Talente: Zhengrong Liu (11):Der Mann aus Schanghai

Lesezeit: 3 min

Vor 18 Jahren kam Zhengrong Liu mit ein paar hundert Mark im Portemonnaie nach Deutschland. Heute ist er Personalvorstand bei Lanxess und der einzige Chinese im Topmanagement eines deutschen Konzerns.

Stefan Weber

Manchmal ist Zhengrong Liu froh, wenn er wieder einmal gebeten wird, seine Geschichte zu erzählen. Nicht, weil er damit prahlen will - das läge ihm fern. Sondern, weil er dann gezwungen ist, ein wenig inne zu halten und sich klar zu machen, wie es dazu gekommen ist, dass er heute Personalchef des Leverkusener Spezialchemie-Konzerns Lanxess ist, mit Verantwortung für mehr als 18.000 Mitarbeiter weltweit. "Ich schaue sonst immer nur nach vorn", sagt der schmale Mann mit dem Bürstenhaarschnitt.

Als Personalvorstand begleitete Liu den drastischen Umbau des Lanxess-Konzerns. (Foto: Foto: Lanxess)

Vor 18 Jahren ist er als Student aus Schanghai nach Köln gekommen, mit leichtem Gepäck und ein paar hundert Mark im Portemonnaie. Ohne Kenntnisse der deutschen Sprache, aber mit brennendem Ehrgeiz, es in der Fremde zu etwas zu bringen. In Windeseile hat er Stufe um Stufe der Karriereleiter erklommen, ist heute der einzige Chinese im Topmanagement eines deutschen Konzerns.

Doch so ganz scheint er seinem eigenen Erfolg nicht zu trauen. Zumindest will er mental vorbereitet sein, wenn erste Rückschläge kommen: "Ich frage mich, wie ich reagiere, wenn eine berufliche Krise kommt. Es kann schließlich nicht immer nur aufwärts gehen."

Kellner und Tai-Chi-Lehrer

Bei seinem Werdegang kann einem tatsächlich ein wenig schwindelig werden. Zehn Jahre ist der 39-Jährige erst im Beruf, und was er in dieser Zeit erlebt hat, dürften viele seiner Kollegen nicht in 15 oder 20 Jahren erfahren. Wahrscheinlich erleben sie es nie, denn die Geschichte hat märchenhafte Züge.

Wer sie verfilmen wollte, würde gerügt, ob der vielen Klischees: Als mittelloser Student kellnert Liu im Restaurant Lotos gegenüber dem Kölner Polizeipräsidium, bringt Lehrerinnen Tai-Chi und Managern des Bayer-Konzerns Chinesisch bei. Bis ihn einer dieser Manager ermahnt, sein Studium zielstrebiger anzugehen.

Für Pädagogik, Anglistik und Politikwissenschaften ist Liu eingeschrieben - Fächer, die in der Wirtschaft gewöhnlich keine große Karriere versprechen. Von der Friedrich-Ebert-Stiftung erhält er ein Stipendium. Und dann erinnert sich einer seiner ehemaligen Chinesisch-Schüler, der inzwischen für das Dax-Mitglied Bayer in Asien tätig ist, an den ehrgeizigen jungen Mann. Von da an ist die Geschichte schnell erzählt: Liu bewährte sich bei allen Tätigkeiten, die man ihm bei Bayer überträgt, mal in der Konzernzentrale in Leverkusen, mal in China.

Irgendwann begegnet er dann Axel Heitmann, dem heutigen Vorstandschef von Lanxess, damals in Diensten von Bayer in Asien. Der ist so begeistert von dem Chinesen, dass er ihm die Aufgabe des Personalchefs der frisch gegründeten Lanxess AG anbietet.

Das ist eine enorme Herausforderung. Spötter bezeichneten Lanxess damals als eine Art Resterampe: Das Unternehmen war ein Sammelbecken von Aktivitäten, von denen sich die Mutterfirma Bayer trennen wollte. Von Anfang an war klar, dass das frisch in die Selbstständigkeit entlassene Unternehmen kräftig umgebaut werden musste, um zu überleben - Personalabbau inklusive.

"Schwierig" sei das gewesen, sagt Liu im Rückblick. Doch viel schwieriger sei es, nun, wo es Lanxess besser gehe, den Tatendrang und die hohe Motivation der Mitarbeiter aufrecht zu halten. Und eine Balance zu finden zwischen den finanziellen Begehrlichkeiten von Beschäftigten, die in schwieriger Zeit Verzicht geübt haben, und dem Wohl des Unternehmens.

"Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen und auf dem Erreichten ausruhen", betont der Personalchef. Lanxess habe Anschluss gefunden an die früher ungleich besser verdienenden Mitbewerber. "Doch wenn wir uns mit unserer jetzigen Position zufrieden geben, zieht der Wettbewerb wieder davon und wir fallen zurück." Dies den Mitarbeitern zu vermitteln, sei nicht immer einfach, sagt Liu.

Dennoch: Wenn es Lanxess gut gehe, müsse auch über eine Beteiligung am Unternehmenserfolg geredet werden: "Es darf nicht sein, dass in guten Zeiten nur das Unternehmen profitiert." Eine Beteiligung am Gewinn sei das eine, sagt Liu. Darüberhinaus müssten Personalleiter aber auch die Möglichkeit haben, selbst über die Verteilung von Boni an die Beschäftigten zu entscheiden. Dieser "Nasenfaktor" werde der persönlichen Leistung oft besser gerecht als die ausgefeilteste mathematische Formel.

"Ich scheue keine Auseinandersetzung"

Dann sagt der 39-Jährige diesen Satz, für den er von Gewerkschaftsseite schon oft gescholten worden ist: "China kann sehr viel von Deutschland lernen, aber ein bisschen mehr China würde Deutschland gut tun." Manche haben das so verstanden, als wollte Liu Arbeitnehmerrechte aushöhlen. So sei das nicht gemeint, stellt er klar. "Ich habe damit nur ausdrücken wollen, dass ich mir manchmal ein wenig mehr Flexibilität und weniger Skepsis gegenüber den Mechanismen des Marktes wünschen würde."

Es fällt schwer, sich den bescheidenen, ruhigen Mann als harten Verhandlungsführer gegenüber selbstbewussten Gewerkschaftern vorzustellen. Doch dann sagt Liu Sätze wie: "Anfangs war ich in Deutschland allein auf mich gestellt. Da habe ich einen starken Behauptungswillen entwickelt." Oder: "Ich scheue keine Auseinandersetzung - in diesem Punkt bin ich kein typischer Asiate."

Wie seine Karriere weitergeht? Ob er in fünf Jahren noch Personalchef von Lanxess ist? Oder vielleicht in Asien arbeitet? Der Mann aus Schanghai will nicht spekulieren, was die Zukunft bringen könnte. Sein bisheriger Werdegang hat ihn gelehrt, dass viele Dinge nicht planbar sind. Nach 18 Jahren in Deutschland haben er und seine Frau - eine Chinesin, die er in Köln an der Universität kennengelernt hat - dieses Land schätzen gelernt.

"Und meine beiden Kinder sind sowieso Deutsche", sagt er. Doch ganz gleich, wie lange Liu in Deutschland tätig sein wird - DGB-Chef Michael Sommer dürfte Recht behalten mit der Prognose, die er schon vor Jahren abgegeben hat: "Herr Liu, Sie bleiben ein Exot und stehen unter starker Beobachtung."

© SZ vom 14.07.2008/jpm/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: