Talanx:Befreiungsschlag

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Der Talanx-Vorstandsvorsitzende Herbert Haas reduziert seine Ziele, beruhigt aber gleichzeitig die Aktionäre. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Der Hannoveraner Versicherungskonzern Talanx gibt die klassische Lebensversicherung auf und kürzt sein Gewinnziel deutlich um 100 Millionen Euro. Und wie reagiert die Börse? Überraschend gelassen.

Von Herbert Fromme, Köln

Da kündigt der Hannoveraner Versicherungskonzern Talanx überraschend an, dass er den angepeilten Gewinn von 700 Millionen Euro oder mehr im Jahr 2015 nun doch nicht erreichen werde und stattdessen nur noch 600 Millionen Euro anstrebe. Die Talanx-Begründung: Auf die Lebensversicherungstöchter in Deutschland schreibt das Unternehmen satte 155 Millionen Euro ab. Und was macht die Börse? Reagiert ziemlich gelassen.

Im Regelfall reagieren Anleger auf Negativnachrichten mit Missstimmungen. Doch am Mittwoch hielt sich die Reaktion in Grenzen. Am Nachmittag war das Talanx-Papier 1,9 Prozent im Minus. Dazu trug sicherlich bei, dass Talanx-Konzernchef Herbert Haas versprach, dass die Dividendenzahlung nicht leiden soll. Aber vor allem sind Investoren und Analysten froh, dass der Konzern endlich das ewige Problemfeld Lebensversicherung angeht.

Von 2017 an will das Unternehmen auf die "klassischen" deutschen Lebensversicherungen verzichten, bei denen der Kunde eine Zinsgarantie für die Gesamtdauer des Vertrages erhält - die sich bei Rentenversicherungen auf 50 Jahre und mehr belaufen kann. Diese Zinsgarantie müssen Versicherer unter dem von 2016 an geltenden europäischen Aufsichtsrecht Solvency II mit sehr viel Eigenkapital unterlegen. Eigenkapital aber ist knapp in der Branche.

Talanx folgt der Generali und Zurich, die sich ebenfalls von klassischen Policen verabschieden. Alle wollen mehr fondsgebundene Verträge verkaufen, bei denen höchstens die Einzahlungen garantiert sind, der Kunde aber das Anlagerisiko trägt. Doch die neuen Solvency-Regeln sind nicht der einzige Grund, warum Haas die Reißleine zog. Der Konzern kontrolliert den weltweit drittgrößten Rückversicherer Hannover Rück und den etablierten Industrieversicherer HDI Industrie.

Erst wurde die Mitarbeiterzahl dramatisch gekürzt, später wurden Hunderte Aushilfen eingestellt

Da passen die schlechte Ertragslage und das mangelhafte Wachstum der deutschen Tochter für Privatkunden und kleine Firmen nicht ins Bild. Talanx ist in der heutigen Form ein Ergebnis der Übernahme der Gerling-Gruppe in Köln durch HDI in Hannover. Seither fusionierten die Industrieversicherer erfolgreich, aber im Privatkundenbereich klemmt es. In der Lebensversicherung liegen die Kosten um 40 Prozent über dem Branchendurchschnitt.

2014 wechselte Haas die gesamte Führung des Geschäftsbereichs aus. Der neue Deutschland-Privatkundenchef Jan Wicke soll jetzt die Wende bringen. Dazu will der Konzern 170 Millionen Euro in die Hand nehmen, um die Effizienz zu verbessern. Etwa 70 Millionen Euro pro Jahr sollen so eingespart werden. Mitarbeiter hoffen, dass es nicht allein bei Einsparungen bleibt, sondern auch echte organisatorische Veränderungen kommen. In der Vergangenheit waren die Einsparprogramme eher mit heißer Nadel gestrickt. So kürzte der Konzern 2013 die Zahl der Beschäftigten dramatisch, stellte aber kurz darauf Bearbeitungsrückstände von mehreren Monaten fest. Kunden erhielten Dokumente zu spät, Vertreter ihre Abrechnungen nicht. Mit der Einstellung von Hunderten Aushilfskräften reagierte die Gruppe. Inzwischen hat sich die Lage bei den Rückständen verbessert, das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führung dagegen nur begrenzt.

© SZ vom 30.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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