Virtuelles Geld:Gier oder Neugier

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Beschauliche Stadt in einer friedlichen Umgebung, so wirkt Zug auf Touristen. Doch der kleine Schweizer Ort entwickelt sich immer mehr zum Bitcoin-Zentrum. (Foto: Marka/UIG via Getty Images)

Der Schweizer Kanton Zug buhlt um die Bitcoin-Szene, obwohl die Kryptowährung auch der Geldwäsche dient. Kritiker fürchten um den guten Ruf der Gemeinde.

Von Charlotte Theile und Markus Zydra, Zug/Frankfurt

Wer von Zürich aufs Land hinausfährt, der erwartet, neben Bergen, Kühen und glasklaren Seen, vor allem eines: eine konservative Bevölkerung. Menschen, die sich wünschen, ihr Land wäre noch so wie früher, Politiker, die Veränderung als Angriff erleben. Dass dieses Klischee an vielen Orten der Schweiz von der Realität überholt wurde, geschenkt, es hält sich hartnäckig. Am Bahnhof Zug, einer mittelgroßen Stadt mit Sicht auf Berge und See, empfängt den Besucher ein Super-Supermarkt. Hier ist alles Karma, vegan und international, die Kunden kommen aus Indien, Amerika, den Niederlanden. Die Stadt mit ihren etwa 30 000 Einwohnern ist nicht nur eine Kantonsverwaltung auf dem Lande, sie ist das Zentrum einer Expat-City, wie es sie selten gibt. Aber nicht nur das: Zug, in der Schweiz als Steueroase und Sitz des umstrittenen Rohstoffkonzerns Glencore bekannt, ist Labor für einen Trend, der im Bankenland eher argwöhnisch beäugt wird.

Kritiker sehen in der Entscheidung der Stadt ein falsches Signal an die Welt

"Ja, das Crypto Valley" sagt Stadtpräsident Dolfi Müller mit einem Lächeln. "Darüber wollen jetzt alle sprechen. Aber das macht auch nichts. Wir sprechen gern darüber." Crypto Valley also. Müller beginnt zu erzählen. Im Jahr 2014, in Kryptowährungszeitrechnung zur Zeit der Jäger und Sammler, wandten sich einige Unternehmer für Digitalwährungen an die Stadt Zug. Dort war man interessiert. Schließlich sieht sich der Kanton nicht nur als Steueroase - sondern als eines der innovativsten Zentren der Schweiz. "Irgendwann waren wir neugierig und wollten wissen, wie diese Blockchain funktioniert", sagt Müller. Warum nicht ein bisschen mitspielen in dieser neuen Welt?

Im Jahr 2016 traf die Stadt Zug eine Entscheidung, mit der sie die Tür zu dieser neuen Welt weit öffnete: Für Zahlungen bis 200 Franken (170 Euro) würden künftig Bitcoin akzeptiert. Internationale Medien berichteten. Das Crypto Valley, zu dem zu jenem Zeitpunkt nur 15 Firmen gehörten, war plötzlich in aller Munde. Besonders der junge Ethereum-Gründer Vitalik Buterin wurde zum Aushängeschild einer experimentierfreudigen Region.

Die Kryptowährung als offizielles Zahlungsmittel? Viele Politiker und Beamte vor Ort fanden: Der Stadtrat habe den Verstand verloren. Bitcoin war schon damals für illegale Geschäfte wie Geldwäsche berüchtigt.

Bitcoin wurde 2008 von einem Programmierer mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto entwickelt. Lange war es ein Thema für Insider. Bitcoin wird von den Nutzern kontrolliert, die sie durch komplizierte Computerberechnungen schürfen. Der Hype begann 2013, als der Kurs von 20 auf 1200 Dollar stieg, um bis 2015 wieder auf 200 Dollar zu fallen. Danach ging es richtig los. Vergangenes Jahr ist der Preis für Bitcoin von 800 Dollar auf über 20 000 Dollar gestiegen, mittlerweile liegt er bei 9200 Dollar. Anleger haben Geld verloren. Die Politik und Notenbanker sind alarmiert.

Deutschland und Frankreich wollen beim G-20-Gipfel im März einen gemeinsamen Vorschlag zur Regulierung von Bitcoin vorlegen. China und Südkorea, Hochburgen der Spekulation mit virtuellen Währungen, wollen den bisher unregulierten Markt ebenfalls einhegen. Auch die Schweizer Regierung prüft die Lage. Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Notenbank, warnt: "Ich glaube, diese Bitcoins oder diese Kryptowährungen sind ein Phänomen der Spekulation."

Und auch die Einwohner Zugs sind skeptisch. Nur etwa 50-mal sei bisher mit Bitcoin gezahlt worden, sagt der Stadtpräsident Dolfi Müller, "20 Zahlungen stammten von Journalisten, die testen wollten, ob das wirklich funktioniert."

Trotzdem sehen Kritiker den Ruf aus Zug als Dammbruch. "Wenn ein ganzer Kanton Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptiert, dann ist das ein Signal an die Welt. Schaut her, die Schweiz interessiert es nicht, woher das Geld der Leute kommt", sagt Anti-Geldwäsche-Experte Andreas Frank, der auch als Sachverständiger des Deutschen Bundestages gearbeitet hat. "Kleptokraten, Terroristen, Steuerhinterzieher können via Bitcoin ihre Vermögen verschleiern - und die Schweiz ermöglicht das", kritisiert Frank.

Es ist der alte Vorwurf, dieses Mal unter neuen Vorzeichen. Die Schweiz, und besonders der steuergünstige Kanton Zug, lasse sich nur zu gern auf zwielichtige Geschäfte ein, die Geld in die Kasse spülen. Müller findet diese Kritik unfair: Mit Kriminellen wolle man nichts zu tun haben. "Für mich ist das eine fortschrittsfeindliche Argumentation. Bargeld kann genauso missbraucht werden."

In den letzten Jahren haben sich immer mehr Kryptowährungen in Zug angesiedelt, einige Geschäfte und Restaurants folgten dem Beispiel ihrer Stadt und akzeptieren Bitcoin. Nun soll am Bahnhof ein Zentrum für Krypto-Start-ups aus aller Welt entstehen. Stadtpräsident Müller gab sich in einer Dokumentation des Schweizer Fernsehens euphorisch. "Wir füllen und füllen, und es kommen immer mehr" sagt er, mit Blick auf die 100 Firmen, deren Angestellte bald im nahegelegenen Super-Supermarkt einkaufen sollen. Ist dieses "immer mehr" nicht doch Ausdruck von Gier? Hat der Kanton einfach eine neue Möglichkeit gefunden, sich die Taschen zu füllen? Müller lacht. Er sei Sozialdemokrat - und "kein Freund des Kapitalismus" setzt er an, um das Unvermeidliche zu bestätigen: "Zug hat einen Ruf." Und der sei nicht nur schmeichelhaft. Doch auf die Kryptowährung habe man sich nicht aus Gier eingelassen. "Höchstens aus Neugier." Wie viel Zug inzwischen mit den Bitcoin-Gebühren verdient hat? Müller winkt ab. "Gar nichts. Wir haben jede Zahlung sofort in Schweizer Franken umgewandelt." Mit den Geldern zu spekulieren, das habe man sich nicht getraut. "Jetzt sagen natürlich alle, wie blöd wir waren." Doch man habe schon genug zu tun gehabt mit den Bedenkenträgern. Dann noch Geld verlieren? Besser nicht. Jetzt klingt Müller wie ein ganz normaler Anleger. Er wusste ja, dass diese Blockchain Potenzial habe. Gekauft habe er trotzdem nicht. Ärgerlich.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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