US-Finanzkrise:"Die Regierung soll die Hypotheken kaufen"

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US-Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini über das wahre Ausmaß der Finanzkrise, die nächsten Brandherde und seine Lösung.

Nikolaus Piper

Der New Yorker Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini ist wegen seiner pessimistischen Prognosen weltberühmt geworden. Roubini wurde in der Türkei geboren und wuchs in Italien, Israel und den USA auf. Nach dem Abschluss an der Universität Harvard arbeitete er unter anderem im amerikanischen Finanzministerium und im Gremium der Wirtschaftsberater von Präsident Bill Clinton.

Nouriel Roubini, 50, lehrt internationale Ökonomie an der Stern Business School der New York University. (Foto: Foto: oh)

Im Interview schlägt er eine politische Lösung für die Krise vor: Die amerikanische Regierung soll die Kredite bedrängter Hausbesitzer aufkaufen.

SZ: Herr Professor Roubini, Sie haben als einer der ersten Wirtschaftswissenschaftler die Finanzkrise vorhergesagt. Können Sie auch deren Ende erahnen?

Nouriel Roubini: Die Rezession in Amerika wird insgesamt zwölf bis 18 Monate dauern. Die Hauspreise dürften weitere zwei Jahre lang fallen. Die Verluste im Finanzsektor werden sich im Laufe dieses Jahres weiter ausbreiten, nach den zweitklassigen Hypotheken sind jetzt normale Hypotheken, Kreditkarten, Autokredite und viele andere Darlehensformen dran. Manche glauben, das Schlimmste sei vorüber. Ich denke, das ist es nicht.

SZ: Bis jetzt hat der Finanzsektor 240 Milliarden Dollar verloren. Wo wird das enden?

Roubini: Vor zwei Monaten habe ich die Gesamtverluste auf eine Billion Dollar geschätzt. Manche hielten dies für unrealistisch, aber inzwischen sind Goldman Sachs und der Internationale Währungsfonds zu ähnlichen Schätzungen gekommen. Ich glaube, die Billion ist nicht die Ober-, sondern die Untergrenze der zu erwartenden Verluste. Wenn man das Schlimmste annimmt, dass nämlich ein großer Teil der amerikanischen Haushalte überschuldet sein wird, dann lägen alleine die Verluste aus Hypothekenkrediten bei einer Billion Dollar; 600 bis 700 Milliarden Dollar aus anderen Kreditmärkten kämen noch oben darauf.

SZ: Was macht Sie zum Schwarzseher? Was unterscheidet Ihre Analyse von anderen?

Roubini: Drei Punkte machen diese Krise schlimmer als andere. Erstens der schlimmste Einbruch auf dem Immobilienmarkt seit der Weltwirtschaftskrise 1929. Zweitens stecken die Verbraucher in der Klemme wegen hoher Schulden, Jobverlusten und sinkenden Hauspreisen. Drittens geht die Kreditkrise weit über den Hypothekenmarkt hinaus.

Lesen Sie weiter: Roubini nimmt Stellung zur Geldpolitik der Banken.

SZ: Es gibt aber auch Argumente für eine optimistischere Sicht: Außerhalb des Finanzsektors verdienen die Unternehmen immer noch gut, Aktien sind nicht überteuert. Zählt das nicht?

Roubini: Es stimmt, die Konzerne verdienen im Schnitt gut, aber die Ausfallrate bei Unternehmensanleihen steigt. Das zeigt, dass es eine wachsende Zahl von Firmen gibt, die mit Problemen zu kämpfen haben. Auch das Verhältnis von Aktienkursen zu Gewinnen scheint nicht übertrieben. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Gewinne inzwischen Höhen erreicht haben, die nicht mehr durchzuhalten sind. Wenn man sich den Konjunkturzyklus ansieht, sind Aktien eben doch überteuert.

SZ: Hilft da nicht das Konjunkturpaket der US-Regierung?

Roubini: Sie müssen die Zahlen vergleichen. Beim Beginn der letzten Rezession war der Staatshaushalt mit 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Plus und landete danach bei 3,5 Prozent im Minus. Das war ein Konjunkturstimulus von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Das jetzige Konjunkturpaket von Präsident Bush hat ein Volumen von 160 Milliarden Dollar, das ist nur ein Prozent der Wirtschaftskraft. Das Programm wird wirken, aber nicht sehr.

SZ: Es bleiben die Zinssenkungen.

Roubini: Die Federal Reserve hat tatsächlich sehr aggressiv reagiert. Es gibt aber drei Gründe, weshalb die Geldpolitik diesmal weniger effektiv ist als sonst. Einmal haben wir ein Überangebot an Häusern, Autos und Konsumgütern. In so einer Situation reagiert die Wirtschaft weniger auf Zinssenkungen. Es ist, als würde man versuchen, mit einem Seil einen Wagen zu schieben. Zudem haben wir nicht nur ein Liquiditätsproblem, sondern auch eines der Zahlungsfähigkeit. Millionen von Haushalten sind überschuldet, zwischen den Banken gibt es eine Vertrauenskrise. Das können sie nicht mit Zinssenkungen lösen. Und drittens kann die Fed nur die Institute beeinflussen, die auch bei der Notenbanken leihen, also Banken. Die Krise betrifft aber auch viele Institute, die keinen Zugang zur Notenbank haben: Investmentbanken und Hedgefonds zum Beispiel.

SZ: War es richtig, dass die Fed bei der Rettung der Investmentbank Bear Stearns geholfen hat?

Roubini: Hätte sie es nicht getan, hätte es eine Kernschmelze im Finanzsystem gegeben, einen Run auf Banken wie Lehman Brothers und Merrill Lynch.

SZ: Sind noch mehr Finanzinstitute vom Zusammenbruch bedroht?

Roubini: Ja. Bei den großen Banken haben 46 Prozent der Aktiva irgendeinen Bezug zu Immobilien, bei kleinen Instituten sind es 60 Prozent. Einige dürften Insolvenz anmelden, es sei denn, sie finden sehr schnell frisches Kapital.

SZ: Wieviel Kapital ist jetzt nötig?

Roubini: Sollten die Gesamtverluste tatsächlich auf eine Billion Dollar steigen, dann wären drei Viertel des Kapitals aus dem Finanzsystem verschwunden. Das wäre dann eine Systemkrise.

SZ: Ist das denn wahrscheinlich?

Roubini: Das hängt von der Politik ab.

SZ: Was sollen die Politiker tun?

Roubini: Wenn sie nicht die Banken verstaatlichen wollen, müssen sie die Hypotheken verstaatlichen.

Was genau der Staat tun soll, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

SZ: Wie bitte?

Roubini: Die Regierung sollte die Hypotheken überschuldeter Hausbesitzer zum Nennwert kaufen und ihnen eine tragbare Finanzierung bieten. Das ist nicht nur meine Meinung, es gibt ähnliche Vorschläge aus dem Kongress. Auch die Fed und das Finanzministerium denken ähnlich. Selbst die Banken haben sich mit dem Modell angefreundet. Besser sie bekommen 80 Prozent der Kreditsumme, als dass der Wert der Kredite auf 60 oder 50 Prozent sinkt.

SZ: Sie wollen tatsächlich alle Hausbesitzer freikaufen, deren Schulden den Wert ihrer Immobilie übersteigen?

Roubini: Nicht alle. Ich würde jene ausschließen, die sich ein zweites Haus gekauft haben, ich würde Einkommensgrenzen einziehen und auch solche nicht berücksichtigen, die mutwillig eine Insolvenz herbeigeführt haben.

SZ: Wie viele Hausbesitzer kämen in den Genuss eines solchen Programms?

Roubini: Wenn die Hauspreise noch um zehn Prozent fallen, werden Ende des Jahres acht Millionen Haushalte überschuldet sein, sinken sie um 20 Prozent, sind es 16 Millionen. Nicht alle werden in Zahlungsnot kommen, aber mehrere Millionen sind auf jeden Fall betroffen. Manche verlassen heute einfach ihr Haus und geben den Schlüssel bei der Bank ab.

SZ: Und das geht?

Roubini: Ja, das geht. Wir haben zwar noch keine genauen Zahlen, aber es gibt klare Indizien dafür, dass immer mehr Menschen von ihrem Haus weglaufen und die Zwangsversteigerung gar nicht erst abwarten. Die Bank hat dann keine Möglichkeit, die Differenz zwischen dem Wert des Hauses und der Kreditsumme vom Schuldner zurückzufordern.

SZ: Was bedeutet die Krise für den Rest der Welt?

Roubini: Wenn die Rezession in Amerika kurz und mild bleibt, reicht das Wachstum in China und anderswo aus, um die Folgen zu begrenzen. Fällt die Rezession aber so schwer aus wie ich glaube, wird es weltweit zum Abschwung kommen. Auch in Ländern wie Irland, Großbritannien und Spanien gibt es ja eine Immobilienkrise. Die Kreditklemme behindert auch Firmen in Europa. Paradoxerweise hängen hier die Unternehmen noch mehr vom Bankkredit ab als in Amerika. Der Rückgang der US-Nachfrage trifft die Exporte, und wenn der Euro bei 1,60 Dollar liegt, kann sich selbst eine Export-Supermacht wie Deutschland den Folgen nicht mehr entziehen.

SZ: Gibt es eine Rezession in Europa?

Roubini: Nicht auf dem ganzen Kontinent, aber in Großbritannien, Spanien und wahrscheinlich auch in Irland.

SZ: Gibt es keine guten Nachrichten?

Roubini: Doch. Zum Beispiel, dass die Politiker schnell und aggressiv reagieren. Dann glaube auch ich nicht, dass es ähnlich schlimm wird wie bei der Weltwirtschaftskrise. Die Mehrheitsmeinung ist, dass nach dem Einbruch eine schnelle Erholung kommt, dass die Kurve also die Form eines "V" annimmt. Ich denke, dass wir ein "U" bekommen werden, dass also die Erholung später kommen wird. Aber ich denke nicht, dass es ein "L" wird, dass also der Einbruch von einer langen Depression gefolgt wird.

© SZ vom 16.04.2008/sme/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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