Ukraine:Auf nach Westen

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Ein Weizenfeld in der Ukraine. Das Land gehört zu den größten Weizen-Exporteuren der Welt. (Foto: Vincent Mundy/Bloomberg)

Seit einem Jahr greift das Freihandelsabkommen der Ukraine mit der EU. Das Land im Osten verbindet damit große Hoffnungen.

Von Markus Balser, Berlin

Als viele Ukrainer vor zwei Jahren bei Eiseskälte auf dem Maidan von Kiew ausharrten, war ein Vertrag zum Symbol für die Freiheit des Landes geworden. Ex-Präsident Viktor Janukowitsch hatte damals seine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU verweigert. Für die prowestlichen Kräfte in der ukrainischen Gesellschaft eine schwere Enttäuschung. Das Abkommen und der in ihm verankerte Freihandelspakt hatten die Hoffnung getrieben, dass für die Ukraine neue Chancen entstehen könnten. Es folgten blutige Auseinandersetzungen. Kaum ein anderes Freihandelsabkommen hat solche Reaktionen ausgelöst. Es gilt als der wahre Auslöser für die politische Krise mit Russland. Nach zähem Hin und Her ist das Abkommen seit Anfang Januar in Kraft. Als erstes Regierungsmitglied kam nun der ukrainische Landwirtschaftsminister Oleskiy Pavlenko nach Deutschland, um über die Erwartungen des Landes zu sprechen. Im Gepäck hatte er eine erstaunliche Einschätzung: Die ukrainische Regierung hält den Absturz der eigenen Wirtschaft auch wegen der Handelserleichterungen für beendet. "Wir erwarten, dass unsere Wirtschaft in diesem Jahr erstmals wieder um bis zu ein Prozent wächst", sagte Pavlenko der Süddeutschen Zeitung.

Es wäre eine bemerkenswerte Kehrtwende. Denn die Ukraine hatte bislang einen hohen Preis für die Auseinandersetzungen mit Russland gezahlt. Das Bruttoinlandsprodukt war in den vergangenen zwei Jahren um beinahe 20 Prozent eingebrochen. Die Staatsschuld hatte sich mehr als verdoppelt. Pavlenko macht vor allem die Annäherung an Europa und Investitionen im Agrarsektor für das leichte Wachstum verantwortlich.

Alles steht unter dem Vorbehalt, dass sich der Konflikt mit Russland nicht erneut verschärft

Ursprünglich hätte der Handelspakt bereits im November 2014 in Kraft treten sollen, nachdem der Janukowitsch-Nachfolger Petro Poroschenko das Papier als neuer Präsident doch noch unterzeichnet hatte. Es war jedoch auf Drängen Russlands bis Ende vergangenen Jahres ausgesetzt worden. Die europäisch-ukrainische Vereinbarung sieht einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle vor. Die Ukraine passt dabei ihre Vorschriften an die der EU an, um den Handel zu vereinfachen.

Pavlenko war nun nach Berlin gereist, um auf der internationalen Agrarministerkonferenz und der Grünen Woche für den wichtigsten Wirtschaftszweig seines Landes zu werben. Die Landwirtschaft steht für mehr als 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Und sie ist der einzige Sektor, der derzeit wächst. 60 Millionen Tonnen Getreide produziert die Ukraine jährlich. Mehr als die Hälfte wird davon ins Ausland verkauft. Das Land gilt gemessen an der Ausfuhrquote als der größte Getreideexporteur der Welt. Investitionen in Maschinen und Saatgut sollen dafür sorgen, dass sich die Ernten in wenigen Jahren fast verdoppeln. 2020 soll die Produktion nach den Plänen Pavlenkos bei 100 Millionen Tonnen liegen. Ein Wachstum, das deutsche Bauernfunktionäre mit Sorge sehen.

Doch auch die Regierung in Kiew weiß: Alles steht unter dem Vorbehalt, dass sich die Auseinandersetzung mit Russland nicht erneut verschärft. Die Lage ist weiterhin fragil. Zentrale Bedingungen der Waffenstillstandsregelung von Minsk, die eigentlich bis zum Jahresende erfüllt sein sollten, sind noch lange nicht erreicht. Dem Minsk-II-Abkommen zufolge sollte bis zum Jahreswechsel die Kontrolle der Staatsgrenze im Konfliktgebiet durch die Regierung der Ukraine wiederhergestellt sein. Das wiederum war gekoppelt an die Abhaltung von Wahlen in den besetzten Gebieten im Osten und an die Gewährung eines Sonderstatus für diese Gebiete durch Kiew. Passiert ist das alles nicht. Stattdessen entstehen nun neue Probleme mit Russland. Moskau hatte zu Jahresbeginn seinerseits den Freihandel mit der Ukraine ausgesetzt - in Reaktion auf die Annäherung des Landes an die EU. Die Ukraine hatte darauf vor wenigen Tagen ihrerseits mit dem Aussetzen des Freihandels reagiert.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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