Halb ehrfurchtsvoll, halb spöttisch nennen Bewohner im Tecklenburger Land die 12.000-Seelen-Gemeinde Mettingen "St. Brenninkmeyer". Etliche Straßen des Dorfes in Nordrhein-Westfalen tragen Namen mit christlichem Bezug wie Mariengrund oder Bischofstraße. Oder sie führen schlicht Namen von Heiligen im Schilde: Clemensstraße, Georgstraße und Josefstraße. Speziell entlang der Bischofstraße reihen sich, hinter blickdichtem Busch- und Blattwerk, pompöse Landsitze aneinander mit verwirrenden Bezeichnungen: Gelbhaus, Grünhaus, Potschoppen, Tielshaus, Haus Gockel oder Schloss. Einen prunkvollen Marienhof gab es in der Mettinger Bischofstraße schon, bevor die ARD eine gleichnamige Seifenoper ins Vorabendprogramm hob.
Mit Hilfe der Geheimsprache
In den Residenzen logieren Nachkommen der fünften und sechsten Generation der Brüder Clemens und August (C&A) Brenninkmeyer, Pionieren des Textilhandels. Das Haus Gloria geht zurück auf den 1925 verstorbenen Gründersohn Georg Brenninkmeyer, dessen Urenkel Joseph Brenninkmeyer heute die lokalen Domänen einschließlich Dutzender Grabstätten der Sippe auf den Mettinger Friedhöfen hütet. Zudem waltet er als Hausherr der sogenannten Draiflessen Collection, des familieneigenen Veranstaltungszentrums.
Draiflessen entstammt der Geheimsprache der Gründergeneration, der Tüöttensprache der westfälischen Wanderhändler: Drai steht für die Zahl Drei und erinnert an Dreifaltigkeit und Glaube. Flessen wiederum bedeutet Flachs, auch Flachsland/Leinenland, und versinnbildlicht Heimat und Ursprung des Textilhändlers C&A mit heute fast 1500 Filialen in Europa, knapp 6,6 Milliarden Euro Umsatz, davon drei Milliarden Euro allein in Deutschland, und wachsender Präsenz in Südamerika und im Fernen Osten.
In der Begegnungsstätte Draiflessen gewährt die Draiflessen Collection von diesem Samstag an bis zum 8. Januar 2012 tiefe Einblicke ins Firmen- und Familienarchiv. Die Ausstellung "C&A zieht an!" will "Impressionen einer 100-jährigen Unternehmensgeschichte" vermitteln - und eröffnet auch intime Einblicke ins Geschäftsgebaren während der Nazizeit. Dabei war Publizität lange verpönt, Firmendaten hielt C&A unter Verschluss. Bis in die 1990er Jahre hinein nannte die Düsseldorfer Zentrale nicht einmal die Zahl der C&A-Filialen. Erst dann begann eine zunehmende Öffnung nach außen. In den Fachwerkholzbalken am Rathaus in Mettingen hatten die Brenninkmeyers ein spezielles Glaubensbekenntnis schnitzen lassen: "Gesteh' kein Sünd ans Hausgesind." Das galt auch für die Nazizeit.
Wegen ihrer ausnahmslos niederländischen Staatsbürgerschaften und des gelebten Bekenntnisses zum katholischen Glauben - aus der Familie stammen Dutzende Priester und Ordensschwestern - galten die Brenninkmeyers im Münsterland lange Zeit als unbefleckt aus der Nazizeit hervorgegangen. Familienmitglieder durften sich, wenn sie nicht als Priester oder gar Bischof geweiht waren, mit katholischen Ehrentiteln schmücken wie "Ehrenkammerherr Seiner Heiligkeit des Papstes" oder "Kommandeur des Sankt-Gregorius-Ordens".
Spenden in Millionenhöhe
Umso erstaunlicher ist die uneingeschränkte Offenheit, mit der die Familie nun die Firmengeschichte aufarbeitet. Frank und frei räumt Clan-Repräsentant Joseph Brenninkmeyer in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog ein, dass "die Frage nach der Rolle unseres Familienunternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus ein selbstverständlicher Teil der wissenschaftlichen Recherche" war. Was der Draiflessen-Historiker Kai Bosecker dabei aufspürte, habe die Familie weltweit "sehr betroffen" gemacht.
Die Großfamilie gab daher gerade grünes Licht, die Firmengeschichte vom Wirtschafts- und Sozialhistoriker Professor Mark Spoerer aus Regensburg lückenlos rekonstruieren zu lassen. Der Experte auch für die Zeit des Dritten Reiches soll eine unabhängige, umfassende Darstellung erarbeiten. Jedes Detail soll veröffentlicht und zugänglich gemacht werden.
Doch schon die aktuelle Ausstellung ist brisant genug: Sie enthält etwa Dokumente, die den Antisemitismus einzelner Familienmitglieder und ranghoher C&A-Geschäftsführer in den Provinzen des Deutschen Reiches dokumentieren. Archivalien decken große Geldflüsse in braune Kanäle auf.
Der Textilfilialist spendete während der NS-Zeit Millionen Reichsmark an die dubiose Winterhilfe der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt unter dem Patronat von Propagandaminister Joseph Goebbels, schenkte Hitlers späterem Stellvertreter und Luftwaffenchef Hermann Göring mehrfach zu dessen Geburtstagen wertvolle Kunstwerke, zum Beispiel das Gemälde "Abendmahl Christi" von Lukas Cranach dem Älteren. Wenn es dem Verkaufsgeschäft nützte, zum Beispiel in Leipzig, warb C&A mit dem Siegel: "Rein arisch". Die Gemeindeverwaltung in Mettingen ließ sich nicht lumpen. Sie bescheinigte gerne die "rein arische Abstammung der Familie".
Grundbuchauszüge und Kaufverträge belegen, wie C&A in Bremen die "Arisierung" jüdischen Grundbesitzes betrieb und in Berlin und Leipzig von russischen und holländischen Zwangsarbeitern profitierte. Interne Unterlagen zeigen zudem zweifelsfrei den teils glühenden Nationalismus in der Chefetage. Geschäftsführer Franz Brenninkmeyer, 1890 in Mettingen geboren, dort 1969 vom Gemeinderat zum Ehrenbürger gekürt und 1972 zu Grabe getragen, schrieb nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, einen Brief an rund zwei Dutzend C&A-Geschäftsleiter, "schwört sie ein auf die nationalsozialistische Führung" und schwärmt von "Volk und Vaterland".
Bitte in die NSDAP eintreten
Alte Personalakten liefern auch Indizien, dass C&A leitende Angestellte ermunterte, in die NSDAP einzutreten. Und ein Jurist in C&A-Diensten wurde zu Kriegsbeginn als "Angehöriger der Reiter-SS ins Konzentrationslager Buchenwald abkommandiert". In einem nun aufgetauchten Brief an die Inhaber und die Geschäftsleitung von C&A schildert der SS-Mann stolz seine "Beteiligung an Verhaftungen von Juden im besetzten Polen". Nach dem Krieg ließ er sich als Anwalt nieder und vertrat C&A in Wiedergutmachungs-Prozessen. Für Historiker Bosecker lässt dies "ein tief sitzendes Unrechtsbewusstsein vermissen".
Eins der düstersten Kapitel ihrer Geschichte schrieb die Brenninkmeyer-Familie in Bremen. In der Hansestadt betrieben die jüdischen Schneider Chaim und Fanny Bialystock im eigenen Geschäftshaus Am Brill 14 den etablierten Herrenausstatter Adler. Direkt nebenan residierte C&A. Als Chaim Bialystock 1938 in Todesangst nach Holland geflüchtet war, versuchte seine Frau, über den jüdischen Makler Adolf Herz das Gebäude zu verkaufen, um dann ihrem Mann ins vermeintlich sichere Ausland zu folgen.
Natürlich zeigten die Brenninkmeyers Interesse an der Immobilie in direkter Nachbarschaft, lehnten jedoch empört den Zwischenhändler Herz ab. Überhaupt boten sie gut ein Viertel weniger als den amtlichen Marktwert. Eine Anfrage der notverkaufswilligen Fanny Bialystock, ob sie nach einem anstehenden Besitzwechsel und bis zu ihrer Ausreise unentgeltlich in ihrer Wohnung bleiben könne, wurde von C&A brüsk zurückgewiesen. Stattdessen wurde ein Mietvertrag aufgesetzt, der nicht verlängert werden sollte, als sich die Ausreise verzögert. Und als kurz vor der Überschreibung im Grundbuch, während der Reichspogromnacht im November 1938, der nationalsozialistische Mob Schaufenster und Türen beim Herrenausstatter Adler zertrümmert, hielt C&A einen Teil des Kaufpreises zurück, bis der Schaden von Fanny Bialystock beglichen worden war. Posthum bereut C&A diese wahrlich unchristliche Hartherzigkeit; der Ausstellungskatalog erinnert nun an das Schicksal des Paares: "Fanny Bialystock und ihr Ehemann Chaim werden 1942 in Auschwitz ermordet."
Menschen denunziert
Dieses unmoralische Geschäft war kein Einzelfall. "Das Unternehmen C&A profitiert erheblich von der Verdrängung von Juden aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben", heißt es im Katalog. Der Clan räumt ein, "während der Naziherrschaft" im damaligen Deutschen Reich "zahlreiche Grundstücke von jüdischen Eigentümern" erworben zu haben, "darunter die Geschäftshäuser in der Hamburger Mönckebergstraße, in Wuppertal-Elberfeld sowie in der Berliner Oranienstraße".
Manager des Unternehmens denunzierten zudem Juden: Georg August Brenninkmeyer, bis zu seinem Tod im Sommer 1953 größter Teilhaber der deutschen C&A-Handelsfirma und Resident in Hamburg, sprang einem Mitarbeiter der Hauptverwaltung bei. Brenninkmeyer wollte keinem Angestellten zumuten, sich bei einem jüdischen Arzt untersuchen zu lassen. Der Mediziner hieß Max Besser. Er begutachtete als Vertrauensarzt im Auftrag verschiedener Versicherungsfirmen Antragstelle, die eine Lebensversicherung abschließen wollten. Brenninkmeyer persönlich teilte der Hauptverwaltung in Berlin mit, dass ein von der Versicherung benannter Vertrauensarzt ein Jude sein soll. Eine gleich lautende Meldung schickte C&A an die Versicherung.
Später wird zu Protokoll gegeben, dass der Arzt "für die Evakuierung nach dem Osten vorgesehen" war und "dieser Maßnahme durch Selbstmord ausgewichen" sei.Sogenannte Stolpersteine an der Hammer Landstraße 32 in Hamburg erinnern heute an die Eheleute Käthe und Max Besser: "Entrechtet, gedemütigt. Flucht in den Tod am 7. November 1941."
Für den Ausstellungskatalog wertete Historiker Bosecker auch Baupläne aus. Ende 1942 wurde zum Beispiel "das Dachgeschoss der Gubener Straße 47 für die Unterbringung von 100 Russinnen ausgebaut". Dabei handelte es sich um eine C&A-Produktionsstätte in Berlin. Der Wissenschaftler kommentiert: "Mit der Beschäftigung von Zwangsarbeitern wird die Verstrickung tiefer."
Nach Meinung von Bosecker haben C&A-Geschäftsführer mit den Denunziationen und mit der Beteiligung an Arisierungen "das Maß bloßer Anpassung und Anbiederung überschritten". Für den Forscher "unterwirft sich die Unternehmensführung zumindest in Einzelfällen der nationalsozialistischen Rassenideologie". Eine düstere Firmengeschichte.