Verschuldung:Zwölf bedrohliche Nullen

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Weltweit wachsen die Schulden - und zwar so schnell, dass es die IWF-Ökonomen beunruhigt: Das erinnere an die Zeit vor der Finanzkrise. Besonders ungezügelt gibt China Geld aus.

Von Christoph Giesen und Nikolaus Piper, Peking/München

Unternehmen und Regierungen sind - neun Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise - so stark verschuldet wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. In ihrem neuesten "Global Fiscal Monitor" beziffern Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Gesamtschulden in der Welt mit 152 Billionen Dollar. Das entspricht 225 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Zwei Drittel der Summe, etwa 100 Billionen Dollar, haben die Unternehmen angehäuft. Der Bericht enthält die bisher umfassendste Bestandsaufnahme des globalen Schuldenproblems. Die Lage sei zwar von Land zu Land unterschiedlich, schreibt der IWF. Die schiere Größe des Schuldenberges jedoch berge die Gefahr, dass ein "beispielloser" Prozess des Schuldenabbaus einsetzt. Der würde dann den ohnehin schwachen Aufschwung der Weltwirtschaft zunichtemachen. Als Konsequenz fordert der IWF die Regierungen zu einer Politik der Wachstumsförderung auf.

Der Fiscal Monitor zeigt, wie widersprüchlich die Lage seit der Finanzkrise ist. Anders als erwartet haben die Unternehmen in der Summe den Aufschwung nicht genutzt, um ihre Bilanzen zu bereinigen und Schulden abzubauen, im Gegenteil: "In einigen systemisch wichtigen Schwellenländern ist die private Verschuldung in den vergangenen Jahren schnell gestiegen. Das Tempo dieses Wachstums erinnert auf gefährliche Wese an die Entwicklung vor der globalen Finanzkrise", schreibt der IWF. In den Industrieländern sei das Bild gemischt, es gibt jedoch, besonders in Europa, eine klare Verbindung zur Krise in den großen Banken: Einige Unternehmen beginnen tatsächlich damit, ihre Schulden abzubauen; in Verbindung mit dem niedrigen nominalen Wachstum schafft dies aber einen "Teufelskreis", der die Banken daran hindert, ihre Bilanzen zu bereinigen. Auch die hohen öffentlichen Schulden sind gefährlich, denn sie erschweren es den Regierungen im Falle einer neuen Krise, energisch gegenzusteuern. Und bei allem ermutigen die Notenbanken mit Niedrig- oder Nullzinsen auch noch das Schuldenmachen.

Der IWF räumt ein, dass die Lösung des Problems in einer Welt ohne Inflation schwer ist. Er rät den Regierungen ganz generell zu einer Politik, die die "wirtschaftliche Aktivität" fördert. Außerdem sollen sie die Restrukturierung privater Schulden und die Sanierung der Banken unterstützen. In der Bilanz bleibt der Fonds jedoch vage. Stark vereinfacht heißt die Empfehlung: Schuldenabbau, aber nicht zu schnell.

Ein besonderer Fall ist die Volksrepublik China. Das Land gibt derzeit ungezügelt Geld aus, was Fachleute auf der ganzen Welt zunehmend besorgt. Der IWF bemängelt besonders, dass aus dem Land keine verlässlichen Daten vorliegen. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass die chinesischen Schulden zwischen 2000 und 2014 insgesamt um 26,1 Billionen Dollar gestiegen sind. Das ist mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten, Japans und Deutschlands zusammen. Als 2008 die Olympischen Spiele in Peking stattfanden, lag die Gesamtverschuldung der Volksrepublik, also die gewährten Kredite für Unternehmen, private Haushalte und das Staatsbudget, bei etwa 145 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Inzwischen dürften es nach Schätzungen von Analysten und Wissenschaftlern mehr als 250 Prozent sein. Da sich die chinesische Wirtschaftskraft in den vergangenen acht Jahren aber mehr als verdoppelt hat, muss sich die Schuldenlast insgesamt etwa vervierfacht haben. Und genau dieser rasante Anstieg beunruhigt die Fachleute. Auch die als eher nüchtern geltende Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel warnte deshalb bereits vor zwei Wochen vor einer chinesischen Schuldenblase.

2008 noch brachte jeder Yuan Kredit direkt einen Yuan an Wirtschaftswachstum ein. Heute müssen laut IWF fast vier Yuan investiert werden, um das Bruttoinlandsprodukt um einen Yuan zu steigern. Der Grund: Das Geld fließt in die alte Industrie. Es sind vor allem die Staatsunternehmen, die sich mit billigem Geld verschuldet haben. Sie produzieren Stahl, Aluminium oder Zement und haben gewaltige Überkapazitäten angehäuft. Auch etliche Infrastrukturprojekte werden über Schulden finanziert, neue Flughäfen, das größte Schnellbahnnetz der Welt. In nahezu jeder Provinzhauptstadt fahren inzwischen U-Bahnen. Alleine Chinas Staatsbahn hat in ihrer Bilanz Schulden in Höhe von 637 Milliarden Dollar stehen.

152 Billionen Dollar, so hoch sind die Gesamtschulden in der Welt. Das entspricht 225 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts, haben Ökonomen ausgerechnet. Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: xx)

Ein einflussreicher chinesischer Beamte sagte, man müsse die Lage jetzt unter Kontrolle bringen

In China selbst hat man längst erkannt, dass das exzessive Geldausgeben irgendwann nicht mehr zu kontrollieren ist. Im Mai veröffentlichte die Volkszeitung ein für chinesische Verhältnisse bemerkenswertes Interview. Darin forderte ein ungenannter "einflussreicher Beamte" die Politik auf, die Verschuldung endlich unter Kontrolle zu bekommen. Im Apparat wird vermutet, dass der anonyme Kader niemand anderes war als Liu He, der wichtigste Wirtschaftsberater von Parteichef Xi Jinping.

Doch so einfach lässt sich das Schuldenmachen womöglich gar nicht einstellen. Das Problem der Führung ist hausgemacht. Noch immer gilt der unausgesprochene Deal zwischen Partei und Bevölkerung: Ihr haltet den Mund und wir stellen sicher, dass die Wirtschaft brummt." Der Export ist seit einigen Jahren an seine Grenzen gestoßen, der Konsum fängt das noch nicht auf. Die Folge: Immer neue Staatsaufträge. Zuletzt verkündete die Regierung im Mai in einer dürren Meldung, dass sich die Ausgaben für neue Infrastrukturprojekte in den kommenden drei Jahren auf 4,7 Billionen Yuan (umgerechnet etwa 630 Milliarden Euro) belaufen werden. Das entspricht ziemlich genau zwei Mal dem deutschen Bundeshaushalt.

Insgesamt eine heikle Situation, auf der ganzen Welt. Bereits im Juni hatte die BIZ gewarnt, dass ein "riskanter Dreiklang" von niedrigem Produktivitätswachstum, hohen Schulden und der Nullzinspolitik der Notenbanken die Weltwirtschaft gefährde.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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