Versicherungen:Ab in die Garage

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Seit einiger Zeit mischen junge Unternehmen die Versicherungsbranche mit digitalen Angeboten auf. Das hat die etablierten Konzerne in Bewegung gebracht - ein Besuch in einem der Entwicklungslabors der Allianz.

Von Anne-Christin Gröger, Stuttgart

Von außen deutet wenig darauf hin, dass hinter den schmucklosen Glasfassaden des Bürogebäudes in der Stuttgarter Silberburgstraße Europas größter Versicherer an seiner digitalen Zukunft arbeitet. Hier sitzt eines der innovativen Schnellboote der Allianz, im Fachjargon "Agiles Trainingscenter" (ATC) genannt, mit dem die Gesellschaft auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren will. Technikaffine und überwiegend junge Mitarbeiter werkeln in schönster Start-up-Manier an neuen digitalen Produkten und Angeboten. Die Atmosphäre ist locker, einige der Kollegen tragen weiße Hemden, andere sind in Shorts und T-Shirts zur Arbeit erschienen. Krawatte trägt keiner, anders als in der Allianz-Leben-Zentrale in der Reinsburgstraße nur ein paar Hundert Meter weiter.

Ein Ziel: eine App, mit der Kunden Riester-Zulagen verwalten können

Im hinteren Teil des Großraumbüros erfüllen sich alle Klischees, die über Start-ups im Umlauf sind: Kicker, Tischtennisplatte und eine durchgestylte Kaffeeküche laden die Entwickler zu einer kreativen Pause auf einem der knallgrünen Sitzsäcke ein. Danach sollen sie wieder hoch motiviert an ihre Arbeit zurückkehren.

55 Mitarbeiter arbeiten derzeit am Standort Stuttgart in Projektteams daran, was Deutschland-Chef Manfred Knof zu den wichtigsten Initiativen des Unternehmens zählt: den digitalen Umbau des Konzerns voranzubringen. Die Allianz-Garagen, die der Versicherer auch in München und in London betreibt, sind eine längst überfällige Reaktion auf die jungen Insurtechs, die Start-ups der Versicherungsbranche, wie Knip, Clark oder Community Life, die mit ihren neuen Geschäftsmodellen die Branche umkrempeln wollen.

Seit Juni gibt es das Trainingszentrum in Stuttgart. "Durch die räumliche Entfernung zur Zentrale in der Reinsburgstraße und durch die kleinen Teams können wir hier schneller an Innovationen arbeiten und schneller Ergebnisse erzielen als während eines klassischen Produktentwicklungsprozesses", sagt Petra Günthner, Leiterin des ATC. Nach den ersten 100 Tagen sollen die Teams erste Ergebnisse präsentieren. Die müssen nicht komplett fertig sein, sie müssen aber funktionieren.

Alle 14 Tage werden die Zwischenresultate Testkunden gezeigt. So kann schnell gegengesteuert oder eine Anwendung neu programmiert werden, wenn etwas dem Kunden nicht gefällt oder der Prozess zu kompliziert wird. Für die behäbige Versicherungswirtschaft ist das etwas Neues. In ihren Konzernzentralen läuft es oft anders: Normalerweise dauert die Entwicklung von Innovationen Jahre, auch weil IT-Leute und Versicherungsexperten nebeneinanderher arbeiten und weil die Konzernhierarchie keine schnellen Entscheidungen zulässt.

In den Teams des ATC arbeiten Aktuare, IT-Fachleute, Programmierer, Mitarbeiter aus der Betriebsorganisation und Marketingfachleute auf engstem Raum zusammen. Jede Fachgruppe hat einen inhaltlichen Leiter, "Product Owner" genannt. Er ist in der Regel derjenige, der die Versicherungsexpertise hat.

Die aktuellen Projekte des ATC in Stuttgart: Die komplett online ablaufende Antragstellung für eine Risikolebensversicherung mit Risikoprüfung, die Entwicklung eines volldigitalen Allianz-Depots für Kundengelder und eine App, mit der Kunden Riester-Zulagen beantragen und verwalten können.

"Wir müssen den Mut haben, Dinge auszuprobieren."

Nicht nur die Allianz setzt bei ihren Produktneuerungen auf digitale Garagen. Auch Axa, W & W oder Ergo betreiben solche Projekte oder haben sie in Planung. Ob diese Herangehensweise die richtige ist, um auf den digitalen Wandel zu reagieren - darüber sind Experten unterschiedlicher Meinung. Tatsache ist allerdings, dass andere Anbieter in die Lücke stoßen und die Versicherer verdrängen werden, wenn die etablierten Anbieter nicht schnell mit eigenen Lösungen auf den Markt kommen.

Alf Neumann, Vorstand der Allianz Leben, glaubt, dass die Allianz mit ihrem ATC erfolgreich sein wird. Dabei betont er den experimentellen Charakter der digitalen Garage. "Es muss nicht immer alles sofort klappen, wir müssen aber den Mut haben, Dinge auszuprobieren", sagt er.

Demnächst sind für die ersten Entwicklerteams die 100 Tage um. Dann müssen die Allianz-Tüftler vor einem Expertengremium die Ergebnisse vorstellen und gegebenenfalls rechtfertigen. "Dann wird entschieden, welche Projekte weiter vorangetrieben werden und bei welchen wir noch nachbessern müssen", sagt ATC-Leiterin Günthner.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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