Top-Manager:Nicht gesellschaftsfähig

Lesezeit: 4 min

Der Fall Siemens belegt, dass das Ansehen der Top-Manager nie so schlecht war wie heute. Nur durch Transparenz können die Wirtschaftsführer die Spannungen begrenzen, die mit der Globalisierung unweigerlich eingetreten sind.

Karl-Heinz Büschemann

Diesmal ist es Siemens. Mitarbeiter, Medien und Politiker beschimpfen den Münchner Elektronikkonzern, weil er seinem Vorstand die Millionengehälter um 30 Prozent erhöhte und sich ein paar Tage später herausstellte, dass die 3000 deutschen Mitarbeiter in der ehemaligen Handy-Sparte des Konzerns vor dem Nichts stehen. Der neue Besitzer aus Taiwan ist pleite, an den Siemens das verlustreiche Geschäft vor einem Jahr dankbar weitergereicht hatte, zusammen mit mehr als 400 Millionen Euro.

In Erklärungsnöten: Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. (Foto: Foto: Reuters)

Wieder stehen die Manager am Pranger, die selbst besser verdienen denn je, aber nichts für ihre Mitarbeiter tun. Kanzlerin Angela Merkel fühlt sich aufgerufen, Siemens zur Raison zu rufen: ,,Die Verantwortung muss wahrgenommen werden,'' sagt sie. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber bestellt den Siemens-Chef ein, Nordrhein-Westfalens Landesherr Jürgen Rüttgers spricht von einer ,,Riesensauerei''.

Allianz-Chef erst kürzlich gescholten

Wir haben es immer gewusst, sagen sich manche Bürger. Kürzlich erst wurde der Chef des Allianz-Konzerns dafür gescholten, dass er fast gleichzeitig Rekordgewinne und den Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen bekannt gab.

Noch ist in frischer Erinnerung, dass sich bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone Anfang 2000 ausscheidende Manager mit zweistelligen Millionenabfindungen bedachten und das normal fanden. Nie war das Ansehen der Top-Manager so schlecht wie heute.

Wahrscheinlich waren die Unternehmensführer früher auch nicht besser. Auch in der Vergangenheit gab es gute Chefs und schlechte, vorbildliche wie dubiose. Damals traten Unternehmer in Karikaturen als Figuren auf, deren Bäuche so dick waren wie ihre Zigarren.

Früher gab es weniger Probleme

Trotzdem hatten sie mit der Gesellschaft weniger Probleme. Noch in den achtziger Jahre konnten sich die meisten Deutschen vor Arbeitslosigkeit sicher fühlen. Was die Vorstände trieben, war dem Normalbürger egal.

Heute sieht die Welt anders aus. Die Globalisierung setzt Unternehmen und ihre Mitarbeiter der Konkurrenz des Weltmarktes aus. Viele Menschen verlieren ihre Arbeit, Fabriken wandern ins Ausland aus - die Angst vor der Zukunft geht um.

Viele müssen mit weniger Geld auskommen, das Heer der Hartz-IV-Empfänger wächst, und die Behauptung der Manager, die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland sichere die Beschäftigung zu Hause, wirkt auf diejenigen, die ihren Job verloren haben, wie Hohn.

Glaubwürdigkeitskrise

Mancher führt die Wahlerfolge der Rechtsradikalen auf die wachsende Unzufriedenheit der Menschen zurück, die weder ihren Politikern noch den Spitzenkräften der Wirtschaft vertrauen. Ausgerechnet ein Manager, der Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, warnt vor den Folgen dieser Glaubwürdigkeitskrise. Die Entwicklung könne dazu führen, ,,dass unsere ganze Gesellschaft instabil wird.''

Den Menschen kommt zunehmend das Vertrauen in Marktwirtschaft und Demokratie abhanden, und die Spitzenmanager sind dafür mitverantwortlich. Sie scheinen ihre gesellschaftliche Umwelt kaum noch wahrzunehmen, halten sie möglicherweise für unwichtig, selbst wenn sie Hunderttausende Mitarbeiter haben.

Die Kluft wächst

Sie glauben, sie würden allein dafür bezahlt, den Gewinn im nächsten Quartal zu erhöhen. Die Kluft zwischen den Konzernführern und der Gesellschaft wächst, je mehr die Vorstände damit drohen, mit ihren Fabriken ins Ausland abzuwandern.

Der mühsame Dialog mit der Gesellschaft, der vielleicht das Verständnis der Menschen für die Wirtschaft erhöhen könnte, wird durch den massiven Ausbau der Public-Relations-Abteilungen ausgeglichen. Die PR-Leute muten den Menschen dann oft Sprechblasen zu, wo eine offene und ehrliche Erklärung angebracht wäre. Doch Mitarbeiter und Bürger haben ein feines Gespür dafür, wenn sie getäuscht werden.

Sie reagieren auf Vorbilder. Sie achten die Leistung ihrer Chefs, solange die sich für das Wohl des Unternehmens einsetzen. Sie gönnen den Vorständen ihre Millionengehälter, solange deren Leistung stimmt, die Arbeitsplätze sicher sind und der Aktienkurs steigt. Mitarbeiter wollen stolz sein auf ihre Chefs. Das aber wird immer schwieriger.

Über dem Gesetz

Was soll der Normalmensch über Top-Manager denken, die Gesetze missachten, die ihnen nicht gefallen? Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, hat als Mannesmann-Aufsichtsrat bei der Zahlung von Abfindungen gegen das Aktiengesetz verstoßen. Er reagiert darauf mit einem Achselzucken.

Daimler-Vorstandschef Jürgen Schrempp und sein Aufsichtsratsvorsitzender Hilmar Kopper haben das gleiche Gesetz nur für den Zwecke überdehnt, Schrempps Chefvertrag vorzeitig zu verlängern.

Dazu kommt das verheerende Menschenbild, das mit dem Einzug des Shareholder-Value-Gedankens in vielen Chefetagen vorherrscht. Demnach gibt es in den Unternehmen die Guten: Das sind die Chefs, die Sanierer, die mutig die Kosten drücken und das Unternehmen fit machen für den Wettbewerb. Und es gibt die vielen anderen, die dem Erfolg entgegenstehen - die sind leider nur Kostenfaktoren.

Es kommt nicht nur auf die Löhne an

Doch dieses Wertesystem hat keinen Bestand. Die Menschen wissen, dass es nicht nur auf ihre Löhne ankommt, sondern auch darauf, was ihre Führung zum Unternehmen beiträgt, wie sie mit neuen Produkten unbekannte Märkte erschließt.

Wo nur die Kosten gedrückt werden, kann es mit der Leistung der Manager nicht weit her sein. Die Erfahrung zeigt, dass den Top-Managern der Gedanke, sie könnten gemessen an ihrer Leistung überbezahlt sein, nur selten kommt.

So ist es kein Wunder, wenn sich nach der Politikverdrossenheit bei den Menschen jetzt auch breite Enttäuschung über die Wirtschaft mit ihren Spitzenkräften breitmacht. Sind die Menschen schon lange daran gewöhnt, dass es Politiker mit der Wahrheit nicht genau nehmen, geraten jetzt auch Konzernführer in eine Glaubwürdigkeitskrise. Das ist gefährlich.

Anforderungen

Ob sie es wollen oder nicht: Top-Manager können das Schicksal der Normalbürger oft mehr beeinflussen als Politiker. Dieser Anforderung müssen sich die Manager stellen, so oder so. Sie können sich nicht hinter schallgedämpfte Türen zurückziehen und hoffen, dass sie in Ruhe gelassen werden.

Sie müssen ehrlich erklären, was sie tun, und sie werden die Erfahrung machen, dass die Mitarbeiter auch bittere Pillen schlucken, solange die Chefs offen sind und den Betroffenen das Gefühl vermitteln, selbst mit allem persönlichen Einsatz, vielleicht sogar mit eigenen Opfern, an der Lösung zu arbeiten. Sie stehen unter Beobachtung.

Nur durch Offenheit und Transparenz kann die Wirtschaft die Spannungen begrenzen, denen die Globalisierung die Gesellschaft aussetzt. Die Unternehmen sollten selbst ein starkes Interesse daran haben. In einer zerrissenen Gesellschaft können auch die Unternehmen keinen Erfolg haben.

© SZ vom 07.10.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: