Volkswagen:Nicht so verliebt

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Weniger Perfektion, um zu sparen: Volkswagen-Chef Herbert Diess bricht bei VW mit einer alten Piëch-Tradition. Ingenieure hören das nicht gerne. (Foto: Michael Sohn/AP)

Bei seiner ersten Bilanz als Vorstandschef des VW-Konzerns bricht Herbert Diess mit einer legendären Maßgabe: Effizienz geht jetzt vor blinder Liebe zur Technik. Autos sollen ein Drittel schneller gebaut werden.

Von Max Hägler, München

Um zu ermessen, was Herbert Diess meint, wenn er da vorne am Stehtisch vom "Paradigmenwechsel" beim Autobau spricht, muss man nur ein paar der Altgedienten hier im VW-Stammwerk Wolfsburg fragen. Fast jeder kann eine Geschichte davon erzählen, wie das bisher war; meist schwingt Unverständnis mit. Legendär ist die Sache mit den Cup-Holdern, den Getränkehaltern: Wo sollen die hin und welcher Durchmesser wäre denn gut? Solche Angelegenheiten besprach früher die Konzernspitze rund um den Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch höchstpersönlich. Auf sogenannten Abnahmefahrten wünschten die Manager Neues oder Anderes - obwohl man kurz vor dem SOP stand, dem Start of Production, und die Maschinen schon justiert waren. Aber egal! Design und vor allem Technik waren wichtiger als alles andere! Jüngstes Beispiel, die Überarbeitung des Golf: Ein rahmenloser Rückspiegel wurde noch bestellt, obwohl es sowieso schon drei andere Variationen eines Spiegels gibt und die neue kompliziert zu konstruieren war. Die Ingenieure ändern eilends, auch wenn es Millionen kostete. Einigen Kunden haben solche Spielereien wahrscheinlich gefallen, die meisten bekamen davon aber gar nichts mit. Und vor allem litt die Rendite: Von 100 Euro Umsatz blieben bei der Marke VW nur zwei Euro Gewinn. Diess, der neue Vorstandschef, dreht das nun. Der Manager, der bei seinem früheren Arbeitgeber BMW berühmt-berüchtigt war für seine Forderung nach brutaler Effizienz, übt nun genau das bei dem bislang so detailverliebten Volkswagen-Konzern: Weg von der teuren Überperfektion, hin zum normalen Autobauen, das ist sein Ziel, für alle zwölf Marken. Es ist ein Bruch mit dem Erbe von Piëch und Winterkorn. Bei der Präsentation der Halbjahreszahlen, die zugleich so etwas ist wie seine erste kleine Bilanz, formuliert Diess es so: Volkswagen habe sich "zu einem sehr produktorientierten Unternehmen" entwickelt. Das sei "grundsätzlich" etwas Gutes. Diese Haltung habe jedoch auch Effizenz und Rendite gekostet, mahnt der Maschinenbauingenieur: "Beispielsweise durch Änderungen an Fahrzeugen wortwörtlich bis zur letzten Minute." Oder durch eine Fahrzeugentwicklung, die keine Rücksicht genommen habe auf einen möglichst einfachen Zusammenbau. Tatsächlich kursieren in der Branche Statistiken, die zeigen, dass in manchen VW-Modellen - eigentlich Mittelklasse - mehr Aufwand steckt, also länger geplant, geschraubt und genietet wird, als in mitunter doppelt so teuren Premium-BMWs. Immerhin, es gehe ja voran mit der Effizenz, sagt Diess, und erzählt von einem Pokal, den Fachleute dem Stammwerk hier in Wolfsburg zuerkannt haben: Besonders lean, also schlank, arbeite man hier inzwischen, heißt es. Diess lächelt. Sagt, dieser Preis freue ihn sehr. Und macht gleich weitere konkrete Vorgaben: 30 Prozent mehr Effizienz fordert er bis 2025, bei allen Marken, in allen 122 Werken, bei Fabrikkosten wie bei der Produktivität. Wo es heutzutage noch etwa 20 Stunden dauert, einen Golf zusammenzubauen, mithilfe von Robotern und Menschen, soll das dann um ein Drittel schneller gehen. Sein Vorbild, das erklärt er: "Toyota!" Die produzieren halt einfach Standardautos, lästern die Ästheten in Branche. Tatsächlich ist selten bemerkenswert schön, was der japanische Konzern verkauft. Aber es ist außergewöhnlich effizient gebaut. Künftig werde das auch bei VW zu einer wichtigen Maßgabe für Entwicklung und Design, sagt Diess. Der Grund dafür ist übrigens nicht allein der Wunsch nach höherer Marge: Vor allem neue Abgasvorschriften und der teure Anlauf der Elektromobilität werden in den kommenden Monaten und Jahren aufs Ergebnis drücken. Man komme "in schweres Fahrwasser", sagt Diess. Es geht darum, das auszugleichen. Wie andere Autohersteller will der neue VW-Chef deshalb die Komplexität reduzieren. Den Golf GTI etwa gibt es in drei Motorvarianten. Das ist selbst für GTI-Fan Diess (Lieblingsfarbe: Weiß) zu viel: Jeder dritte Variante wird gestrichen. Weniger statt mehr, das ist in der Tat ein Paradigmenwechsel für ein Unternehmen, das zuletzt an allen Stellen gewachsen ist. Doch ganz abschütteln kann Diess das Alte dann doch nicht. Zum einen, weil sich Europas größter Industriekonzern mit 640 000 Mitarbeitern nicht einfach ummodeln lässt. Jüngst bedurfte es gar einer explizit liberalen Sommerklamotten-Betriebsvereinbarung, damit sich die Leute überhaupt trauen, ihre Sakkos abzulegen.

Aber vor allem ist da natürlich der Diesel-Skandal. Seit dem Auffliegen vor drei Jahren hat er 26 Milliarden Euro gekostet, allein in diesem Jahr werden 600 Millionen Euro für Rechtsanwälte und Vergleiche mit Klägern fällig. Und Diess hat dabei auch ein persönliches Problem: Er kam just einige Wochen vor dem Auffliegen in den Konzern. Er war zuständig für die Dieselautos, erfuhr erst nach und nach von dem Betrug. Hätte er nicht trotzdem schneller durchgreifen müssen, also vor allem die Sache öffentlich machen, fragen Staatsanwälte und klagende VW-Aktionäre? Er habe ein sehr gutes Gefühl, was diese Zeit anbelangt, antwortet Diess vorne an seinem Stehtisch: "Ich wüsste nicht, was ich besser hätte machen können." Ja, von einer guten Performance während seiner Einstandswochen spricht er sogar. Was wahrscheinlich daran liegt, dass die Zeiten trotz der Ermittlungen und anstehenden Prozesse hervorragend sind. Zumindest aus Sicht der Manager: Alles ist im Plus. Die Auslieferungen, der Umsatz und auch das operative Ergebnis. Nur der Gewinn unterm Strich, ja gut, der wird noch vom Dieselskandal belastet. Das hat sich noch nicht geändert seit seinem Antritt.

© SZ vom 02.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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