Tourismus:Notfalls Necker Island

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Die Wohlfühlatmosphäre ist dahin: Briten empfinden sich in Spanien neuerdings als eingeschränkt - sowohl beim Trinken als auch beim Autofahren. (Foto: David Ramos/Getty Images)

Nicht nur in Spanien sorgt man sich, dass die Briten demnächst zu Hause bleiben könnten.

Von Michael Kuntz, München

Wenn die Briten nicht mehr verreisen würden, bekämen zum Beispiel die Anbieter von Kreuzfahrten ein Problem. Für sie waren die Angehörigen der einstigen Kolonialmacht bis vor kurzem die größte Kundengruppe in Europa, erst vor ein paar Jahren abgelöst durch eine stetig wachsende Gruppe von Schiffstouristen aus Deutschland. Die buchen gern moderne Clubschiffe von Aida oder Tui, möglichst alles inklusive. Ozeandampfer älterer Bauart mit klassischem Programm dagegen kommen weiter gut an bei Briten, die ihre Abendgarderobe mitnehmen und noch von früher wissen, wie ein gepflegtes Kapitänsdinner abzulaufen hat.

Dass die Briten zu Hause bleiben könnten, ist eine Befürchtung in der Reiseindustrie, die sich auf die Erwartung stützt, ein Brexit würde zu einer langfristigen Schwächung des britischen Pfunds führen. Das könnte sich auf das Reiseverhalten der Briten auswirken. Die könnten sich in dem Fall weder Kreuzfahrten noch die weniger kostspieligen Pauschalreisen nach Spanien oder Griechenland leisten, wo sie derzeit mit die größten Gästegruppen stellen.

Davor graust es nicht zuletzt dem weltgrößten Reiseveranstalter, der deutsch-britischen Tui Group. Deren Chef Fritz Joussen sähe es daher überhaupt nicht gern, wenn sein erst vor zwei Jahren mühsam zusammengefügter Konzern zwar nicht formal aber geschäftlich wieder in zwei Teile zerfallen würde - einen britischen und einen deutschen. Joussen sagt: "Großbritannien gehört zum Kern Europas und ist eng mit seinen Partnern in der EU verbunden - kulturell, sozial, politisch und als eine der stärksten Volkswirtschaften in Europa auch ökonomisch." Dabei sollte es bleiben, findet der Tui-Vorstandsvorsitzende. "Die Entscheidung müssen die Briten beim Referendum treffen, aber wir wünschen uns, dass sich die Unterstützer durchsetzen, heute noch Unentschlossene überzeugt werden und Großbritannien ein starkes Mitglied der EU bleibt."

Multimilliardär Richard Branson warnt seine Landsleute vor einem Ausstieg

Bleibt für die Briten der Verbraucherschutz auf der Strecke, der nach langen Kämpfen gegen Lobbyisten in der Europäischen Union erfolgreich etabliert worden ist? Der britische Reiseverband argumentiert unter anderem mit europäischen Errungenschaften wie dem Wegfall von Grenzkontrollen, den Passagierrechten im Luftverkehr, Roaming-Regelungen im Mobilfunk, großzügigen Zollregeln bei Reisen innerhalb der EU, sauberen Stränden dank strengerer Standards, aber auch mit dem Zugang von Billigfliegern zum liberalisierten Markt. Ein Argument, das vor allem den Chefs von Kurzstrecken-Airlines wie Easyjet und Ryanair gefällt, kein Wunder, steuern sie doch vorwiegend abgelegene Flugplätze in Europa an. Carolyn McCall von Easyjet ist also sehr besorgt und unterstützt den Pro-Europa-Premier Cameron in einem Sachverständigenrat.

Ist ein Brexit also eine wirtschaftliche Gefahr? Der europäische Verbraucherschutz ist teilweise bereits in nationalem Recht verankert. Und es gibt auch Stimmen, die den starken Reiseverkehr zwischen der Insel und Europas Festland auf die geografische Nähe zurückführen. Und an der ändere ja auch ein Brexit nichts, ätzt der britische Wirtschaftsjournalist Ian Taylor im Fachorgan Travel Weekly.

Als gebürtiger Schweizer hält sich Peter Fankhauser aus der Brexit-Debatte heraus, obwohl er als Chef von Thomas Cook an der Spitze eines zutiefst britischen Reisekonzerns steht. Der Firmengründer hatte bereits 1841 die erste organisierte Pauschalreise für 570 Aktivisten der Abstinenzbewegung von Leicester ins nahe gelegene Loughborough zum Sonderpreis von einem Shilling pro Person arrangiert. Der ehemalige Verleger Thomas Cook gilt seitdem als der Erfinder dieser vergleichsweise preisgünstigen Art von betreutem Urlaub. Die eidgenössische Zurückhaltung des Gastarbeiters Fankhauser ist einem anderen führenden Repräsentanten der britischen Reiseindustrie völlig fremd: Airline- und Raumschiff-Investor Richard Branson warnt, dass für die Briten ein Brexit "very damaging" sei, also sehr schädlich. Der von der Königin zum Ritter geschlagene spleenige Milliardär wäre persönlich allerdings nicht mehr betroffen. Sir Branson verweilt heute nur noch selten in London, er bevorzugt stattdessen seine Privatinsel Necker Island in der Karibik. Faktisch hat er sich damit bereits von beidem verabschiedet: von Großbritannien und von der Europäischen Union.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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