Vergabe neuer Domains durch Icann:Milliardenpoker in Peking

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Wie soll das Internet in Zukunft aufgebaut sein? Darüber wird an diesem Wochenende beim Treffen der Icann in Peking beraten. Die Organisation will neue Domains verteilen: Neben .de und .com könnte es dann auch .apple oder .gay geben. Dabei geht es vor allem um Macht - und um Milliarden von Dollar.

Von Johannes Boie

Im Herbst werden sich viele Menschen ziemlich wundern. Denn dann werden sich im Internet ein paar altgewohnte Sachen grundlegend verändern. Plötzlich werden Internetadressen nicht länger wie bisher nur mit den bekannten Endungen wie .net, .com oder .de aufhören, sondern zum Beispiel auch mit .web, .app oder .shop. Schritt für Schritt werden auch Firmennamen als diese sogenannten Top Level Domains (TLD) auftauchen. Beispiele dafür sind .apple oder .google.

Die Erweiterung ist spannend für die Internetnutzer, weil die vielen neuen Endungen das Netz vielfältiger und bunter machen werden. Es steckt aber wesentlich mehr hinter der Entwicklung. Bei der Einführung der neuen TLDs geht es um Milliarden Dollar, es geht um eine der größten finanziellen Spekulationen, die es jemals im Internet gegeben hat, und es geht ganz grundsätzlich darum, wie das Internet aufgebaut ist und wer über die Technik entscheiden darf, die es am Laufen hält.

An diesem Sonntag beginnt in Peking ein Treffen der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann). Die amerikanische Non-Profit-Organisation verwaltet und reguliert die Grundlagen der Internettechnik, wozu auch die Internetadressen gehören. Und genau bei denen wird sich einiges ändern. Bei einem früheren Treffen der Icann im Jahr 2011 in Singapur hatten sich die Mitglieder darauf geeinigt, dass es künftig mehr Endungen für Internetadressen geben soll. Als das Netz vor vielen Jahren als militärisches Forschungsprogramm entstand, konnte niemand ahnen, wie groß der Bedarf an Webseiten sein würde. Heute ist das Netz neben vielem anderen aber vor allem ein großer Marktplatz.

Amazon vs. Amazonas

Deshalb können Firmen künftig ihren Firmennamen als TLD beantragen. Das bedeutet, dass es statt apple.com künftig buy.apple oder go-for.apple heißen könnte. Weitere bekannte Marken, die als TLD erscheinen werden sind .volkswagen, .audi, .lancia etc. Soweit, so unproblematisch.

Die ersten Probleme aber treten bei Unternehmen auf, deren Namen noch eine andere, möglicherweise wichtigere oder öffentliche Bedeutung haben als nur den Markennamen, zum Beispiel .amazon oder .patagonia. Die beiden Begriffe stehen nicht nur für den Onlinehändler oder den Outdoorausrüster, sondern auch für das Amazonas-Gebiet in Brasilien und eine chilenische Landschaft. Folglich haben beide Länder über den Icann-Regierungsbeirat Beschwerden geltend gemacht, über die in Peking diskutiert werden wird.

250 Einsprüche haben unterschiedliche Regierungen bereits vorab geltend gemacht, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Iran hat zum Beispiel einen Einspruch formuliert, um die Domainendung .gay zu verhindern. Homosexualität wird in dem Land mit Strafen bis hin zum Tod geahndet. Nun muss auch über diesen Einwand in Peking geredet werden. Für Deutschland ist ein Regierungsvertreter aus dem Wirtschaftsministerium vor Ort.

Die Endung .gay gehört in die kritischste Gruppe der neuen TLDs, Fachleute sprechen von "generischen TLDs". In dieser Gruppe sind Begriffe, die keine Markennamen sind, Worte wie zum Beispiel .app, .web, .shop oder .book. Da stellt sich natürlich die Frage, ob ein Buchhändler die TLD .book alleine besitzen darf. Das wäre ein großer Wettbewerbsvorteil.

Außerdem fallen in diese Gruppe Begriffe, an deren Verwendung öffentliches Interesse bestehen könnte, wie zum Beispiel .health oder .bank. Sollen diese gar nicht zum Verkauf oder nur unter bestimmten Bedingungen freigegeben werden? In Peking wird darüber debattiert. Die Regierungen können zu solchen Fragen eine Art offiziellen Wunsch äußern, an den sich die Icann erfahrungsgemäß halten würde.

In dem Regierungsbeirat sind mehr als 100 Nationen vertreten, er steht allen von der UN anerkannten Staaten offen. Deshalb ist die Frage eher, ob sich die Regierungen in all ihren Punkten einigen und einen gemeinsamen Wunsch abgeben können. Entscheidungen über die Einsprüche von staatlicher Seite wird es erst nach den drei Tagen in Peking geben, wenn alle Debatten geführt wurden.

So steht die Pekinger Konferenz unter massivem Druck, denn der Markt verlangt nach Entscheidungen. Es hat zwar bereits in den Jahren 2000 und 2004 neue TLDs gegeben, aber die jetzt angestrebte Erweiterung ist weit größer, es geht um bis zu 1500 neue TLDs. Dabei liegen ungeachtet der Bedenken für die generischen Endungen zahlreiche Bewerbungen von privaten Unternehmen vor, allein Google hat sich für etwa 100 TLDs beworben. Um in den Besitz ihres Markennamens als TLD zu gelangen, mussten sich die Unternehmen zunächst bei der Icann bewerben. Tausende haben das getan. Die Kosten für eine Bewerbung liegen bei bis zu 500.000 Dollar.

Und wozu das alles? Nur der Vielfalt wegen? Grundsätzlich hoffen die Endkunden, die sich um neue Internetadressen bewerben oder sie in Auktionen erwerben möchten, auf besseres Marketing. Bei großen Internetkonzernen kann man davon ausgehen, dass die TLD auch ohne bestehendes Geschäftsmodell gekauft werden sollen, Hauptsache, man hat sie in Besitz.

Stabilität des gesamten Netzes bedroht?

Ein großes Geschäft wittern auch die Registrare. Das sind Unternehmen, die Domains an Endkunden weiterverkaufen, in Deutschland zum Beispiel 1&1 oder Hosteurope. Sie hoffen auf ein Millionengeschäft, weil sie künftig mehr Internetadressen verkaufen können werden. Viele glauben, dass künftig jeder Mensch eine Internetadresse braucht, so wie eine Telefonnummer. Dann wäre das Geschäft gigantisch: Es gibt derzeit 250 Millionen Domainnamen im Netz, aber es gibt 3,5 Milliarden Internetnutzer. Kritiker sagen dagegen, dass den meisten Menschen ihr Facebook-Profil oder ähnliches genügen wird.

Andere fürchten dagegen, dass die vielen neuen Adressen und Endungen die Stabilität des gesamten Netzes bedroht. Jene Listen, die jeder Internetadresse eine Nummer zuordnen, weil Computer keine Worte, sondern Nummern lesen, könnten zu umfangreich werden. Wie realistisch solche Szenarien sind, ist unklar, weil es einen Ausbau dieser Größe nie gegeben hat.

Das Treffen in Peking wird also spannend, und das ausgerechnet vor chinesischer Kulisse. Die Internetindustrie des Gastgeberlandes bedroht mit 500 Millionen Nutzern die amerikanische Konkurrenz; gleichzeitig trifft man sich in einem Land, in dem freie Rede auch im Netz nur dann frei ist, wenn sie keine Kritik an der Regierung enthält.

© SZ vom 06.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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