Top-Ökonom Dennis Snower:"Ich bin immer in der Minderheit"

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Dennis Snower, US-Ökonom in Kiel, über seine Kreditkarten, den amerikanischen Traum - und unrealistische Weltbilder auf beiden Seiten des Ozeans.

Grit Beecken

Wie lebt es sich als Amerikaner in Deutschland? Worin unterscheiden sich der amerikanische und der deutsche Kapitalismus? Dennis Snower, 58, ist seit Oktober 2004 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und arbeitet seitdem in Kiel. In der Wirtschaftskrise versucht er den Brückenbau zwischen zwei Weltanschauungen.

Dennis Snowers: "In Amerika bedeutet liberal 'links' und in Deutschland 'rechts'. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Snower, wie viele Kreditkarten haben Sie? Von einem Amerikaner erwartet man etwa zwanzig Stück.

Dennis Snower: Ich habe zwei Kreditkarten, die werden aber nicht sehr intensiv benutzt.

SZ: Warum nicht?

Snower: Ich bin kein Materialist, Güter und Dienstleistungen sprechen mich nicht so an. Ich brauche Kleidung, Wärme und Essen. Gemeinsame Zeit mit meiner Familie ist mir sehr wichtig. Auf Urlaub zu gehen ist eine feine Sache - aber nicht, weil wir dort Geld ausgeben, sondern weil wir zusammen sind. Das sind allerdings persönliche Ansichten, die nichts damit zu tun haben, was ordnungspolitisch sinnvoll ist.

SZ: Sie leben seit vier Jahren in Deutschland. Welche Art des Wirtschaftens mögen Sie lieber, die deutsche oder die amerikanische?

Snower: Ich sehe die Stärken und Schwächen von beiden Systemen. Deutschland ist überreguliert, das führt zu einer Risikoscheu. Nicht so sehr bei den Unternehmen, aber bei der breiten Bevölkerung. Diese Scheu ist hinderlich, Deutschland könnte viel dynamischer sein. Bei den Amerikanern hingegen ist die Unsicherheit zu groß: Das Gesundheitssystem ist unzumutbar und die Existenzsorgen verursachen enormen Stress. In Europa gibt es viel mehr staatliche Umverteilung, die zum Teil auch effizient ist. Und es ist besser durch das Steuersystem umzuverteilen, als durch das Kreditsystem.

SZ: Letzteres hat Amerika versucht. War es nicht ein Teil des amerikanischen Wohlfahrtstaates, armen Leuten ein eigenes Haus zu ermöglichen?

Snower: Ja, und wäre das gut gegangen, so wäre es eine echte Alternative zur Umverteilung über das Steuersystem gewesen. Es ist aber nicht gut gegangen und ich mache mir große Sorgen darüber, was jetzt kommt. Beide Länder haben noch nicht begriffen, dass der beste Weg darin besteht, die Benachteiligten zur Selbsthilfe zu befähigen.

SZ: Angenommen, Sie müssten sich für ein System entscheiden - welches würden Sie wählen?

Snower: Ich habe mich doch entschieden, ich bin quietschvergnügt hier in Deutschland. Ich kann erzählen, was ich von anderen Erdteilen weiß, und ich lerne von den Deutschen - das ist höchst inspirierend. Ich glaube, dass die beiden Philosophien viel voneinander lernen können.

SZ: Finden Sie es gut, dass Ihre Kinder mit Deutschland vertraut werden und die deutsche Philosophie kennen lernen?

Snower: Meine Kinder sind richtige Kosmopoliten. Als sie drei oder vier Jahre alt waren, habe ich zu meiner Frau gesagt: "Die haben mehr Stempel in ihren Pässen als ich sie mit dreißig hatte". Wir sind damals viel herumgefahren: Als meine Tochter sechs Monate alt war, da war ich Gastprofessor in Columbia, wir waren ein halbes Jahr in Schweden und so weiter. Meine Kinder kennen sich in vielen verschiedenen Städten gut aus. Inzwischen studiert mein Sohn aber in England.

SZ: Wenn Sie mit amerikanischen Freunden und mit deutschen Freunden über die Krise sprechen, was ist dann der prägnanteste Unterschied?

Snower: Ich bin immer in der Minderheit. Unter Amerikanern sage ich, dass mehr umverteilt werden muss, dass beispielsweise Gesundheits- und Rentensystem zu verbessern sind. Dann bezeichnen meine Freuden mich als Zerstörer des amerikanischen Traums.

SZ: Und unter Deutschen?

Snower: Unter Deutschen sage ich, dass wir überreguliert sind, dass die Menschen Anreize brauchen, sich im Arbeitsmarkt maximal zu integrieren. Dann bezeichnen sie mich als neoliberal. Es ist interessant, dass ich von beiden Seiten als liberal beschimpft werde: In Amerika bedeutet liberal "links" und in Deutschland "rechts".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Amerikaner und Deutsche im Umgang mit der Krise unterscheiden.

SZ: Haben die Amerikaner verstanden, dass kleinere Autos gekauft werden müssen? Dass sie weniger konsumieren können und dass am Ende nur zwei Kreditkarten überbleiben?

Snower: Nein, das ist die große Tragödie. Die staatlichen Gelder, die in die Wirtschaft gepumpt werden, setzen das schlechtest mögliche Signal: Wenn nur genügend Menschen verantwortungslos gehandelt haben, dann bekommt man Hilfe. So gibt man einen Anreiz für weitere unverantwortliche Massenbewegungen. Das Verhalten der Amerikaner ist mit der Zeit immer verantwortungsloser geworden, weil es keine richtige Regulierung gab. Das ungenügend regulierte Finanzwesen ist sehr schädlich für die Gesellschaft. Wir müssen zu einem System kommen, das Unternehmen für den Mist, den sie gebaut haben, nicht noch mit Rettungspaketen unterstützt.

SZ: Und wie ist es mit den Deutschen?

Snower: Die Amerikaner leben immer noch den amerikanischen Traum. Nämlich den, dass man immer alles erreichen kann. Manche schaffen das auch, Barak Obama stärkt den Traum. Aber die meisten schaffen es nicht. Die Deutschen hingegen glauben, nur wenig sei erreichbar. Deswegen gibt man sich bei uns nicht genügend Mühe, etwas Außerordentliches zu machen und stützt sich sehr auf den Staat, um sich sicher zu fühlen.

SZ: Wie unterscheiden sich der deutsche und der amerikanische Umgang mit der Krise?

Snower: Die Krise ist zuerst im Amerika angekommen. Dort hat man größere Angst, weil die Krise schneller ins tägliche Leben eingreift. In Deutschland dauert es durch die Sicherungssysteme - Kündigungsschutz und viel Regulierung - länger, bis sich die Einflüsse bemerkbar machen werden. Dafür wird es aber auch viel länger dauern, wieder herauszukommen. Zwar ist der deutsche Arbeitsmarkt schon viel flexibler geworden, im internationalen Vergleich ist er aber immer noch recht starr. Die Einstellung zur Krise hängt in beiden Ländern von der politischen Führung ab.

SZ: Wird der künftige Präsident Barak Obama den Amerikanern helfen?

Snower: Es wird sich zeigen, ob Barak Obama seine rhetorischen Fähigkeiten nutzt, um die Leute in die richtige Richtung zu bringen. Sie müssen mehr arbeiten und mehr sparen, um wieder ein Wachstum zu erzielen. Auch in Deutschland brauchen wir eine Richtung, und wir müssen gemeinsam in diese Richtung gehen. Ich hoffe, dass viel Unterstützung zur Selbsthilfe geboten wird.

SZ: Wie soll diese Hilfe aussehen?

Snower: Wir brauchen jetzt einen Weg, in dem der Kapitalismus nicht nur Effizienz erzeugt - wir sollen schließlich keine Ressourcen verschwenden -, sondern auch auf die richtige Weise umverteilt. Das kann durch die richtigen Anreize erreicht werden. Die Politiker müssen sich mehr Mühe geben und das geht ihnen gegen den Strich. Sie teilen lieber Geschenke aus, als dass sie durch den Markt Anreize zur Selbsthilfe schaffen. Und wir müssen uns jetzt weltweit einigen - auf Regeln in Bezug auf Eigenkapitalquoten, Bewertungskriterien und anderes.

SZ: Erwarten Sie wirklich, dass es zu solch einer Harmonisierung kommen wird?

Snower: Beim Klimawandel haben wir keinen Erfolg, bei der Asienkrise hatten wir keinen Erfolg. Aber jetzt ist allen vor Augen, dass es eine Katastrophe wäre, wenn wir es nicht schaffen. Die Politiker sind wirklich gefordert, Verantwortung zu zeigen und sich zu einigen. Und wenn sich die großen Länder einigen, dann bestraft der Markt die restlichen Länder. Nehmen wir an, die USA, Europa, China und Japan kämen zu einheitlichen Regeln. Wenn die Cayman Islands dann nicht mitziehen, wird die Risikoprämie, dort Geld zu halten, irrsinnig groß. Das wäre effizient.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, über was sich Dennis Snower gewundert hat, als er vor vier Jahren nach Deutschland kam.

SZ: Wenn wir dennoch keinen einheitlichen Umgang mit der Krise finden, gefährdet sie dann eher das amerikanische oder das europäische Modell?

Snower: Jedes Modell. Denn jedes Land braucht Kredit, um wachsen zu können. Ohne eine harmonisierte Regulierung kommt es weiterhin zu einer regulatorischen Arbitrage: Die Leute machen ihre Geschäfte dort, wo am wenigsten reguliert wird. Und wir wissen, wo das hinführt: Es gibt immer neue Skandale und immer neue Rettungsaktionen für diejenigen, die verantwortungslos gehandelt haben. Nicht weil das System unmoralisch ist, sondern weil es noch keine Regulierung gibt, die den Kapitalismus in die richtige Richtung steuert. Ohne die richtigen Gesetze ist der Kapitalismus eine sehr labile Pflanze. Er funktioniert nicht.

SZ: Wie sähen diese Gesetze idealerweise aus?

Snower: Die Frage ist, wie groß die Eingriffe in Bezug auf Umverteilung sein sollen. Manche Länder tolerieren größere Eingriffe, andere nur kleinere. Es gibt eine Fülle wirtschaftspolitischer Maßnahmen - am Arbeitsmarkt, am Ausbildungsmarkt, im Gesundheits- und Rentensystem - die in diese Richtung führen könnten. Die Amerikaner haben einige dieser Maßnahmen, beispielsweise eine Art der negativen Einkommensteuer, aufgegriffen. Andere werden nicht genutzt. In den großen kontinentaleuropäischen Ländern haben wir das andere Problem - es wird zu viel abgesichert. Daraus resultiert zu wenig Unterstützung für die Selbsthilfe.

SZ: Stehen die unterschiedlichen Weltanschauungen einem weltweit einheitlichen Umgang mit der Krise entgegen?

Snower: Die Unterschiede spiegeln sich in unterschiedlichen Fiskalpolitiken wider. In Amerika geht man in dieser Hinsicht viel energischer vor als Deutschland das bislang tut. Wichtig ist jetzt aber eine international harmonisierte Regulierung der Märkte, ansonsten wird diese Krise nicht enden und immer wieder aufflammen.

SZ: Wenn sich die Regeln annähern, werden wir dann irgendwann einen Weltkapitalismus haben?

Snower: Kapitalismus bedeutet, dass man frei kaufen und verkaufen kann und dass die dafür notwendigen Preise dezentral bestimmt werden. Damit ein solches System bestehen kann, braucht man Gesetze, die bestimmen, was legal und was illegal ist. Beispielsweise muss festgelegt werden, was Eigentum ist und was gültige Verträge sind. Dafür sind riesige staatliche Eingriffe notwendig, nur so kann das kapitalistische System funktionieren. Mit bestimmten Problemen, wie Ungleichheit in der Gesellschaft, kann der Kapitalismus aber nicht umgehen.

SZ: Kann dem abgeholfen werden?

Snower: Es gibt staatliche Interventionen, die den Kapitalismus erst ermöglichen und es gibt solche, die den Kapitalismus humaner machen. Diese beiden muss man klar unterscheiden. An den Finanzmärkten gibt es nicht besonders viel menschliches, sie waren einfach nicht ausreichend reguliert. Darum konnte der Kapitalismus nicht funktionieren.

SZ: Wenn wir über Menschlichkeit sprechen: Was ist für Sie das inhumanste Gesetz in Deutschland und welches dasjenige in den USA?

Snower: Bevor ich diese Frage beantworten kann, müsste ich lange forschen. Aber ich würde sagen, dass es in den USA grausam ist, dass arme Leute nicht krankenversichert sind. Das ist mit der Idee des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht vereinbar. In Deutschland finde ich es ziemlich inhuman, dass Geringqualifizierte so wenig Möglichkeit haben, aufzusteigen. Sie werden in einer Weise abgesichert, die sie ihrer Anreize beraubt, ihre Ziele zu verwirklichen. Das haben wir nach der Wiedervereinigung gesehen. In Ostdeutschland ist die Arbeitslosigkeit viel höher als im Westen, irgendwas ist da sehr schief gelaufen und das ist inhuman.

SZ: Und was hat Sie am meisten verblüfft, als Sie vor vier Jahren nach Deutschland kamen?

Snower: Der enorme Neid, der Leute dauernd zu Vergleichen treibt, der immer alles ebnen will. Der Ungleichheiten in Leistungen nicht belohnen will und sozialen Zusammenhalt mit Gleichheit verwechselt. Damit kann ich immer noch nichts anfangen. Mein Gehirn ist darauf noch nicht programmiert und ich weiß auch nicht, ob ich es jemals verstehen werde.

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