Transportwesen:Blick nach unten

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Für den Smart City Loop wird derzeit eine Machbarkeitsstudie erstellt. (Foto: Smart City Loop)

Weil Flächen rar sind, wollen Logistikunternehmen Städte untertunneln. Als Vorreiter gilt hier die Schweiz.

Von Bärbel Brockmann

Kommunalpolitiker mögen sie meist nicht. Logistikimmobilien verschandeln in ihren Augen das Stadtbild. Zudem erhöhen die Lieferfahrzeuge den Lärmpegel, verschärfen die ohnehin angespannte Verkehrslage und stoßen obendrein oft erhebliche Mengen an CO₂ und anderen klimaschädlichen Stoffen aus. Stadtbewohner mögen all das auch nicht, aber sie bestellen immer mehr Dinge im Internet und möchten ihre Ware möglichst schnell nach Hause geliefert bekommen. Und die Anziehungskraft der Städte steigt weiter, ebenso wächst der Onlinehandel.

Diese Situation stellt die Logistikbranche vor große Herausforderungen. Besonders schwierig ist die Frage, wie denn die sogenannte letzte Meile bis zum Endkunden in Zukunft organisiert werden soll. An Ideen ist kein Mangel, und noch weiß niemand so recht, welches Konzept sich am Ende durchsetzen wird. Dass künftig Roboter von Tür zu Tür gehen und Pakete abliefern oder zigtausend Drohnen die Versorgung aus der Luft übernehmen kommt vielen ebenso unwahrscheinlich vor wie die Belieferung durch ein dichtes Tunnelsystem unter der Stadt, ähnlich der alten Rohrpost in Firmen.

Aber gerade die Tunnellösung wird in der Branche viel diskutiert. Es gibt schließlich vieles, was schon seit langer Zeit durch Tunnel läuft: Leitungen aller Art, Wasser und Abwasser, U-Bahnen und Autos. Warum also nicht auch Paletten mit Paketen? "Wenn wir an der Infrastruktur nichts machen, werden wir uns immer schwerer tun, Ware pünktlich von A nach B zu bekommen", sagt Kuno Neumeier, Geschäftsführer des Logistikimmobilienberaters Logivest. "Es wird immer schwieriger, von Kommunen die nötigen Flächen zugeteilt zu bekommen und dann auch noch die Berechtigung, dort Lagerimmobilien bauen zu dürfen."

In der Schweiz soll ein riesiges Röhrennetz entstehen, ganz ohne Staatshilfe

Ein solches Tunnel-Projekt ist zum Beispiel der Smart City Loop. Er soll eine Transportlösung für die vorletzte Meile sein, also für die Belieferung mit Paketen von Umschlaglagern vor der Stadt an Stellen in der Stadt, von denen aus die Ware an die Endkunden zugestellt wird. Die Grundüberlegung ist einfach: Man braucht eine unterirdische Röhre und je eine Immobilie am Ein- und Ausgang. Am Eingang liefern Versender, also Handelsunternehmen und Paketdienste, ihre Sendungen ab. Dann werden diese in 25 Meter Tiefe von einer Dienstleistungsfirma transportiert. Am Ausgang holen die Versender ihre Ware dann ab und bringen sie zum Kunden, idealerweise per Fahrrad oder Elektro-Lkw. Zugleich werden Waren aus der Stadt, etwa Retouren, zurück befördert.

Derzeit wird von der Smart City Loop GmbH eine Machbarkeitsstudie für eine acht Kilometer lange Strecke in die Hamburger Innenstadt erstellt. Mit dieser Route sollen pro Tag 1500 Lkw auf der Straße eingespart werden. Geschäftsführer Christian Kühnhold ist von der Effizienz überzeugt: "Wenn man von einem großen Lkw auf das Verteilfahrzeug umladen will, braucht man große Flächen in der Stadt. Dem geht man aus dem Weg, wenn man sich auf zwei Hubs verständigt, die neutral betrieben werden." In Hamburg seien die Stadtvertreter sehr kooperativ und hätten eine Strecke unterhalb öffentlicher Straßen in Aussicht gestellt, so Kühnhold. Die Genehmigungsverfahren dürften bei privaten Grundeigentümern erfahrungsgemäß viel länger dauern. Auch ist noch nicht klar, ob in 25 Meter Tiefe noch Baurecht oder schon Bergrecht gilt. Aber wenn alle Hürden genommen sind, könnten unterirdische Tunnel die Logistiklösung der Zukunft sein, davon ist auch Francisco Bähr, geschäftsführender Gesellschafter des auf Logistikimmobilien spezialisierten Entwicklers Four Parx, überzeugt. Four Parx will das Gesamtprojekt konzipieren und kommt auch für die Kosten der Machbarkeitsstudie auf. "Wenn wir einmal eine solche Pipeline mit zwei Immobilien in- und außerhalb der Stadt geschaffen haben, geht es anderswo auch", sagt Bähr.

Auch in der Schweiz gibt es fortgeschrittene Überlegungen für eine Verlagerung der Warenströme unter die Erde. Das Projekt Cargo Sous Terrain (CST) sieht im Unterschied zum Smart City Loop eine sehr große Lösung vor. "Wir wollen im Endeffekt ein gesamtschweizerisches Tunnelnetz nördlich der Alpen bauen", sagt Patrik Aellig, Unternehmenssprecher der Cargo Sous Terrain AG. Für das Projekt kann die Firma schon Investitionszusagen über 100 Millionen Schweizer Franken vorzeigen. Damit ist der laufende Betrieb inklusive der Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudien schon einmal finanziert. Im Moment ist man dabei, die drei Milliarden Franken einzusammeln, die man für den Bau einer ersten, 70 Kilometer langen Teilstrecke zwischen dem Logistikknotenpunkt Härkingen und der Metropole Zürich veranschlagt hat. Das ganze Tunnelnetz wird nach Aelligs Angaben dann etwa das Zehnfache kosten.

Eine finanzielle Beteiligung staatlicherseits ist nicht vorgesehen. CST setzt in den Tunneln auf dreispurige Bahnen, auf denen Transportwagen mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometer in der Stunde recht langsam verkehren. Alles wird vollautomatisch sein, Menschen wird man dort unten nicht finden. "Im Tunnelsystem werden sehr viele Güter zum gleichen Zeitpunkt unterwegs sein. Das ist dann eigentlich ein bewegliches Lager. Oberirdisch braucht man dann für die Zuführung und auch für die Zwischenlagerung viel weniger Platz", erläutert Aellig. Ab 2030 soll CST schrittweise in Betrieb gehen. Je mehr Teilstrecken dazukommen, desto weniger Flächenverbrauch wird man oberirdisch haben, weil sich ein großer Teil der Logistik unterirdisch abspielt.

Ob die Städte künftig tatsächlich in großem Stil unterirdisch mit Waren beliefert werden, ist heute noch nicht absehbar. Die Versender hätten damit meist einen zusätzlichen Aufwand, weil ein weiterer Zwischenschritt in der Transportkette nötig wäre. Andererseits sind sich die Experten einig, dass etwas geschehen muss und die Zeit drängt. Bähr von Four Parx hält es sogar für möglich, dass man für Tunnelprojekte Fördermittel aus dem Klimaprogramm der Bundesregierung beantragen könnte, denn darin werden Zuschüsse für umweltfreundliche Mobilitätskonzepte in Aussicht gestellt.

Aber es ginge auch ganz anders. "Ich glaube, dass wir technisch und wirtschaftlich sehr anspruchsvoll versuchen, Probleme zu lösen, weil wir den Individualverkehr nicht einschränken wollen", sagt Wolfgang Lammers vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. "Wenn man einen Teil des Individualverkehrs durch andere Mobilitätskonzepte ersetzte, dann hätte man kein Platzproblem in der Stadt."

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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