Versicherungen:Hormone ja, Operation nein

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Demo 2017 vor dem Kanzleramt, als im Bundestag über die „Ehe für alle“ abgestimmt wurde. (Foto: Regina Schmeken)

Wer sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem er geboren wurde, kann große Probleme mit der Krankenversicherung haben. Das fängt schon beim Formularausfüllen an.

Von Nina Nöthling, Köln

Mann oder Frau. Die meisten Menschen müssen sich keine Gedanken machen, wenn sie beim Ausfüllen eines Formulars das Geschlecht angeben. Für Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden, oder weder männlich noch weiblich sind, ist das schon die erste Hürde. In der Krankenversicherung treffen sie auf weitere besondere Schwierigkeiten.

Viele Transgender und Intergender verstehen sich als Teil der LSBTQI+-Gemeinschaft. Das steht für lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer und inter.

Auch beim Digitalmakler Clark mussten Kunden bis vor einem Jahr zwischen Mann oder Frau wählen. "Nachdem einige Kunden das bemängelt haben, haben wir das dritte Geschlecht hinzugefügt", berichtet Marco Adelt, Mitgründer und Managing Direktor bei Clark.

Wer nach einer geschlechtsangleichenden Operation Namen und Geschlecht beim Versicherer ändern will, hat kein Problem. Da seit 2012 alle neu abgeschlossenen Tarife in der privaten Krankenversicherung (PKV) geschlechtsunabhängig kalkuliert werden - sogenannte Unisex-Tarife - ändert sich auch nichts an den Beiträgen, erklärt eine Allianz-Sprecherin. Bei den gesetzlichen Kassen (GKV) waren die Beiträge auch schon vorher gleich.

Anders sieht es in der PKV aus, wenn der Vertrag vor 2012 geschlossen wurde. "Sollte derjenige noch einen alten Vertrag haben, dann würde sich die Prämie ändern", erklärt ein Sprecher der Debeka, des größten privaten Krankenversicherers. Für Frauen sind die alten Tarife teurer. "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Kunden trotzdem den Tarif wechseln wollen", so der Sprecher. "Sie wollen voll anerkannt werden und sind dafür bereit, höhere Beiträge zu zahlen."

Wer die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation von seinem Versicherer erstattet bekommen will, hat große Schwierigkeiten, sagt Adelt von Clark. "Bei der PKV ist es etwas einfacher als in der GKV, weil der Spielraum größer ist." Zu den Hürden gehört eine 18-monatige Psychotherapie, die Betroffene durchlaufen müssen, bevor eine OP bewilligt wird. Außerdem muss der Therapeut bescheinigen, dass der Leidensdruck hoch ist, sprich der Patient täglich darunter leidet, sich mit dem eigenen Körper unwohl zu fühlen, erklärt Kalle Hümpfner, Fachreferent_in für gesellschaftspolitische Arbeit beim Bundesverband Trans* e.V..

Bei den gesetzlichen Kassen entscheidet dann der Medizinische Dienst der Krankenkassen, ob alle Kriterien für den Eingriff erfüllt sind. "Diese Kriterien wurden allerdings 2009 festgelegt und beruhen auf dem Wissensstand der 90er-Jahre", bemängelt Hümpfner. "Neueste wissenschaftliche Leitlinien besagen, dass der Zugang zu geschlechtsangleichenden Operationen sehr wichtig ist, da sie psychische Belastung reduzieren und Lebensqualität steigern." Die Kassen berücksichtigen diese Neuerungen aber noch nicht und beeinträchtigen damit die Gesundheit ihrer Versicherten, kritisiert Hümpfner. In der PKV entscheidet jeder Versicherer selbst.

Die Kosten für eine Geschlechtsumwandlung können 50 000 Euro betragen

Auch die Epilation von Barthaaren ist ein häufiger Streitpunkt. Versicherer lehnen die Behandlung zwar nicht per se ab. Der Bundesverband Trans* kritisiert jedoch, dass die Sätze für die Behandlung zu niedrig sind. "Dafür macht das keine ärztliche Praxis", erklärt Hümpfner. Gesetzliche und private Krankenversicherer schreiben vor, dass ein Arzt die Behandlung durchführen muss. Kosmetiker oder andere Fachleute, die weniger verlangen, dürfen die Behandlung nicht übernehmen.

Die Debeka widerspricht dem Vorwurf. "Geschlechtsangleichende Operationen werden bezahlt, genauso wie die Epilation, wenn sie medizinisch notwendig sind", sagt der Sprecher. "Wir haben außerdem Wege gefunden, dass auch kosmetische Fachleute die Epilation durchführen können." Pro Sitzung zahlt der Versicherer 50 bis 60 Euro. "Mit diesem Satz hatten wir in der Vergangenheit keine Probleme."

Die Kosten für eine geschlechtsangleichende OP haben es in sich. Entscheidend ist, ob weibliche oder männliche Geschlechtsteile entstehen sollen. "Grundsätzlich lässt sich sagen, dass 50 000 Euro sicherlich nicht zu viel sind für alle Aufwendungen", so der Debeka-Sprecher. Bei der Debeka zählen die 18-monatige Psychotherapie sowie die Epilation zu den dazugehörigen Anwendungen.

Es gibt auch gute Nachrichten. Hormonbehandlungen werden von GKV und PKV übernommen. "Für eine Hormonbehandlung ist inzwischen ein ärztliches oder psychotherapeutisches Indikationsschreiben ausreichend", berichtet Hümpfner.

Welche Versicherer die Kosten für die Behandlungen übernehmen, ist nicht einfach herauszufinden, sagt Adelt vom Makler Clark. "Das steht meistens nicht in den Bedingungen." Er empfiehlt, sich an einen Vermittler zu wenden.

© SZ vom 14.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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