Virtuelle Nachbarschaftshilfe:Sie sind gewarnt worden

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Wie ein Betriebswirt und ein Informatiker ein Mitmachportal gründeten - bei dem bisher kaum jemand mitmacht.

Thorsten Denkler

Es ist ein Experiment, zugegeben. Aber eines, das die beiden Gründer aus Leipzig sehr professionell angegangen sind. Die Idee entstand im vergangenen Herbst.

Es war eine von vielen Ideen, die sich Sebastian Brandt, 30 Jahre alt und Diplom-Betriebswirt, über die Jahre in seinen Notizblock auf dem Nachttisch geschrieben hat.

Diese aber wollte er endlich mal umsetzen: teilen statt kaufen als Geschäftsprinzip. "Warum", fragt er, "soll ich mir einen teuren Rasenmäher kaufen, wenn ich ihn mir in der Nachbarschaft leihen kann?"

Weil das mit der Nachbarschaftshilfe aber nicht mehr so gut funktioniert, wie Brandt festgestellt hat, bieten er und sein Kompagnon, der 28-jährige Informatik-Student Christian Würker, seit Jahresbeginn auf ihrer Web-Seite www.teilo.de genau dies an: Nachbarschaftshilfe.

Einnahmen über Werbung

Wer einen Rasenmäher hat, ihn aber nur selten nutzt, kann ihn hier kostenlos einstellen und an jene verleihen, die zwar einen Rasen, aber keinen Mäher haben. Ob der Besitzer Geld dafür haben will, bleibt ihm überlassen.

Teilo ist komplett kostenfrei. Nur registrieren müssen sich die Nutzer. Das Geld soll irgendwann über die Masse kommen. Je mehr Nutzer, desto mehr Einnahmen über Werbung.

Brandt goss die Idee in einen Businessplan. Was er noch brauchte, war jemand, der sich mit Seitenprogrammierung auskannte. Ein Aushang am schwarzen Brett der Uni Leipzig genügte.

"Das ist nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung"

Christian Würker war bereit, die Aufgabe zu übernehmen. Entlohnung: 500 Euro für das gesamte Projekt. "Das ist nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung", räumt Würker ein. Ihn hat die Idee überzeugt.

Würker stieg als Partner ein, zuständig für das Technische. Betriebswirt Brandt organisierte den rechtlichen Teil. Sie gründeten gemeinsam die "Teilo Gesellschaft bürgerlichen Rechts".

Innerhalb von drei Monaten zauberte Würker einen ansehnlichen Webauftritt, der es an nichts fehlen lässt. Die Navigation ist vorbildlich, selbsterklärend und zugleich auf das Wesentliche reduziert.

Den Nutzern werden Mustermietverträge zur Verfügung gestellt. Und für den Fall, dass ein Nutzer mit seinen Verleiheinnahmen in einen kritischen Bereich vorstößt, wird er automatisch darauf hingewiesen, dass er jetzt langsam mal das Finanzamt informieren sollte. Ein befreundeter Grafiker lieferte das Logo.

Nur zehn registrierte Nutzer

Das Problem ist nur: Bisher will kaum jemand teilen, zumindest nicht auf teilo.de. Seit Januar sind die Teilo-Seiten 120.000 Mal aufgerufen worden. Das könnte noch hoffnungsfroh stimmen. Aber bisher haben sich lediglich zehn Nutzer registriert und zusammen 50 Artikel eingestellt.

Selbst die nachgeschobene Rubrik "Gesuche" brachte kaum Erfolg. Gesucht werden derzeit ein Vertikutierer, eine Sattler-Nähmaschine, ein Dampfreiniger und ein WLan-Adapter.

Über den Daumen gepeilt 1.000 Euro hat Brandt bisher in das Projekt gesteckt. Damit ist das Budget so ziemlich erschöpft. Der Firmensitz ist ein Fichtenholz-Schreibtisch in Brandts Wohnzimmer. Sein Partner Würker tüftelt zwei Straßen weiter in seinem WG-Zimmer an neuen Funktionen für teilo.de.

Beide betreiben teilo.de nebenberuflich. Brandt arbeitet in der Personalabteilung eines lokalen Energieversorgers. Würker finanziert sich sein Studium als freier Administrator. Der Vorteil: Beide sind nicht auf einen schnellen Erfolg von teilo.de angewiesen. Sie können sich Zeit lassen.

"Die Menschen wollen alles besitzen"

Die "etwas schwierige Anfangsphase" erklären sie sich auch mit gesellschaftlichen Realitäten. "Die Menschen wollen alles besitzen", sagt Brandt. Wenn dann Würker ausführt, dass praktisch jeder, der einen Garten besitze, auch einen eigenen Rasenmäher habe, dann beschreibt er damit ziemlich genau das Problem von teilo.de.

Beide glauben dennoch an den Erfolg. Sie sind sich nur nicht sicher, ob der sich unbedingt auf ihrem Bankkonto ablesen lassen muss. "Es ist schon viel Idealismus dabei", sagt Brandt. "Wir pinkeln mit unserer Seite den Großen wie Media Markt und Saturn ans Bein", sagt Brandt. - Mit zehn Nutzern? - "Na ja", ergänzt Würker. "Das Bein ist immerhin schon oben."

Kapitalismus- und Konsumkritik sind die beiden Schlagwörter, die ihre Motivation wohl am ehesten treffen. Klingt nach FDJ-Herrlichkeit. Dabei kommen beide eher aus der Sparfuchsliga der DDR. Würker ist gebürtiger Leipziger, Brandt gebürtiger Dresdner.

Sie erinnern sich noch genau an den Mangel im real existierenden Sozialismus. Brandt besaß als einer von Wenigen eigene Langlaufskier Marke "Germina". Er hat sie verliehen, an Freunde und Bekannte.

"Ein Kassettenspieler kostete schnell 2.000 Ost-Mark"

Dinge verleihen gehörte in der DDR zur Überlebensstrategie. Würker: "Es war ja nicht so, dass es nichts gab. Aber ein ordentlicher Kassettenspieler kostete eben schnell 2.000 Ost-Mark." Also lieh man sich einen.

Brandt und Würker sehen teilo.de voll und ganz im Web 2.0 angesiedelt. Das passt nicht völlig in das Bild, das sich viele vom Web 2.0 gemacht haben. Hier wird sonst mit Millionen und Milliarden jongliert, wenn es darum geht, erfolgreiche Startups aufzukaufen.

Aber das Wesensmerkmal des Web 2.0 ist ja nicht der Verkaufserlös erfolgreicher Seiten. Es ist die Beteiligung der Nutzer. Teilo.de ist so gesehen eine klassischer Web 2.0-Dienst im Mitmachsektor.

Das mit dem Mitmachen nehmen die Teilo-Chefs sehr wörtlich. Wer einen Artikel leihen möchte, muss sich für die Übergabe und die Rückgabe schon persönlich mit dem Verleiher treffen. Der Postweg ist von den Gründern nicht vorgesehen.

"Wir wollen, dass sich zwischen den Menschen Beziehungen entwickeln", sagt Brandt. Darum wollen sie auch keine gewerblichen Anbieter auf ihren Seiten sehen. Das wäre beziehungslos. Da lernen sich die Menschen nicht kennen.

Sie sind gewarnt worden. Brandt hat seine Ideen in mehreren Businessplan-Wettbewerben eingereicht. Die Rückmeldungen waren im Grundsatz positiv, der Plan exzellent ausgearbeitet. Nur einen Markt hat keiner der Juroren gesehen.

Sie haben es dennoch versucht. Und noch sind sie nicht gescheitert. Ein Jahr wollen sie an ihrem bisherigen Konzept festhalten. Sie hoffen auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Geld für Marketing haben sie nicht. Sie könnten sich das Geld leihen. Nein, nein, da winken beide ab. "Wir wollen unabhängig bleiben", sagt Würker. Man könnte auch sagen, sie wollen sich nicht kaufen lassen.

© SZ vom 7.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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