Umgang mit Krisen:Die unberechenbare Wolke

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Was tun, wenn's brennt? Experten berufen sich bei der Krisenbekämpfung auf Simulationen und Berechnungen. Doch die können menschliches Ermessen nie ersetzen.

Alexandra Borchardt

Wenn mächtige Lobbys bei Entscheidungen mitreden, die zum Schutz von Menschen getroffen werden, kommt schnell der Verdacht auf, es gehe ihnen ausschließlich um ihre eigenen Interessen. So ist es jetzt, wenn Fluggesellschaften Flugverbote hinterfragen, so war es bei der Schweinegrippe-Angst, die von vielen im Nachhinein als große Kampagne der Pharma-Industrie gewertet wird, und auch bei der Banken-Rettung fragte sich so manch einer, ob die Hilfsaktionen der Bundesregierung nicht vor allem den Bedürfnissen von Ackermann und Co. entgegenkamen. Doch diese Unterstellungen greifen zu kurz, selbst wenn sie manchmal zutreffen.

Satellitenbild der Aschewolke (gelb-rote Bereiche), die von Island her über weite Teile Europas zieht: Wer hinterfragt die Angstszenarien? (Foto: Foto: dpa)

Das Problem liegt tiefer. Es liegt in einer komplexen Welt, deren Vernetzung erst in Ausnahmesituationen wie dem gegenwärtigen Vulkanausbruch oder der Pleite einer ehemaligen amerikanischen Bank namens Lehman Brothers begreifbar wird. In solchen Situationen kann niemand wirklich ermessen, welche Folgen Aktionen in einem Teil des Systems für alle anderen haben werden, und ob es die richtigen Aktionen sind. Diese Unsicherheit hat es schon immer gegeben, heute allerdings macht es moderne Computertechnologie möglich, eventuelle Auswirkungen zu berechnen.

Diese Modellrechnungen gehen jedoch äußerst selten auf. Man denke an alle Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung nach der Lehman-Pleite oder jene zu den Kosten einer Vogelgrippe-Pandemie. Und niemand sollte glauben, dass Software auch nur einigermaßen akkurat ermitteln kann, um wie viel Grad sich die Erde erwärmen wird, wenn man in 20 Jahren alle Verbrennungs- durch Elektromotoren ersetzt hat. Doch allein die Möglichkeit solcher Kalkulationen hat den Druck auf diejenigen extrem erhöht, die entscheiden müssen.

Vor allem entsteht dadurch ein Gruppendruck. Welcher Einzelne traut sich noch, angesichts der vermeintlichen Datenübermacht Angstszenarien zu hinterfragen und am Ende die Verantwortung für eine falsche Entscheidung tragen zu müssen? Die Fähigkeit vieler Organisationen, mit Krisen umzugehen, hält nicht Schritt mit den Möglichkeiten, Auswirkungen von Krisen zu prognostizieren.

Dieses Dilemma wird sich nicht auflösen lassen. Aber es gibt Strategien, dagegen anzugehen. Zum Beispiel dürfen Computermodelle nur als das betrachtet werden, was sie sind: Berechnungen. Weil man auf solche vertraut hat, ist im Fall der Vulkanasche offenbar viel Zeit verstrichen, bis die Suche nach echten Beweisen begonnen wurde.

Wenn es nicht unmittelbar um Menschenleben geht, kann es sinnvoller sein, den Umgang mit kritischen Situation zu trainieren, als sie um jeden Preis zu vermeiden, oder Folgen abzumildern - wie gegenwärtig den Fluggesellschaften zu helfen. Vor allem aber müssen starke Krisenteams gebildet werden, in denen auch Zweifler ermutigt und gehört werden. Diesen Teams bleibt nur, nach bestem Wissen zu entscheiden. Das nimmt ihnen kein Computer ab.

© SZ vom 20.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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