Tourismusbranche:Umsonst gearbeitet

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Reisebüros leiden besonders stark unter der Corona-Krise, jetzt kommt noch ein Schlag: Die Touristikkonzerne holen sich die Provisionen zurück. Rechtlich ist das in Ordnung, aber es gäbe bessere Wege, um Probleme zu lösen.

Von Helena Ott, Berlin

Wie üblich war der Januar für Murat Wallrawe der stressigste, aber auch der schönste Monat. Er kaufte schon auf dem Weg ins Büro beim Bäcker Vorräte, weil er wusste, dass er es mittags nicht vor die Türe schafft. Reisebüros machen 30 bis 40 Prozent ihres Umsatzes schon im ersten Monat des Jahres, sagt der 35-Jährige. Vor zehn Jahren hat Wallrawe ein kleines Büro in Bad Kreuznach bei Mainz aufgemacht - heute hat er zwölf Angestellte und zwei Filialen. Das war der Januar. Dann kam der März und das Coronavirus. Wallrawe musste drei Teilzeitkräfte entlassen und die anderen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken.

"Wir sind in der Branche sehr risikoerprobt", sagt Isabella Pajk, eine Reisebüroleiterin aus München. "9/11 war auch ein Riesenknacks für den Tourismus oder der Tsunami im Jahr 2004, aber im Vergleich zu dem, was jetzt passiert, war das alles ein Fliegenschiss." Isabella Pajk ist Inhaberin des Holyday Land in Germering bei München. Die Kunden sind ausgesperrt, sie hält im Büro allein die Stellung, kümmert sich um die letzten Gestrandeten und um die Rückabwicklung des Geschäfts, für das sie die vergangenen sechs Monate gearbeitet hat.

Seit die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts die wichtigsten Zahlen des Tages sind, ist schwer zu ermitteln, welche Branche es am härtesten trifft. Über Nacht brachen vielen Geschäften die Umsätze weg, auch den kleinen Reisebüros an Marktplätzen und in Fußgängerzonen. Aber jetzt zum Monatsende könnte es noch schlimmer kommen. Die großen Touristikkonzerne wie TUI und FTI buchen kommentarlos die gezahlten Provisionen zurück. "Die Reiseveranstalter haben vertraglich vereinbart Zugriff auf meine Konten", sagt Reisebüroleiter Wallrawe. "Ich kann da nichts tun". Murat Wallrawe rechnet für März und April mit 50 000 Euro Provisionsrückzahlungen. Die Reisebüros hätten somit sechs Monate "umsonst" gearbeitet und würden jetzt bei der Rückabwicklung der Reisen "wieder umsonst" arbeiten, sagt seine bayerische Kollegin Pajk. Was viele, die Werbeschilder großer Touristikketten in Schaufenstern sehen, vielleicht nicht wissen: Die große Mehrheit der Reisebüros wird privat betrieben. Die Inhaber bekommen gegen Geld das Buchungssystem und das Werbematerial gestellt, aber sie haften mit ihrem Privatvermögen. Gerade neue Büros ohne Rücklagen oder jene, die schon unter der Thomas-Cook-Pleite stark gelitten haben, dürfte das sehr schnell in Existenznot bringen. Vertraglich seien die Reiseveranstalter im Recht, sagt Rechtsanwalt Frank Hütten aus München. "Wenn eine Pauschalreise ausfällt, schuldet der Reiseveranstalter dem Reisevermittler auch keine Provision", so sei es im Handelsgesetzbuch geregelt. In "normalen Zeiten", sagt Hütten, sei die Regelung auch "verkraftbar" für die Reisebüros. "Aber dass wirklich alles rausstorniert wird, ist ja eine absolute Sondersituation", sagt Isabella Pajk. Wegen der weltweiten Reisewarnung müssen Veranstalter ihren Kunden den Reisepreis komplett zurückerstatten.

Murat Wallrawe führt ein Reisebüro in Bad Kreuznach. Inzwischen musste er drei Teilzeitkräfte entlassen und die anderen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. (Foto: C. Borchert/OH)

Die Inhaber der kleinen Betriebe haften mit ihrem Privatvermögen

Der Deutsche Reiseverband (DRV) will den Dominoeffekt, dass plötzlich die gesamten flüssigen Mittel der Reisebranche abgesaugt werden, verhindern. "Die Politiker müssen das Gesetz so ändern, dass es Reiseveranstaltern ermöglicht wird, ihre Kunden mit zeitlich beschränkten Gutschriften zu entschädigen", sagt DRV-Präsident Norbert Fiebig. Die Gutschriften sollen ein Jahr gültig sein und müssten durch den Staat abgesichert werden.

Isabella Pajk ist sich unsicher, ob das der richtige Weg ist. "Ich will natürlich auch das Vertrauen meiner Kunden nicht verlieren", sagt sie. Der Kunde habe schließlich ein Recht auf Rückerstattung.

So wie Pajk denken jetzt viele Reisebüros, aber der DRV verweist darauf, dass die Kunden nach Ablauf einer Frist, etwa von einem Jahr, das Geld zurückbekommen, wenn sie keine neue Reise gebucht haben. Auch Reiserechtsexperte Frank Hütten findet, dass das in der Krise eine "faire Regelung für alle Beteiligten" wäre.

Isabella Pajk ist Inhaberin des Holyday Land in Germering bei München. „Wir sind in der Branche sehr risikoerprobt“, sagt sie. Doch was nun passiere, habe sie noch nicht erlebt. (Foto: oh)

Also eine schnelle und wirksame Vitaminspritze für die gebeutelte Branche? Tatsächlich ist die Sorge der Reisebüroinhaber nicht unbegründet. Sie kennen ihre Kunden, stehen auch jetzt noch mit ihnen in Kontakt. Diejenigen von ihnen, die etwa selbst ein Yogastudio haben, ein Restaurant betreiben oder in Kurzarbeit sind, könnten ebenso akut in Not und auf flüssige Mittel angewiesen sein. Aber auch Nachbarländer wie Frankreich, Italien, Belgien und die Niederlande haben ihre Stornierungsregeln für die Krise ausgesetzt. Deutschland müsse schnell nachziehen, sagt Norbert Fiebig, "wir reden da nicht von Monaten, sondern von Wochen". Aber zusätzlich brauche es dennoch staatliche Beihilfen, um den Totalausfall an Einnahmen abzufedern.

Etwa 11 000 Reisebüros gibt es in Deutschland. Murat Wallrawe glaubt, dass ohne staatliche Hilfen 60 Prozent der Geschäfte das Jahr 2020 nicht überstehen werden. Seine Kollegin aus Bayern leidet vor allem an der Unsicherheit. "Keiner kann sagen, wann es wieder losgeht. Das frustriert", sagt sie. Pajk hofft nun auf die Pfingstferien. In ihrer leiser werdenden Stimme schwingt aber deutlich mit, dass das eher ein inniger Wunsch ist, als eine Einschätzung. Wer weiß schon, wie die Lage bis dahin ist.

Murat Wallrawe glaubt, dass "das Sommergeschäft gelaufen ist". Auch danach würde es noch einige Zeit dauern, bis die Kunden wieder buchen wollten. Er rechnet mit Oktober, November. Etwas Tröstliches sieht der Rheinland-Pfälzer trotzdem. Jede Krise zeige deutlich, warum Reisebüros am Ort ein großer Vorteil seien, jemanden zu haben, der sich kümmert, wenn es Probleme gibt. "Das ist wie bei einer Versicherung, da merkt man auch erst, wie wertvoll sie ist, wenn man sie plötzlich wirklich braucht."

© SZ vom 31.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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