Virtuelle Cliquenbildung:"Kennen wir uns nicht irgendwoher?"

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Die Plattform "Lokalisten.de'' hat Erfolg mit Netzwerk-Smalltalk. Fünf Freunde aus München gründeten das Unternehmen, das sich inzwischen zu einer dynamisch wachsenden Firma gemausert hat - das überzeugte auch die Pro Sieben Sat1 Media AG.

Titus Arnu

Hanni-Bunny kennt Crazy Punker, Fritzenboy und Wubiwu. Wubiwu wiederum mag Honolulu, Hundepuuup und Samba, der wiederum Hanni-Bunny kennt. Ein virtueller Freundeskreis schließt sich.

Hanni-Bunny, Wubiwu und Samba benutzen die Website Lokalisten.de zum Kontaktknüpfen. Die Jugendlichen tun im Internet das, was Freunde und Bekannte früher am Telefon oder gar in echt gemacht haben - sie tratschen, sie tuscheln, sie flirten, sie tauschen sich über Gefühle aus.

Samba teilt der Weltöffentlichkeit seinen Traum mit: "Ich wache in meiner Traumvilla in Sardinien auf neben mir liegen 8 hot chicks." Hanni-Bunny schreibt einer Internet-Bekanntschaft per mail: hdggggggl. Das bedeutet: "Hab' dich ganz, ganz, ganz lieb."

Das Geschäftsprinzip der Lokalisten

Kennen wir uns nicht irgendwoher? Die urälteste aller Anmachfragen ist Geschäftsprinzip bei den Lokalisten. Die jungen Mitglieder der Freundschafts-Seite, Durchschnittsalter 22, duzen sich quer durch das Land, obwohl sie sich großteils noch nie gesehen haben.

In der IVW-Internet-Rangliste haben die Lokalisten mit 480 Millionen Page Impressions pro Monat einen Platz unter den ersten zehn. Das liegt daran, dass sich tatsächlich immer irgendwelche Leute von irgendwoher kennen, und schon hat man einen Punkt zum Anknüpfen.

Gegründet von fünf Freunden aus München

Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte standen fünf Freunde aus München. Andreas Degenhart, Peter Wehner, Jürgen Gerleit, Norbert Schauermann und Andreas Hauenstein kannten sich zum Teil schon aus dem Sandkasten, zum Teil aus dem Studium, zum Teil über andere Freunde.

Eigentlich hatten die fünf Männer vor, zusammen ein Loft zu mieten und dort gemeinsam zu arbeiten. Da sich keine geeignete und bezahlbare Wohnung fand, zimmerten sie sich ihr virtuelles Wohnzimmer im Netz.

Der Grundgedanke: Das Internet hilft, Freundschaften zu pflegen. Zumal die Vernetzung per Internet schneller und einfacher funktioniert als im wahren Leben. Hanni-Bunny, Wubiwu und Konsorten pflegen bei Lokalisten.de einen virtuellen Freundeskreis von zwanzig bis fünfzig Personen. In der Realität wäre so etwas ziemlich schwer zu handhaben, im Netz genügen ein paar nette Zeilen, um den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Freundschaften pflegen

Bei den Lokalisten können angemeldete Nutzer ihren Freundeskreis nach dem Vorbild von OpenBC, Friendster und ähnlichen Social-Networking-Plattformen verwalten und pflegen.

Das persönliche Profil gibt Aufschluss über Hobbys, Lebensträume und Lieblingslieder, der Freundesbaum bildet das wachsende Beziehungsgeflecht ab.

Das Wachstum ist in die Plattform mit eingebaut, denn Lokalisten können Freunde und Bekannte einladen, Mitglied zu werden, was offensichtlich hervorragend funktioniert - von Anfang 2006 bis Anfang 2007 haben sich 650.000 User angemeldet.

Ganz neu: Gruppenbildung

Als vergangene Woche eine neue Funktion auf der Website gestartet wurde, mit der angemeldete Nutzer Kleingruppen bilden können, wurden innerhalb eines Tages 130 Lokalisten-Cliquen gegründet. Täglich melden sich bis zu 1000 neue Mitglieder an.

Der Unterschied zu anderen Chat-Seiten und der eigentliche Grund für den Erfolg der Lokalisten: Beziehungen werden am Bildschirm sichtbar. Auf einen Klick erscheint ein Sympathie-Organigramm auf dem Bildschirm, an dem man ablesen kann, wer mit wem kann und warum. Darüber hinaus sind die Lokalisten - der Name sagt es schon - lokal verankert.

"Die Wahrscheinlichkeit, jemanden real zu treffen, ist höher als bei anderen Communities", sagt Andreas Hauenstein. Der lokale Bezug führt umgekehrt dazu, dass echte Freundeskreise - Schulkameraden, Vereinsmitglieder oder Arbeitskollegen - auch eine Internet-Gemeinschaft bilden, indem sie sich nach und nach bei den Lokalisten anmelden.

Explosionsartiges Wachstum

Das Geschlechterverhältnis ist ausgewogen, die Hälfte sind Frauen, die andere Hälfte Männer, auch das ist ein Unterschied zu den bekannten Flirt-Chats.

Durch die Verästelung der Freundschaftsbäume und deren lokale Verwurzelung wächst Lokalisten.de explosionsartig. Aus dem ursprünglichen privaten Fünfer-Freundeskreis ist eine expandierende Firma mit 30 Mitarbeitern geworden, die eine Büroetage im Zentrum Münchens belegt.

Degenhart, Hauenstein, Gerleit, Wehner und Schauermann sind immer noch befreundet, aber mittlerweile auch Gesellschafter der Lokalisten Media GmbH. Im Oktober 2006 stieg die Pro Sieben Sat1 Media AG mit einem 30-Prozent-Anteil in das Freundes-Netzwerk ein.

Expansion ins Ausland, Videos und mehr

Die Lokalisten werkeln eifrig an neuen Standorten, bereiten die Expansion ins Ausland vor und wollen demnächst Videos und Musik integrieren. Hilfe bekommen die fünf Freunde von ihren 650.000 neuen Freunden.

"Web 2.0-User sind sehr kreativ", sagt Norbert Schauermann. Neue Ideen kommen vor allem von den Mitgliedern, deren Wunsch es zu sein scheint, sich verstärkt in Bild und Ton im Netz präsentieren zu können.

Neun Millionen Bilder haben Lokalisten-Mitglieder hochgeladen und auf ihre persönlichen Seiten gestellt. "Selbstdarstellung ist ein Grundbedürfnis des Menschen," sagt Andreas Degenhart. Deshalb wird demnächst eine neue Funktion eingeführt, mit der Nutzer Heimvideos hochladen können.

Dynamisch wachsende Firma

Mittlerweile sehen sich die Lokalisten-Gründer häufiger, denn sie arbeiten täglich zusammen in der dynamisch wachsenden Firma. Kontakte werden bei Teambesprechungen, Strategieplanungen und Personalentscheidungen gepflegt.

"Die Freundschaft untereinander ist durch die Arbeit eher noch intensiver geworden", sagt Norbert Schauermann. Es funktioniere gut, zu fünft eine Firma zu leiten, bestätigt Andreas Hauenstein, bloß sei der Wunsch, sich öfters persönlich zu treffen, nicht mehr ganz so dringend wie früher.

Trotzdem gehen die fünf Freunde alle paar Wochen gemeinsam an den Ort, an dem die Idee zur Firma entstand. Beim rituellen Currywurstessen im Münchner Lokal "Burg Pappenheim" reden die Freunde dann gerne darüber, wie erstaunlich es ist, dass sich viele Leute in einer Stadt über ein paar Ecken kennen - ganz real, ohne vorherige Verabredung im Cyberspace.

© SZ vom 02.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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