Technik am Leib:Hautnah

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Technische Geräte stehen nicht mehr in einer Ecke oder werden in eine Hosentasche gesteckt - kaum ein Körperteil bleibt davon verschont. Eine Übersicht.

Von Jürgen Schmieder und Kathrin Werner

Was würde ein vernünftiger Mensch machen, wenn ein Autohändler zu ihm nach Hause käme? Wenn der erklären würde, dass er Beweise für ein paar kleinere Unfälle in den vergangenen Monaten gesammelt habe und er deshalb den Kauf eines neuen Fahrzeugs empfehlen würde? Natürlich würde jeder diesen dreisten Typen zum Teufel jagen und grübeln, woher er das mit den Blechschäden gewusst hat. Allerdings: Warum beschwert sich kaum jemand darüber, wenn genau diese Szene nicht in der analogen Welt passiert, sondern über tragbare Technologieprodukte?

Gary Kovacs, Chef der Sicherheitsfirma AVG Technologies, stellt auf der Unterhaltungselektronik-Messe CES in Las Vegas genau diese Fragen - und er geht noch weiter: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der mit dem Internet verbundenen Geräte auf sechs Milliarden verdreifacht, sie wird sich in den kommenden vier Jahren noch einmal verdreifachen. Vor allem rücken diese Geräte immer näher an den Menschen heran, vom Computer in der Ecke über den Laptop in der Tasche und das Smartphone in der Hand zu jenen Gadgets, die als Wearables bezeichnet werden und immer dabei sind. "Sie müssen sich bewusst machen, dass so ein Fitnessarmband nicht nur Schritte zählt und den Herzschlag misst", sagt Kovacs: "Es sammelt Daten, wann Sie Sport treiben, wann Sie schlafen, wann Sie mit ihrem Partner intim sind."

Der Trend, das ist auf der Technologiemesse deutlich zu sehen, geht zu einem komplett vernetzten und damit auch komplett durchanalysierten Menschen. Es gibt kaum noch ein Körperteil, an dem nicht ein tragbares Technologiegerät angebracht werden kann. Hier sind ein paar Varianten von Kopf bis Fuß.

Auf dem Kopf

Produkte gegen Haarausfall gibt es in etwa so viele, wie ein Mensch Poren auf dem Kopf hat - und doch kommt auf jeder Technologiemesse ein neues skurriles Gadget dazu. In diesem Jahr ist es ein Helm, der aussieht wie aus einem schlimmen Science-Fiction-Film. Von Kopfhörern gehalten wirkt er eher wie ein Regenschutz, der den Kopf anleuchtet. Das sind jedoch Laserstrahlen, die dafür sorgen sollen, oben wieder Haare sprießen. Hersteller Apira Science verweist auf klinische Test und einer Freigabe durch die US-Gesundheitsbehörde. Nur die Deutschen, die würden sich da gerade irgendwie quer stellen.

Auf den Augen

Wer schon immer mal wissen wollte, wie sich ein Mensch fühlt, der Bullaugen als Brillen trägt, dem sei die Brille der Firma Eacu empfohlen, die nichts weniger verspricht als das Glätten der Haut um die Augen herum, die Reduktion der Pupillentrockenheit, einen Schutz vor UV-Licht, einen hypnotischen Effekt, das Befreien der Luftwege und das Heilen von Schlaflosigkeit. In den eigenen vier Wänden kann man sich den auffälligen Aparillo schon mal aufsetzen, doch der Hersteller empfiehlt das Tragen auch beim Autofahren und Lesen. Nach ein paar Sekunden sorgen Infrarot-Strahlen für Wärme, Elektroden für ein Zucken der Lider. Entspannend ist das nicht, die versprochenen Effekte treten nicht ein.

Um den Hals

Immerhin wird dieser Mini-Übersetzer nicht ins Ohr gesteckt wie die Babelfische im Buch "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams, die dem Träger das Verstehen sämtlicher Sprachen dieses Universums ermöglicht - und laut Adams ganz nebenbei noch die Existenz von Gott sowohl beweisen als auch widerlegen. Das Röhrchen hängt um den Hals und wird auf Knopfdruck aktiviert, der Träger kann einen englischen Satz hineinsprechen, er kommt als japanische Version wieder heraus - und zwar verständlich und grammatisch korrekt und nicht so verstümmelt wie bei manchem Internet-Übersetzer. Das Gerät funktioniert auch ohne Internetverbindung und ist derzeit in den Sprachen Englisch, Chinesisch und Japanisch programmiert, in der zweiten Stufe sind Französisch, Thai und Koreanisch geplant, danach sollen Spanisch, Italienisch und Arabisch folgen. Einziger Wermutstropfen: Eine Babelfisch-Variante mit Deutsch ist derzeit nicht geplant.

Auf der Haut

Der Schönheitskonzern ist nicht unbedingt der naheliegendste Aussteller auf einer Unterhaltungselektronik-Messe. Aber L'Oréal hat sich zwei Hightech-affine Partner gesucht: MC 10, ein Spezialist für dehnbare Elektronik, und PCH, ein Sensoren-Entwickler. Gemeinsam machen die Unternehmen jetzt in Pflastern. My UV Patch heißt der neue Sensor, den man sich auf die Haut pappt. Er misst, wie stark die Sonne die Haut schädigt. Der dehnbare, dünne Aufkleber ändert die Farbe und zeigt so, wann die Haut genug Strahlen abbekommen hat. Pflasterträger können Fotos davon schießen und in eine App hochladen, in der es auch Sonnenschutztipps geben wird. Im Sommer soll My UV Patch auf den Markt kommen. L'Oréal will es kostenlos abgeben, vielleicht kauft ja dann einer gleich auch Sonnencreme.

An Brust und Armen

Das Gadget für alle Väter mit Söhnen im Alter von fünf bis 18 Jahren. Der Träger bekommt eine Weste mit Sensoren über die Schultern gelegt und zieht sich einen martialischen Handschuh an. Mit dem kann er auf die Sensoren seines Gegners zielen und somit eine Daheim-Version der in den USA überaus beliebten Räuber-und-Gendarm-Variante Lasertag spielen. Es sind aber auch andere Spiele möglich wie etwa ein Wettrennen von Spielzeugautos, die über den Handschuh gesteuert werden. Die amerikanischen Firma Mad Rat Games hat den Seniorenanzug entwickelt und verspricht, dass sich Kinder (und womöglich auch Erwachsene) dadurch mehr bewegen werden.

Am Handgelenk

Das Armband Feel ist für Menschen, die gern mehr über ihren eigenen Gefühlszustand wissen möchten, aber dann doch nicht allein in sich hineinhorchen wollen. Das Bändchen der Firma Sentio Solutions misst das Stresslevel, die Wut und das sonstige Wohl- oder Unwohlbefinden des Trägers. Das Start-up sitzt passenderweise in der Psychotherapie-Hochburg New York. Feel ist mit vier Sensoren ausgestattet, sie messen die elektrodermale Aktivität, also ein kurzzeitiges Absinken des elektrischen Leitungswiderstandes der Haut, Puls, Blutdruck und Hauttemperatur. Die Daten liefert das Armband per Bluetooth an eine Smartphone-App, die sie auswertet und speichert. So kann man nachschauen, wann und wo man in der jüngsten Zeit glücklich oder eher gestresst war. Wenn der Träger mal besonders gestresst ist, vibriert das Armband als Warnung. Die App hält auch gleich Lebensratschläge bereit. Tipp für unzufriedene Menschen: "mehr lachen".

Am Finger

Es mag Menschen geben, die sich merkwürdig fühlen, wenn sie aufgeregt in ihren Ring sprechen. Vielleicht gibt es sie auch nicht. Okto jedenfalls, ein Start-up aus Moskau, hofft, dass es nicht merkwürdig, sondern cool wirkt. Das junge Unternehmen, gegründet im vergangenen Jahr von den Brüdern Sergey and Yury Kushpelev, baut einen Ring, der mit einem Mikrofon und einem Lautsprecher ausgestattet ist. Das breite, schwarz-silberne Gerät vibriert, wenn Anrufe oder SMS eingehen, es verbindet sich per Bluetooth mit dem Smartphone. Man kann das Telefon in der Tasche lassen und stattdessen die Hand übers Ohr halten zum telefonieren. Zieht man den Ring vom Finger, schaltet er sich aus.

Am Oberkörper

Das unauffälligste Detail an dieser Jacke ist das wohl beeindruckendste: Am Reißverschluss befindet sich ein kleines Zettelchen, das einem Preisschild sehr ähnlich sieht. Es ist jedoch ein Chip, auf dem die bei einem Unfall wichtigsten Daten wie medizinische Details und wichtige Kontaktnummern über ein Smartphone zugänglich gemacht werden können: Die Jacke selbst enthält je nach Variante überaus interessante Details wie etwa die schon im vergangenen Jahr mit einem Award ausgezeichneten LED-Lampen für Fahrradfahrer, die sich dann einschalten, wenn der Nutzer den Arm zum Abbiegen hebt. Oder die Giftgas-Warnlampe für Bauarbeiter. Oder die Spezial-Leuchtjacke mit zahlreichen Geheimfächern für Polizisten. Das erscheint deutlich sinnvoller als die Jacke am Nebenstand in den Messehallen der CES, die einem während des Laufens oder Radfahrens massieren soll.

Um die Hüfte

Damit bekommt der Begriff "Speckgürtel" eine ganz neue Bedeutung. Samsung hat einen Gürtel vorgestellt, der nicht einfach nur kneift, wenn der Gürtelträger zu viel futtert, sondern viel mehr kann. Er heißt WELT und hat allerlei Sensoren in der Gürtelschnalle, die Essgewohnheiten, die Zahl der pro Tag zurück gelegten Schritte, im Sitzen verbrachte Zeit und Hüftumfang messen und aufzeichnen. Die Daten schickt der Gürtel an eine App zur Auswertung. Die schlägt dann gleich einen Ernährungs- und Trainingsplan vor. Der Gürtel sieht ganz normal aus, er ist aus braunem Leder, Samsung wirbt damit, dass er diskreter ist als all die Plastik-Fitnessarmbänder. Der kleine USB-Anschluss zum Aufladen ist gut versteckt. Der WELT ist noch ein Prototyp aus Samsungs interner Schmiede für abgefahrene Ideen. Er soll auf den Markt kommen, wann ist aber noch nicht bekannt.

An den Füßen

Der "Smartshoe" sieht zwar aus wie aus eine Science-Fiction-Film, kommt einem aber gerade jetzt, wenn es eist und schneit da draußen, recht attraktiv vor. Der schwarz-weiße Super-Schuh hat eine eingebaute Heizung, mit einem Klick auf die zugehörige Smartphone-App wärmen die Schuhe die Füße auf Wohlfühl-Temperatur. Laut Digitsole sind sie die "weltweit ersten intelligenten Schuhe". Sie können sich auch automatisch um die Fußgelenke herum schließen, ohne Schnürsenkel oder Kletterschlüsse - wie die von Marty McFly aus "Zurück in die Zukunft". Ihre Sensoren messen die Tag für Tag zurück gelegten Schritte, die dabei verbrannten Kalorien und sogar die Abnutzung des Schuhs. Die schlauen Sportschuhe sollen 450 Dollar kosten und Ende 2016 auf den Markt kommen. Das französische Unternehmen hat zwei weitere Modelle in Planung, die weniger Sensoren und dennoch eine Miniheizung und Bluetooth: Sneakers und High Heels.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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