Um die Zahl der Verkehrstoten zu senken, hat sich die EU-Kommission auf radikale Maßnahmen geeinigt. Ab 2022 sollen alle neu zugelassenen Fahrzeuge in Europa mit bestimmten Sicherheitssystemen ausgestattet werden. Darunter fallen auch Funktionen, die den Fahrer permanent überwachen und Daten aufzeichnen.
Um die Hersteller zu verpflichten, die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen, wird die EU-Verordnung über die allgemeine Sicherheit von Fahrzeugen überarbeitet. Darin wird in Zukunft stehen, dass alle Autos, Lastwagen und Busse, die ab 2022 auf den Markt kommen, mit einem Warnsystem ausgestattet sein müssen. Dieses soll Ablenkung oder Müdigkeit am Steuer erkennen. Außerdem werden Abstandstempomaten sowie Systeme, die beim Rückwärtsfahren assistieren, zur Pflicht. Bei Unfällen soll eine "Blackbox" Daten aufzeichnen. Für Autos sind weiterhin Spurhalteassistenten und Notbremsassistenten vorgeschrieben.
Darüber hinaus könnte die Kommission mit ihrer Einigung auch die Diskussion um Abbiegeunfälle mit Lastwagen beenden. Für Lkw und Busse macht sie besondere Vorgaben. Dabei ist explizit von Systemen die Rede, die andere Verkehrsteilnehmer vor und neben dem Fahrzeug erkennen und den Fahrer vor allem beim Abbiegen warnen sollen. In Deutschland hatte sich Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für technische Assistenzsysteme starkgemacht, um Unfälle beim Abbiegen von Lastwagen zu verhindern. Einige Hersteller bieten diese Systeme in Neufahrzeugen bereits für rund 1500 Euro an, jedoch nutzen die meisten Logistik-Unternehmen sie aktuell vor allem aus Kostengründen noch nicht. Allerdings würde auch diese Vorschrift nur für Fahrzeuge gelten, die ab 2022 auf den Markt kommen. Von Nachrüstung ist keine Rede.
In der EU und in Deutschland wird es für die Menschen immer unwahrscheinlicher, im Straßenverkehr zu sterben (siehe Grafik). Im Jahr 2017 kamen der EU-Kommission zufolge etwa 25 300 Menschen auf Europas Straßen ums Leben. Eigentlich sollte die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2010 und 2020 um die Hälfte sinken. Doch die Zahlen für 2017 zeigen, dass bis dahin gerade einmal zwanzig Prozent weniger Menschen auf Europas Straßen ums Leben gekommen sind. Laut EU-Kommission sind 90 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Das langfristige Ziel sei, die Zahl der Toten und Schwerverletzten bis 2050 auf nahezu null zu bringen ("Vision Zero"). Das Parlament und die Mitgliedstaaten müssen den Kompromiss noch bestätigen, was normalerweise Formsache ist.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) äußerte sich positiv zu den Vorschlägen. "Die Systeme sind heute zum Teil schon serienreif oder befinden sich in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium", teilte der Verband mit. Auch der ADAC findet viele der Maßnahmen sinnvoll, gibt aber zu bedenken, "dass die Systeme ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen müssen". Denn wenn auch jeder Kleinwagen mit den teuren Sicherheitssystemen ausgerüstet werden muss, könnte das für die Kunden deutlich höhere Kaufpreise bedeuten.
Wie genau das Fahrverhalten der Autofahrer künftig dokumentiert werden und wie diese Daten nach Unfällen verwertet werden sollen, ist noch offen. Genau wie die Frage, ob der Fahrer die Systeme verpflichtend einschalten muss, oder ob es reicht, sie an Bord zu haben. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC), eine Nichtregierungsorganisation, die den Straßenverkehr sicherer machen will, lobte die Entscheidung. "Es gab nur eine Handvoll Momente in den vergangenen 50 Jahren, die als Meilensteine für die Verkehrssicherheit in Europa bezeichnet werden können", sagte ETSC-Direktor Antonio Avenoso. Die geplanten Änderungen seien nun einer davon und ähnlich einschneidend wie einst die Einführung der ersten Anschnallgurte.
Auch wenn die Vorgaben nur Systeme umfassen, die den Fahrer unterstützen sollen und über die er sich jederzeit hinwegsetzen kann, macht die EU-Kommission klar, wohin die Reise geht. Man wolle die "Akzeptanz automatisierter Fahrzeuge verbessern" und damit den "Übergang zum autonomen Fahren erleichtern", heißt es in der Pressemitteilung.
Einer Sprecherin der PSA-Gruppe, zu der Renault, Citroën, Peugeot und Opel gehören, sagt über die neuen Sicherheitsanforderungen für 2022: "Das ist machbar". PSA finde strengere Sicherheitsvorgaben grundsätzlich gut. In den Fahrzeugen des Konzerns sei aber schon heute "sehr, sehr viel" verbaut. Daimler bezeichnet die Zeitvorgabe als "anspruchsvoll", man müsse aber erst einmal prüfen, ob die jetzigen Systeme nicht schon die jetzt vorgeschlagenen Sicherheitsanforderungen erfüllen: "Wir sehen uns grundsätzlich gut gerüstet." Ähnlich sieht es bei Volkswagen aus, die neuen Fahrzeugmodelle der Konzernmarken würden ab 2022 den neuen Sicherheitsanforderungen entsprechen, sagt ein Sprecher. Steigende Kaufpreise könne man zwar derzeit nicht ausschließen, doch es sei noch zu früh, genauere Aussagen zu treffen.