Vereinigung Boden über Verdi:"Streik der Funktionäre"

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Für die Vereinigung Boden war der Lufthansa-Protest vor allem ein Streik der Verdi-Funktionäre. Ihnen sei es nur um die Bilder gegangen, sagt Verbandschef Fell.

Melanie Ahlemeier

Rüdiger Fell ist Vorsitzender der Vereinigung Boden. Die seit Mai 2001 ins Vereinsregister eingetragene Organisation zählt derzeit rund 1000 Mitglieder und gründete sich aus Enttäuschung über die traditionellen Gewerkschaften. Bei der Lufthansa ist neben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der Unabhängigen Flugbegleiter Organsiation (UFO) auch die Vereinigung Cockpit vertreten - und die Vereinigung Boden. Fell arbeitet seit mehr als 25 Jahren bei der Lufthansa, er ist außerdem Betriebsratsvorsitzender der Lufthansa Basis in Frankfurt.

Rüdiger Fell ist Vorsitzender der Vereinigung Boden und Betriebsratschef der Lufthansa in Frankfurt. (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Herr Fell, Lufthansa und Verdi haben sich nach nicht mal einer Woche Streik auf einen Abschluss verständigt - war der Steik nur Show?

Rüdiger Fell: Ein so abruptes Ende lässt sicherlich Raum für Spekulationen. Ob es letztlich reine Show war, können nur Verdi-Funktionäre beantworten. Die Kollegen, die mitgestreikt haben, haben das sicher nicht so gesehen.

sueddeutsche.de: Ist Verdi der Verlierer des Streiks? Die Gewerkschaft hatte zunächst fast zehn Prozent mehr Lohn gefordert, jetzt gibt es rückwirkend zum 1. Juli 5,1 Prozent und im Juli 2009 eine weitere Erhöhung um 2,3 Prozent plus Einmalzahlung.

Fell: Eine schwierige Frage. Ich glaube, dass es für die Kollegen und das Unternehmen besser gewesen wäre, wenn Verdi sich unseren Vorschlag mit einer größeren Einmalzahlung, dem Inflationsausgleich und einer Arbeitsplatzgarantie über 2009 hinaus zu Eigen gemacht hätte. Das hätte uns mit großer Wahrscheinlichkeit den Streik und seine Kosten erspart. Am Ende wären die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Gewinner gewesen.

sueddeutsche.de: Hat Verdi mit der horrenden Lohnforderung von anfangs 9,8 Prozent mutwillig Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt ?

Fell: Die Kollegen sollen am Lufthansa-Gewinn partizipieren - aber nicht auf die Verdi-Weise. Die geforderten 9,8 Prozent gingen in die falsche Richtung, das macht die Arbeitsplätze ein Stück weit unsicherer. Wir kritisieren nicht den Streik an sich, sondern den Forderungsansatz von Verdi. Es ist ein Streik der Verdi-Funktionäre.

sueddeutsche.de: Verdi-Chef Frank Bsirske hat sich laut Bild-Zeitung vor fünf Wochen in den Urlaub verabschiedet und ist mit der Lufthansa erster Klasse in Richtung Südsee geflogen - kostenlos, weil er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns ist. Eine Unverschämtheit oder einfach nur schlechtes Timing?

Fell: Es ist nicht an mir, den Stab über Herrn Bsirske zu brechen. Sollte sein Verhalten jedoch dazu dienen, die Mitbestimmung in Deutschland in Verruf zu bringen, werde ich mich nicht daran beteiligen.

sueddeutsche.de: Die Lufthansa hat bereits gesagt, dass "die Schmerzgrenze" erreicht sei. War dieser Streik verhältnismäßig und vertretbar?

Fell: Er war weder vertretbar noch verhältnismäßig. Streiks in Deutschland enden immer mit Schlichtung. Die signalisierte Verhandlungsbereitschaft des Unternehmens, auch ohne Streik in eine Schlichtung zu gehen, war ein Signal, das man nicht einfach vom Tisch wischen konnte. Das war eher ein Indiz dafür, dass man diesen Streik und die Bilder brauchte, um damit Politik machen zu können.

sueddeutsche.de: Ein starker Vorwurf.

Fell: Ich glaube, dass es Verdi von Anfang an auf Konfrontation angelegt hatte - die brauchten das Getrommel. Es ist auch ein Ventil für die Lufthanseaten, denn über die Jahre wurde ihnen relativ wenig zugestanden. Das Ganze wurde jetzt mit einer "Streiksolidarität" vermischt, das ist ein Sog-Effekt.

sueddeutsche.de: Ein von Verdi-Chef Frank Bsirske kalkulierter Sog-Effekt?

Fell: Ich glaube schon, dass das im Kalkül drinsteckt.

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Szenen des Streiks
:Liegen geblieben

Abgesagte Flüge, Warteschlangen am Flughafen - der fünftägige Lufthansa-Streik in Bildern. Wegen fehlender Wartungen der Flugzeuge wird es noch wochenlang zu Verzögerungen kommen.

sueddeutsche.de: Verdi leidet seit Jahren unter einem massiven Mitgliederschwund. Ist die Dachgewerkschaft zu groß?

Während des Streiks blieben etliche Lufthansa-Maschinen am Boden. (Foto: Foto: dpa/Reuters)

Fell: Die Interessenspreizung bei Verdi ist groß. Da ist es schwierig, der Luftverkehrsbranche die Aufmerksamkeit zu geben, die vonnöten wäre.

sueddeutsche.de: Die Solidarität ist der Leitgedanke der Gewerkschaftsarbeit - ist der Fluggesellschaft das Zusammengehörigkeitsgefühl beim Streben nach Profitmaximierung abhandengekommen?

Fell: Solidarität ist sicherlich ein Wert, der nicht zu verachten ist. Aber die Solidarität kann nicht soweit gehen, dass die Vereinigung Boden die Verdi in ihren Forderungen unterstützt, obwohl wir den Ansatz für falsch halten.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie damit?

Fell: Verdi hat über Jahre mit einer Arroganz einfach festgelegt, was gut und was schlecht ist. Das rächt sich jetzt.

sueddeutsche.de: Das klingt nach Zoff unter den bei der Lufthansa organisierten Mitarbeitervertretungen. Wurde die Vereinigung Boden gegründet, weil die Enttäuschung über Verdi so groß war?

Fell: Das ist einer der Gründe gewesen.

sueddeutsche.de: Gab es während des aktuellen Streiks schon "Grenzgänger", also Lufthansa-Mitarbeiter, die von einer Gewerkschaft zur anderen gewechselt sind?

Fell: Es gab Verdi-Kollegen, die für den Streik gestimmt haben - und jetzt nicht mitgestreikt haben.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Fell: Weil sie den Streik nicht gut fanden.

sueddeutsche.de: Also ist es die Angst davor, den Arbeitsplatz zu verlieren?

Fell: Es ist Angst und Gruppendruck. Man will sich nicht unsolidarisch zeigen. Verdi hat sehr stark für den Streik getrommelt, in den Köpfen existierte psychologischer Druck - dann wird für Streik gestimmt. Wenn es aber um das konkrete Streiken geht, sieht es noch einmal anders aus.

sueddeutsche.de: Bei der Lufthansa ist es wie bei der Bahn - mehrere gewerkschaftliche Organsiationen buhlen um die Mitarbeiter. Warum gibt es keinen Zusammenschluss?

Fell: Das ist bei uns auf dem Schirm. Ein wünschenswertes Ziel wäre eine Luftverkehrsgewerkschaft. Wir arbeiten daran, dass wir eine Kooperation mit der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation auf die Beine stellen; das ist unser mittelfristiges Ziel.

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