Kein schwerer Brilliantschmuck, keine glitzernde Rolex-Uhr: Elena Shaftan hält nicht viel von den Statussymbolen der Neureichen in der Londoner City, dem Finanzdistrikt. Sie trägt einen dezenten Hosenanzug und sitzt so fast ein wenig unscheinbar in ihrem Büro am Londoner Hyde Park - eine zierliche junge Frau mit auffallend roten Haaren. Doch der zurückhaltende Auftritt täuscht. Messerscharf kommen Worte wie "Umsatzrentabilität", "Cash-flow" und "Kurs-Gewinn-Verhältnis" über ihre Lippen. Sie blinzelt zum Fenster hinaus. Draußen tobt der Verkehr. "Ich liebe diese Stadt", sagt die in Riga geborene Lettin. Dann wechselt sie schnell das Thema. "Ich gehe die Dinge analytisch an", sagt sie. Ihr Englisch hat einen harten, aber durchaus wohlklingenden Akzent.
Die 37-Jährige gehört zu den erfolgreichsten Fonds-Managern an Europas größtem Finanzplatz. Diese Position hat sie mit Investments in den gewinnträchtigen, aber auch riskanten Märkten des Ostens erreicht: Vor fünf Jahren legte sie für die Finanzgesellschaft Jupiter Asset Management den Fonds "Jupiter Emerging European Opportunities" auf. Seitdem erzielte der Fonds, der vor allem mit Aktien osteuropäischer und russischer Unternehmen bestückt ist, eine Wertsteigerung von mehr als 400 Prozent. Er zählt zu den Spitzenreitern im Vergleich zu anderen Osteuropa-Fonds. Inzwischen managt Shaftan zusammen mit einer Kollegin vier weitere Fonds, die auf die Region spezialisiert sind.
"Ich mache meinen Job. Und den so gut wie möglich"
Die konservative britische Tageszeitung Daily Telegraph kürte sie unlängst zur "Super-Frau" der City. Von solchen Attributen will Shaftan allerdings nichts wissen. "Ich mache meinen Job. Und den so gut wie möglich", gibt sie sich bescheiden. Schon gar nicht will sie sich als Ikone der Frauenemanzipation dargestellt sehen. Shaftan weiß, dass dies im Haifischbecken einer von Männern beherrschten Finanzwelt zu falschen Schlüssen führen kann. Auf den einschlägigen Partys von Hedge-Fonds- und Private-Equity-Managern werden erfolgreiche Kolleginnen häufig wie eine Art Wesen von einem anderen Stern begafft oder gerne wegen ihrer eisernen Durchsetzungskraft mit Lady Thatcher verglichen, der früheren Premierministerin. Letzteres ist dann meist wenig schmeichelhaft gemeint.
"Es ist gut, wenn es Wettbewerb gibt. Gerade in der Londoner Finanzbranche will jeder ständig der Beste sein. Doch das Ganze sollte nicht auch noch zu einer geschlechtsspezifischen Frage hochstilisiert werden", meint Shaftan. Damit umreißt die professionelle Spekulantin zugleich ihr Verhältnis zur spekulativen Geldvermehrung. "Mir geht es persönlich nicht um Reichtum. Mich motiviert der Sportsgeist, im Fondsmanagement ganz vorne mitzumischen. Das ist wie beim 100-Meter-Lauf", sagt Shaftan.
Und dabei sieht sie sich als Frau durchaus im Wettbewerbs-Vorteil. Männer würden Fehler nur ungern einräumen. Frauen dagegen seien sich selbst gegenüber kritischer, meint sie. "Wenn ich beispielsweise eine Aktie falsch beurteilt habe, fällt es mir nicht schwer, dies auch einzugestehen. Nur aus der ehrlichen Auseinandersetzung mit Fehlern kann man ganz nach vorne kommen", umschreibt Shaftan ihr Erfolgsrezept. Dazu gehört allerdings auch eine erhebliche Portion Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen. Ohne diese Eigenschaften schafft man es wohl nicht von Sibirien nach London.
Westliche Literatur im Bücherregal versteckt
Denn aufgewachsen ist Shaftan im sibirischen Yakutsk, wo ihr Vater als Wissenschaftler für die damalige sowjetische Raumfahrtbehörde arbeitete. "Das Leben dort hatte seine Vorteile, weil es eine gute Gemeinschaft zwischen den Einwohnern gab", erzählt die Fondsmanagerin. Auch sei der politische Druck durch die Kommunistische Partei in den Weiten der Tundra nicht so stark gewesen wie beispielsweise in Moskau. "Allerdings hatten wir aus Vorsicht unsere westliche Literatur im Bücherregal in zweiter Reihe versteckt - hinter den Marx- und Lenin-Bänden."
Nach ihrem Studium der Radio-Elektronik an der Universität Riga arbeitete Shaftan als Ingenieurin, erschloss für sich dann aber auch geographisch neue Horizonte: Der Zusammenbruch des sowjetischen Systems gab ihr die Gelegenheit, in den Westen zu reisen. In London stieg sie bald als Analystin bei AIB Govett Asset Management ein.
Aktien mit überdurchschnittlichem Wachstum
Im Jahr 2000 wechselte sie zu der damals noch zur ADIG-Gruppe gehörenden Gesellschaft Jupiter Asset Management. Inzwischen ist Jupiter durch einen Management-Buy-out zu einem selbständigen Unternehmen geworden. Zu den Hauptkunden zählen Banken und institutionelle Anleger wie Pensionsfonds.
"Wir bevorzugen Aktien von Unternehmen, die ein überdurchschnittliches Wachstum haben und recht unabhängig von Wirtschaftszyklen agieren", erklärt Shaftan ihre Anlagestrategie. Gerade Russland biete in diesem Zusammenhang trotz aller Risiken einzigartige Möglichkeiten. Die Wirtschaft im Riesenreich sei bislang kaum von der US-Kreditkrise in Mitleidenschaft gezogen worden. Shaftan hat den Fonds auf stabile Energiewerte wie den russischen Gazprom-Konzern ausgerichtet. "Wir wollen keine kurzfristigen Knalleffekte erzielen, sondern achten auf die langfristige Performance der Firmen", sagt sie. Allgemein erwartet die Fondsmanagerin, dass die Wirtschaft Osteuropas in den kommenden Jahren doppelt so stark wachsen wird wie die der Eurozone.
Bewusst beschränkt sich Shaftan bei ihrem Fonds auf eine relativ kleine Zahl von Firmen. "Wir haben Aktien von 30 bis 35 Firmen im Portfolio. Da behalte ich den Überblick", sagt sie. Die Anlageexpertin nimmt es genau: Mindestens alle sechs Wochen erhält das Management der von ihr betreuten Unternehmen einen Telefonanruf. "Bei Problemfällen rufe ich auch mal häufiger an, um mich über die neuesten Bilanzzahlen zu informieren." Für Shaftan gilt der Spruch des sowjetischen Revolutionshelden Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."