Total-Chef de Margerie:"Wir reden uns selber klein"

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Christophe de Margerie, der Chef des französischen Ölkonzerns Total, über den Defätismus seiner Landsleute und über Russland, das er nicht für einen Feind der Europäer hält.

Interview von Leo Klimm und Christian Wernicke

Update: Am 21. Oktober 2014 verunglückte Christophe de Margeri tödlich. Süddeutsche.de veröffentlicht aus diesem Anlass das Interview mit dem Total-Chef, das die SZ Anfang September führte, im Wortlaut.

Rechts der Eiffelturm, geradeaus der Triumphbogen, hinten links die Basilika Sacré-Coeur - aus seinem Büro in der 44. Etage des Total-Turms hat Christophe de Margerie einen privilegierten Blick auf Paris. Er ist es gewohnt, die Dinge von oben zu betrachten: Sein Unternehmen mit rund 100 000 Mitarbeitern ist mit 190 Milliarden Euro Umsatz das elftgrößte in der Welt. In Frankreich ist es das umstrittenste. De Margerie aber zeigt sich wenig bekümmert über das schlechte Image der Ölbranche. Draußen leuchten längst die Lichter von Paris, es geht auf 23 Uhr zu, doch drinnen zeigt eine Uhr mit der Aufschrift "who cares?" an, dass Zeit für den Konzernchef eine relative Größe ist, wenn er etwas zu sagen hat.

Monsieur de Margerie, Frankreichs Konjunktur ist am Boden, die wirtschaftspolitischen Reformen von Präsident Hollande stocken. Ist Ihr Land unreformierbar?

Christophe de Margerie: Die Krise ist ein Problem - aber kein neues: Diese Situation ist nicht in zwei Jahren unter Präsident Hollande entstanden, dies sind Probleme, die sich über Jahrzehnte aufgestaut haben. Nur finde ich die negative Wahrnehmung übertrieben. Auch Frankreich hat große, florierende Weltkonzerne - sogar mehr als Deutschland. Ich garantiere Ihnen: Es wäre ein Fehler, Frankreich vorschnell abzuschreiben, es geht nicht unter!

Diesen Freitag begegnen Sie beim traditionellen deutsch-französischen Unternehmertreffen von Evian vielen deutschen Konzernchefs. Bringen Sie eine positive Botschaft mit, um Ihren Kollegen die Furcht um Frankreich zu nehmen?

In Deutschland wird viel über Frankreich geklagt, eben weil man gern hätte, dass es uns besser geht. Ohne ein starkes Frankreich gerät Deutschland in einen Abwärtssog. Unsere Interessen sind eng verwoben, wir sind füreinander die wichtigsten Handelspartner, der Euro kettet uns aneinander. Ich kann verstehen, dass Deutschland nicht von den Problemen Frankreichs angesteckt werden will. Aber eins ist sicher: Es hilft uns nicht, wenn die Deutschen uns jeden Tag heruntermachen. Wir sollten vielmehr noch enger zusammenarbeiten, denn wir haben Besseres zu tun, als uns nur gegenseitig zu kritisieren.

Kürzlich haben Sie öffentlich gesagt: "L'Allemagne nous fait braire." Was, vorsichtig übersetzt, bedeutet: "Deutschland geht uns auf den Wecker."

Moment mal, Sie reißen meine Äußerung aus dem Zusammenhang! Es ist absurd, mir eine bösartige Gesinnung gegenüber Deutschland zu unterstellen. Ich wollte nicht sagen, ich hätte die Nase voll von Deutschland. Nein, was ich beklagt habe, ist, dass sich in Frankreich alle aus politischen Motiven mit Deutschland vergleichen wollen. Das hemmt uns, die nötigen Reformen in unserem Land anzugehen.

Woran leidet Frankreich denn?

Erst mal an einer selbstzerstörerischen Lust. Wir reden uns selber klein, da müssen die Deutschen oder andere gar nicht mehr viel drauflegen. Dieser Defätismus ist eine fürchterliche Haltung. Und dann leidet Frankreich an seiner politischen Kultur: Bei uns werden Dinge immer angekündigt, aber selten umgesetzt. Altkanzler Gerhard Schröder hat mir einmal gesagt, Wirtschaftsreformen bräuchten zehn Jahre Zeit. Uns Franzosen fehlt diese Geduld, wir wollen Wunder binnen zwei Jahren. Es fehlt an Beharrlichkeit und klaren Zielen.

Unser Eindruck ist, dass in Frankreich zwar permanent reformiert wird, aber nie tiefe Einschnitte gewagt werden. Das hat zur Folge, dass sich Reformmüdigkeit breitmacht, ohne dass sich viel ändert.

Frankreich hat keine Wahl mehr, wir müssen den Stier bei den Hörnern packen. Die neue Regierung, die der Präsident vorige Woche ernannt hat, hat zugesagt, das zu tun. Womöglich ist die Zeit der Trippelschritte und des Zickzackkurses vorbei. Die Frage ist: Sind die Franzosen bereit, unangenehme Zeiten zu durchleben, um sich zu stärken, sich zu erneuern? Deutschland hat das so gemacht, Sie ernten heute die Früchte der Agenda-Reformen. Nun steigen auch wieder Ihre Löhne.

Haben Sie Mitleid mit Hollande, dem unbeliebtesten Staatschef aller Zeiten?

Warum soll ich Mitleid haben? Er ist der Präsident, und wenn er scheitern sollte, wird er abgewählt. So ist Demokratie.

Sie pflegen doch ein enges, gutes Verhältnis zu Hollande. Sie haben sogar mit ihm als Trauzeuge gedient.

Bitte nichts durcheinanderbringen: Wir waren gemeinsam Trauzeugen für ein befreundetes Paar. Ich bin nicht sein Trauzeuge. Soweit ich weiß, hat er ja nie geheiratet!

Wie steht es um den Beitrag, den Total zu Frankreichs Erneuerung leistet? Sie führen den größten Industriekonzern des Landes - aber trotz eines Nettogewinns von 14 Milliarden Dollar schaffen Sie es, für 2013 keinen Cent Körperschaftsteuer in Frankreich zu berappen.

Wer keine Gewinne schreibt, zahlt keine Unternehmensteuern. Total verdient auf französischem Boden kein Geld, sondern verliert welches. Das Territorialitätsprinzip besagt, dass man dort Steuern abführt, wo Profite anfallen. In Deutschland zum Beispiel zahlen wir. Betrachtet man alle Länder, in denen wir vertreten sind, beträgt unsere Steuerlast 55 Prozent des Gewinns. Und in Frankreich zahlen wir zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro andere Steuern, etwa lokale Grundsteuern.

Ihre Branche ist anfällig für geopolitische Krisen wie den Ukraine-Konflikt. Da gelten Sie als Putin-Versteher. Angeblich haben Sie sogar Ihre Vorliebe für schottischen Whisky reduziert - zugunsten von russischem Wodka . . .

Das ist Quatsch! Wodka trinke ich nur, wenn ich in Russland bin. Ich bleibe Whisky-Liebhaber - und genieße nur in Maßen!

Aber Sie sind ein Russland-Versteher?

Ich plädiere nicht für Russland, sondern für Verständigung. Sanktionen sind ein Irrweg, wirtschaftliche Verflechtung hingegen erzwingt einen konstruktiven Dialog. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, Russland sei ein Feind - obwohl unsere Energieversorgung großteils von diesem Nachbarn abhängt.

"Wir Europäer müssen diese Krise anders lösen, ohne Schwarz-Weiß-Malerei"

Wenn die Amerikaner aus historischen Gründen oder aus innenpolitischen Motiven den Konflikt schüren wollen, ist das ihre Entscheidung. Wir Europäer müssen diese Krise anders lösen, ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Man kann nicht prowestliche Ukrainer zu den Guten stilisieren und die prorussischen zu den Bösen. Ich persönlich glaube nicht, dass es Präsident Putins Plan ist, sich die Ukraine einzuverleiben.

Aber genau das hat er mit der Krim doch schon getan. Daher rührt die Furcht vor einer weiteren Annexion. Soll der Westen das einfach hinnehmen?

Das habe ich nicht gesagt. Aber stellen wir uns nicht dümmer, als wir sind! Unser Verhalten gegenüber Russland ist nicht gerade freundlich. Bedenken Sie auch einmal, welche Ängste es in Russland auslöst, wenn die Ukraine an Europa und an die Nato heranrückt, obwohl die Russen auf der Krim wichtige Armeestützpunkte haben. Wie würde Amerika reagieren, wenn die Russen wieder auf Kuba auftauchten?

Erklärt sich Ihr Wunsch nach Entspannung nicht mehr dadurch, dass Ihr Konzern bis 2020 Russland zu seinem wichtigsten Förderland machen will? Stecken Sie da im Dilemma zwischen Geschäftsinteressen und Pflicht zur Loyalität?

Dies ist keine Frage von Loyalität. Wir sind kein Staat, sondern ein privates Unternehmen, das nach Recht und Gesetz handelt. Und schulden unseren Aktionären Rechenschaft. Punkt, aus. Wir wollen unsere Risiko-Exposition in Russland nicht steigern, solange die Lage so unklar ist, aber ich wäre kein guter Konzernchef, wenn ich jetzt alles rückabwickeln würde, was wir in Russland aufgebaut haben.

Auch im Irak bohrt Total nach Öl. Macht Sie der Vormarsch islamistischer Gotteskrieger dort nervös?

Alle tun jetzt ganz erstaunt, dabei hat die Entwicklung im Irak leider nichts Überraschendes. Das Erstarken der Terrormilizen hätte verhindert werden können - das ist sogar leichter, als in Frankreich die Konjunktur anzukurbeln. Jeder weiß doch, dass Schiiten, Sunniten und Kurden im Irak miteinander verfeindet sind. Der Westen hat sich wiederholt militärisch eingemischt, aber nie einen belastbaren fairen Kompromiss zwischen den Volksgruppen vermittelt. Jetzt explodiert das Pulverfass.

Zieht Total sich jetzt aus dem Irak zurück?

Wir kannten das Risiko. Im gefährlichen Teil haben wir keine Betreiberlizenz übernommen, wir sind da nur Partner anderer Konzerne. Im Kurdengebiet sind wir präsenter. Wir haben die Zahl unserer Beschäftigten auf das absolut Nötige reduziert.

Der Erdölindustrie haftet der Ruf an, gern mit autoritären Regimen Geschäfte zu machen - sei es in Russland, im Irak, in Iran und Myanmar, wo Total vorgeworfen wurde, eine Stütze der Militärjunta zu sein.

Es ist absurd zu glauben, wir gingen mit Vorliebe in undemokratische Staaten. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat öffentlich erklärt, Total sei das beste Beispiel dafür, wie ein ausländischer Konzern die Entwicklung von Demokratie und Wohlstand im heutigen Myanmar fördern kann. Wären wir nicht im Land geblieben, hätten wir diesen Beitrag nie leisten können. Unsere Investitionen sind langfristig, wir können uns nicht davon abhängig machen, wer in welchem Land gerade die Macht hat. Und wir können nun mal nur dort nach Öl und Gas bohren, wo es welches gibt. Im Übrigen sei eine Frage erlaubt: Verkaufen die USA, Frankreich, Deutschland und andere Staaten ihre Waffen allein an demokratische Länder?

In Evian werden Sie den deutschen Energieminister Sigmar Gabriel treffen. Werden Sie ihm als Energie-Boss offen sagen, was Sie über die Energiewende denken?

Ich pflege stets offen meine Meinung zu sagen. Unabhängig von meinen Anliegen als Erdöl-Industrieller krankt die Energiewende daran, dass jedes Land ohne Abstimmung mit den Nachbarn seine eigene Wende betreibt. Das gilt für Deutschland wie für die anderen. Es ist frustrierend, dass ein Land jetzt wieder die Atmosphäre mit Kohleabgasen verschmutzt, nachdem es viele Milliarden für erneuerbare Energien ausgegeben hat. Das ist die Folge einer Energiepolitik, die die Verstromung von Gas zugunsten von Kohle bremst. Hier schlägt sich Frankreich besser, da es in der EU am zweitwenigsten CO₂ pro Einwohner ausstößt. Das haben wir der Atomkraft zu verdanken, ob einem das passt oder nicht.

Sie haben aber doch auch in die erneuerbaren Energien investiert und die US-Solarfirma Sunpower übernommen. Glauben Sie, dass die Solarindustrie eines Tages die Ölmultis von heute ersetzen wird?

Das Ende des Ölzeitalters ist noch weit. Ich werde es nicht mehr erleben - und Sie auch nicht. Aber wir wollen ein Akteur der globalen Energiewende sein. Unsere Wette ist, dass die Solarindustrie ein rentables Geschäft sein kann - auch ohne Subventionen. Sunpower zeigt, dass wir dabei sind, diese Wette zu gewinnen.

Deutsche Solarfirmen sind wegen der chinesischen Konkurrenz reihenweise pleitegegangen. Waren die dümmer?

Solarenergie kann nur dort wettbewerbsfähig sein, wo andere Energieträger teuer sind und zugleich viel die Sonne scheint. In Chile etwa sind die Voraussetzungen erfüllt. Deutschland mag zwar eine Vorreiterrolle bei erneuerbaren Energien einnehmen. Aber mit der Sonnenscheindauer ist das halt so eine Sache. Dieser Sommer war in Deutschland doch genauso mies wie in Frankreich. Was wieder einmal beweist, dass unsere Länder sich nah sind!

© SZ vom 04.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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