Verbraucherschutz:Aus dem Diesel-Schlamassel

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Wer ein Auto finanziert hat, sollte seinen Kredit- oder Leasingvertrag prüfen lassen. Ist er fehlerhaft, tut sich die Chance auf Rückgabe auf.

Von Berrit Gräber

Millionen Autokäufer sind nach Ansicht von Fachanwälten und Verbraucherschützern nicht korrekt über ihr Widerrufsrecht informiert worden. In den Kreditverträgen vieler Autobanken stecken offenbar formale Fehler. In Zeiten von Dieselgate und drohenden Fahrverboten spielt das den Kunden die Chance in die Hand, ein Fahrzeug mit Schummelsoftware am Ende doch noch loszuwerden. Ohne große Verluste. Denn: Wer seinen Wagen nach dem 10. Juni 2010 beim Händler gekauft und über diesen finanziert hat, ob alt oder neu, Diesel oder Benziner, darf laut Gesetz bei fehlerhaften Verbraucherinformationen widerrufen. Auch Jahre später noch.

Er kann das Auto zurückgeben und einen Großteil seines Geldes zurückfordern. Das gilt selbst bei Leasingverträgen. Wer nach dem 12. Juni 2014 kaufte, dem bliebe sogar ein Abzug für gefahrene Kilometer erspart. "Bestenfalls sind die Betroffenen jahrelang fast umsonst gefahren", sagt Christoph Herrmann, Experte von Stiftung Warentest.

Aus dem Kredit aussteigen, Auto loswerden, Geld zurückbekommen - ist das wirklich so einfach? Zumal Autobanken wie etwa die von Volkswagen der Einschätzung der Verbraucherschützer widersprechen und Fehler abstreiten.

Die Rechtslage

Der sogenannte Widerrufsjoker hat bereits Hunderttausenden Verbrauchern geholfen, sich von hochverzinsten Immobilienkrediten und unrentablen Lebensversicherungen zu lösen. Er sei nun auch die Lösung für Autobesitzer, deren Fahrzeuge durch die Abgasmanipulationen rasant an Wert verloren haben, ist Katja Henschler, Juristin bei der Verbraucherzentrale Sachsen, überzeugt: "Dieser Ausweg ist gerade für Dieselfahrer viel dankbarer als ein Software-Update oder ein gerichtlicher Streit mit VW & Co."

Ein Sprecher der VW-Bank Volkswagen Financial Services ist anderer Auffassung: "Unsere Widerrufsbelehrungen werden den aktuellen gesetzlichen Vorgaben laufend angepasst und sind korrekt." Auch andere Autobanken blockten erst einmal ab mit dem Hinweis, sie hätten ordnungsgemäß belehrt, berichtet Ilja Ruvinskij, Fachanwalt aus Köln. Nach Prüfung vieler Verträge der unterschiedlichsten Anbieter sei für ihn jedoch klar geworden: "Die Rückabwicklung über den Widerruf ist definitiv eine großartige Chance, nicht nur für VW-Kunden." Auch Timo Gansel, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aus Berlin, glaubt: "Noch hat es sich kaum rumgesprochen, aber wir rechnen damit, dass die Widerrufswelle bald losgeht."

Was zu tun ist

Autobesitzer, die ihr Fahrzeug nach dem 10. Juni 2010 beim Händler gekauft und über ihn finanziert respektive geleast haben, sollten ihren Darlehensvertrag prüfen lassen, rät Ruvinskij. Nach Ansicht des Anwalts hat nicht allein die VW-Bank die gesetzlich vorgeschriebenen Verbraucherinformationen teils unvollständig, widersprüchlich oder verwirrend formuliert. Auch Kreditverträge anderer großer Autobanken etwa von Opel, Daimler, Renault, Peugeot, BMW und weiteren Marken könnten Patzer enthalten. Ist dem so, sagt das Gesetz eindeutig: Die 14-tägige Widerrufsfrist fing nicht an zu laufen. Der Darlehensvertrag ist noch viele Jahre nachträglich widerrufbar. Die Chance sei nicht auf Geschädigte des Diesel-Abgas-Skandals beschränkt, betont der Berliner Anwalt Gansel. Entscheidend sei, dass der Wagen über den Händler finanziert wurde. Wer sein Auto mit eigenen Ersparnissen bezahlt hat, hat Pech. Auch Unternehmer sind außen vor. Eine Ausnahme gibt es nur für Existenzgründer wie etwa Taxiunternehmer.

Stichtag 12. Juni 2014

Bei fehlerhaften Kreditverträgen, die bis zum 12. Juni 2014 abgeschlossen wurden, gilt: Widerruft der Kunde, geht sein gebrauchtes Fahrzeug zur finanzierenden Bank zurück. Nicht nur der Kredit, sondern auch der Kauf wird rückabgewickelt. Der Verbraucher hat dann Anspruch auf Rückerstattung von Anzahlung und Raten. Nur die Zinsen darf die Bank behalten. "Das ist erträglich angesichts der minimalen Belastung von jährlich rund einem Prozent, also von ein paar Hundert Euro", sagt Ruvinskij. Bei den älteren Verträgen wird noch eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer fällig. Wie hoch die ausfällt, kann man zum Beispiel via Online-Rechner selbst nachprüfen unter https://anwalt-kg.de/bankenrecht/widerruf-autokredit. Der Joker sticht nach Angaben der Anwälte auch bei geleasten Wagen, ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.

Neue Verträge

Autofahrer, die ihr Fahrzeug nach dem 12. Juni 2014 gekauft und finanziert haben, müssten nicht einmal Wertersatz für die gefahrenen Kilometer zahlen, wie Anwalt Gansel betont: "Das wirkt sich enorm aus, weil man das Auto praktisch ohne nennenswerte Kosten gefahren hat." Der Extra-Vorteil ist einer Neuregelung des Widerrufsrechts bei Verbraucherverträgen (§§ 357 ff. BGB) zu verdanken, die am 13. 6. 2014 in Kraft trat. Ein Rechenbeispiel: Ein Verbraucher kauft am 22. 9. 2014 ein Auto für 27 900 Euro und zahlt monatlich 390 Euro an Raten (bei 9865 Euro Anzahlung und einem Zins von 0,90 Prozent jährlich). Er widerruft jetzt, also im Oktober 2017. Von seinen bis dahin gezahlten rund 23 515 Euro bekäme er 23 211 Euro zurück. Die Einbuße: etwa 304 Euro. Hätte der Kunde bereits am 22. 1. 2014 gekauft, also vor dem Stichtag 13. Juni 2014, und mit den gleichen Konditionen finanziert, wäre noch der Nutzungsersatz fällig. Dann bekäme er aufgrund seines Widerrufs noch rund 20 934 Euro zurück und hätte gut 5700 eingebüßt. Für Besitzer von Dieselautos immer noch besser, als den jetzt schon drastischen Wertverlust ihres Autos hinzunehmen, sind die Juristen überzeugt.

Was noch wichtig ist

Autobesitzer sollten nicht auf eigene Faust überhastet handeln, rät Verbraucherschützer Herrmann. Wer widerrufe, müsse mit erheblichem Gegenwind der Autobanken rechnen. Ohne kundigen Anwalt lasse sich der Kampf nicht durchfechten. Die Materie ist komplex. Für die Autobanken geht es um viel Geld. Allein bei VW könnten Schätzungen zufolge etwa 2,15 Millionen Verträge mit einem Gesamtvolumen von 23,3 Milliarden Euro betroffen sein. Es gebe schon zahlreiche außergerichtliche Erfolge für Kunden, die widerrufen haben, betont Ruvinskij. In jedem Fall gehört der Vertrag zuerst auf Fehler abgeklopft. Das können nur Fachanwälte tun. Zahlreiche Kanzleien sowie die Interessengemeinschaft Widerruf bieten eine kostenlose Ersteinschätzung an. Verbraucherzentralen prüfen gegen Entgelt. Eine Rechtsschutzversicherung ist sinnvoll. "Die Autobanken haben noch keine Ahnung, was da alles auf sie zukommt", ist Ruvinskij überzeugt.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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