Telekom-Spitzelaffäre:Erst die Spionage, dann die Moral

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Solange Mitarbeiter regelmäßig wie Firmeneigentum behandelt werden, helfen auch Gesetze nicht, Arbeitnehmer vor der Kontrollwut ihrer Chefs zu schützen.

Thorsten Denkler, Berlin

Es wird wieder vorkommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert es sogar jetzt gerade in irgendeinem großen oder kleinen Unternehmen in Deutschland. Mitarbeiter werden abgehört und ausspioniert, es werden Kommunikations- und Bewegungsprofile erstellt. Weil Kontrolle doch immer noch besser sei als Vertrauen, wie viele Unternehmer glauben.

Mitarbeiter-Diebstähle sind kein Grund, gleich die ganze Belegschaft unter Generalverdacht zu stellen. (Foto: Foto: dpa)

Es scheint eine weitverbreitete Auffassung in den Chefetagen zu sein, dass Mitarbeiter per se dem Unternehmen Böses wollen. Sie wollen es bestehlen, ausnehmen, an den Rand des Ruins treiben.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis

Bei der Telekom traute man offenbar nicht mal den eigenen Kontrolleuren. Mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates wurden wegen des Verdachts auf undichte Stellen bespitzelt - genauso wie ausgewählte Journalisten. Auch wenn die Verschwiegenheitspflicht gebrochen wurde: Sie haben Missstände in dem Unternehmen aufgedeckt, die sonst nie ans Licht gekommen wären.

Solche Personen müssen geschützt werden. Ob da allerdings neue Gesetze helfen, wie jetzt von einigen Politiker und Datenschutzbeauftragen gefordert wird, ist zumindest fraglich. Sicher, die Bußgelder und Strafen können heraufgesetzt, der Schutz von Mitarbeiterdaten gestärkt werden. Und dann?

Was die Telekom-Bosse mutmaßlich angeordnet haben, war bereits illegal. Da sollten unter Einsatz geheimdienstlicher Mittel die undichten Stellen im Konzern gefunden werden. Wer hat wann mit wem gesprochen, darum ging es den internen Fahndern. Bußgeld von bis zu 250.000 Euro und bis zu fünf Jahre Gefängnis können für Vergehen gegen Datenschutzbestimmungen verhängt werden. Nur: Wer ist der Schuldige?

Moralisch gesehen scheint das klar: Ex-Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke und Ex-Telekom-Aufsichtsrat Klaus Zumwinkel sind in erheblicher Erklärungsnot. Rechtlich aber wird der Nachweis einer individuellen Schuld nur schwer zu führen sein. Gut möglich, dass am Ende der beauftragte Privatdetektiv dafür geradestehen muss, seinen Auftrag erfüllt zu haben. Härtere Gesetze würden in so einem Fall wohl nicht den Falschen, aber auch nicht die Richtigen treffen.

Vertrauen in die Mitarbeiter

Was das Land braucht, ist eine Abkehr vom Bild des Mitarbeiters als Leibeigenem. Es gibt gute Beispiele dafür, dass das geht: Die Drogeriekette dm etwa behandelt ihre Mitarbeiter erwiesenermaßen vorbildlich. Hohe Entscheidungsfreiheit, praktisch keine Kontrollen, viel Vertrauen. Und der Umsatz steigt - oh Wunder. Mitarbeiter-Diebstähle mag es auch hier geben. Nur ist das kein Grund für dm, gleich die ganze Belegschaft unter Generalverdacht zu stellen.

Vertrauen in die Mitarbeiter hat auch den Softwarekonzern SAP groß gemacht. Regelmäßig heimst das Unternehmen Preise für seine Mitarbeiterfreundlichkeit ein. Die Vorstände dort wissen, dass Kreativität durch nichts leichter zu zerstören ist, als durch Misstrauen. Wo Vertrauen ist, gibt es keinen Grund für Indiskretionen.

Wenn sich diese Erkenntnis nicht langsam flächendeckend in der deutschen Wirtschaft durchsetzt, dann helfen auch die besten Gesetze nicht, die Mitarbeiter vor dem Kontrollwahn ihrer Chefs zu schützen. Moralisch richtiges Handeln lässt sich eben nicht verordnen.

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