SZ-Serie "NRW vor der Wahl", Folge 2:Geht doch

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In Dortmund finden sich viele Beispiele für einen gelungenen Strukturwandel. Die Stadt ist einer der größten Ausbilder für IT-Fachkräfte. Nur leider gibt es kaum Jobs für die Einwohner ohne Ausbildung - das soll sich ändern.

Von Michael Kläsgen, Dortmund

Nirgends im Ruhrgebiet wird einem das, was mit dem Begriff Strukturwandel umschrieben wird, so plastisch vor Augen geführt wie in Dortmund-Hörde. Wo eines der größten Stahlwerke Europas stand, ruht heute der Phoenix-See. In den kastenförmigen Neubau-Villen am Ufer wohnen einige BVB-Fußballprofis. Sonnenhungrige sitzen draußen auf den Terrassen der Cafés. Der Online-Modehändler Zalando entwickelt in dem ehemaligen Industrieviertel demnächst Software. Das Land Nordrhein-Westfalen baut ein Hotel für seine hier bereits ansässige Sparkassenakademie, und die Firma Microsonic, ein High-Tech-Spezialist für Ultraschall-Sensoren, verlegte ihren Sitz hierhin.

Der Kabarettist und Autor Fritz Eckenga, 62, einer der bekanntesten Dortmunder, blickt über den See und formuliert es so: "Ich kann nicht sagen, dass ich das schlecht finde." Mehr Enthusiasmus ist nicht drin und wäre auch nicht angebracht. Die Luxusbauten am See hebeln den Mietpreisspiegel aus, und das bekümmert viele. Zwar kann man in attraktiven Altbauwohnungen in der Innenstadt immer noch für fünf oder sechs Euro pro Quadratmeter wohnen. Aber manche Parteien werben im Landtagswahlkampf trotzdem mit dem Slogan: "Mieten runter!" Alles ist relativ. In Dortmund sind zwar wieder so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie 1978 vor der Stahlkrise. Aber Armut gibt es trotzdem.

Vor allem in einzelnen nördlichen Stadtteilen leben überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote mit über elf Prozent doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Das größte Problem: Fast die Hälfte der Arbeitslosen sind Langzeitarbeitslose ohne Abschluss. Zwar gilt das für viele Großstädte, aber für das Ruhrgebiet und vor allem Dortmund in besonderem Maße.

Thomas Westphal, Geschäftsführer der Dortmunder Wirtschaftsförderung, sagt, die Stadt habe fälschlicherweise nach dem Ende von Kohle, Stahl und Bier allein auf die "Akademisierung" der Arbeitsplätze gesetzt. Aus Schlossern hätten aber nicht über Nacht IT-Fachleute oder ähnlich Hochqualifizierte werden können. So etwas dauere eine Generation. Heute bildet Dortmund an verschiedenen Stätten wie der Technischen Universität (TU) oder dem Fraunhofer Institut zwar mehr High-Tech-Spezialisten aus als viele andere Städte. Aber für Ungelernte gibt es kaum Jobs.

Westphal will deswegen die Bundesregierung davon überzeugen, in Dortmund ein Pilotprojekt gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu starten. Die Kommunen sollen mit Mitteln des Bundes dazu befähigt werden, Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu hieven. Das Land zieht schon mit.

Die Stadt siedelt zudem gezielt Arbeitgeber an, die Tätigkeiten für Ungelernte anbieten. Der US-Versandhändler Amazon baut ein Logistikzentrum auf der Westfalenhütte, einem anderen stillgelegten Stahlwerk im Norden, dem Problemviertel der Stadt. Ikea hat sich bereits am Hafen mit einem Distributionszentrum niedergelassen.

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(Foto: imago)

Gestern und heute: Wenn auf der Hermannshütte Schlacke abgegossen wurde, loderte der Himmel über Dortmund orangerot.

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2002 verschifften Chinesen das Hoesch-Stahlwerk in ihre Heimat. Heute ruht an gleicher Stelle der Phoenix-See.

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Das Dortmunder U, nun ein Kulturzentrum am Bahnhof,...

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(Foto: imago)

...war früher der Gär- und Lagerkeller der Union Brauerei.

In allen Ruhrgebietsstädten klafft ein großer sozialer Unterschied zwischen Nord und Süd, meist ist die A40 die Trennlinie, in Dortmund ist es der Hauptbahnhof, den viele Dortmunder für eine Zumutung halten, weil er so heruntergekommen ist. Auf dem südlichen Vorplatz aber hat sich etwas getan. Gegenüber steht nun das Deutsche Fußballmuseum, ein paar Meter weiter trohnt das U der früheren Union Brauerei auf dem backsteinernen Hochhaus, das heute ein Kulturzentrum beherbergt. Kabarettist Fritz Eckenga blickt vom obersten Stockwerk durchs Fenster auf das überraschend grüne Dortmund und flachst: "Nachts sieht's aus wie Paris."

Anders als in anderen Ruhrgebietsstädten wurde in Dortmund schon vor 30 Jahren zum letzten Mal Steinkohle gefördert. Mit dem Stahl war es 2001 vorbei; und von dem knappen Dutzend Brauereien blieb auch keine übrig; manche gingen in der Radeberger-Gruppe auf.

Dort, wo einst der Hochofen brannte, wird nun eine Smart Factory gebaut

Wobei: Die Bergmann Brauerei entsteht jetzt wieder neu. 2007 kaufte der Unternehmer Thomas Raphael die Markenrechte und braute zuletzt am Dortmunder Hafen. Im Januar 2017 legte er den Grundstein für den neuen Standort in Phoenix West, bestehend aus Brauerei, Büros, Gastronomie und Biergarten. Phoenix West ist das Pendant zum Phoenix-See auf der anderen Seite des Vororts Hörde. Hier ragt heute der denkmalgeschützte Hochofen aus der Vorkriegszeit in den Himmel. Nebenan prangt auf dem Gasometer 25 Jahre nach der Übernahme durch den Essener Krupp-Konzern noch immer der Schriftzug Hoesch. Er ist kilometerweit von den bewaldeten Anhöhen im Dortmunder Süden zu sehen.

Eckenga bestellt auf dem Stadtrundgang im Café Lotte in der Kaiserstraße ein Bergmann Pils. Es gibt lokalpatriotische Statements, für die es nicht viele Worte braucht. Die neue Bergmann Brauerei wird neben einer historischen Fabrikhalle am Hochofen entstehen, die zu einem neuen Konzertsaal umfunktioniert wird. Die Hip-Hop-Band "Die Fantastischen Vier" hat sich daran finanziell beteiligt und stieß am Tag der Pressekonferenz natürlich mit Bergmann Bier auf die Zukunft an.

Ein paar Meter weiter baut der Pumpenhersteller Wilo seine erste Smart Factory. Es soll ein neuer Campus entstehen mitsamt Fabrik, Kundencenter und Verwaltung, 26 Fußballfelder groß, im Ruhrgebiet rechnet man gern in dieser Größeneinheit. Wilo will hier die ersten digital steuerbaren Pumpen produzieren. Pumpen, die nur arbeiten, wenn es erforderlich ist, um Energie zu sparen.

Oliver Hermes, der Chef der Firma, die 1,3 Milliarden Umsatz macht, ist gerade mal 46 Jahre alt, aber schon seit gut sieben Jahren Vorstandsvorsitzender. Jedes Jahr hat er bisher ein Rekordergebnis hingelegt. Gerade kommt er von einer Dienstreise nach London ins Atlantic Hotel in Essen, wo er wohnt. 30 Minuten von Dortmund entfernt, wenn der Verkehr auf der A40 es zulässt. Dazwischen liegt noch Bochum.

"Das Ruhrgebiet wird unterschätzt", sagt Hermes. Nicht, was das Verkehrsaufkommen, sondern das Wirtschaftspotenzial anbelangt. Wilo hat in den vergangenen Jahren Werke in Südkorea, China, Indien und Russland gebaut. Jetzt kommt Deutschland dran und vor allem Wilos Heimatstadt Dortmund. "Hier werden wir sämtliche Prozesse intelligent miteinander vernetzen", kündigt Hermes an. Konkret geht es darum, die Pumpen zu den Dingen des Internet of Things werden zu lassen. Die intelligenten Pumpen sollen sich selber melden, wenn etwas nicht stimmt und auf den Stromverbrauch achten. Sie sollen auch über eine App gesteuert werden können.

Die Software dafür wird ein anderes Dortmunder Unternehmen beisteuern: Adesso. Selbst viele Dortmunder kennen es bedauerlicherweise nicht, auch nicht Fritz Eckenga, obwohl er nicht weit vom Sitz der IT-Beratungsfirma entfernt wohnt. Bedauernswert ist das aber auch nur für Menschen, die sich für lukrative Geldanlagen interessieren, weil sich die Adesso-Aktie sehr erfreulich entwickelte, erfreulicher als etwa die Aktie von Borussia Dortmund.

Adesso ist eine Ausgründung der TU Dortmund und wurde vor 20 Jahren von Volker Gruhn gegründet, der noch heute Aufsichtsratsvorsitzender ist. Gleichzeitig lehrt er als Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen. Das operative Geschäft haben andere übernommen, etwa Christoph Junge. Der 47-jährige Vorstand für Finanzen, Personal und Recht, präsentiert an diesem Tag die Jahresbilanz der IT-Firma, deren Mitarbeiterzahl allein im vergangenen Jahr um fast 30 Prozent auf 2174 Beschäftigte gestiegen ist. Vermutlich würden alle Manager der Republik Junge um diese Zahlen beneiden. Wachstum plus 33 Prozent, operativer Gewinn plus 61 Prozent, Dividende plus 20 Prozent. Junge spricht freundlich-distanziert und kompetent. Eines der Ziele für dieses Jahr sei, jeden Tag einen neuen Mitarbeiter einzustellen. "Wir wollen agil und hungrig bleiben", sagt er. Dieses Jahr werde Adesso vier neue Standorte eröffnen und direkt nebenan in Dortmund das gleiche Gebäude noch mal bauen, weil die Zentrale zu klein geworden sei.

Bei all dem vergisst man fast den BVB, der auch zu einem Unternehmen geworden ist und zur einzigen Dortmunder Weltmarke. Fritz Eckenga sagt, Borussia liefere den sozialen Kitt, der alle Dortmunder zusammenhält, links oder rechts, reich oder arm. Die Stadt, jeder Einzelne, jubelt und leidet mit dem Verein. Toll für das Image. Aber insgeheim sind die Stadtoberen froh, nach der Hoesch-Erfahrung nicht mehr von einem großen Namen abhängig zu sein. Die Stadt steht jetzt auf vielen Füßen. Niemand verliert seinen Job, wenn der BVB verliert.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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