zurück. Nachdem die professionellen Redner ihre Kritik an Piëch geäußert hatten, kamen schnell wieder Amateure zu Wort, die gelegentlich mit wenig sinnvollen Bemerkungen eine Hauptversammlung beanspruchen.

Einer zum Beispiel beklagte die vielen englischen Aufschriften in seinem neuen Passat. Der Schriftzug "Engine Start Stop" auf dem Anlasserknopf, der sei "doch wohl ziemlich überflüssig".

© SZ vom 4.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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