SZ-Magazin:Dr. Jekyll und Mr. Hartz

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Der frühere Manager Peter Hartz galt als der beste Freund der Arbeiter - bis zur VW-Affäre. Aus dem SZ-Magazin vom 12. Januar 2007

Hans Leyendecker

Der Legende nach verdankt die deutsche Sprache Peter Hartz so kreative Wortschöpfungen wie "Job-Floater", "Ich-AG", "Arbeitszeitkonten". Aber wenn der 65-Jährige redet, zum Beispiel während der Vernehmung durch die Braunschweiger Staatsanwaltschaft im Herbst des vergangenen Jahres, wirkt er seltsam steif. Er stockt, macht irritierende Pausen zwischen den Wörtern, baut Satzteile aneinander wie Werkstücke, gerät auf holprige Umwege, um dann endlich zu sagen: "Entsprechend dem Orientierungsrahmen Bonus 2003 für 2002 zur Zeugenvernehmung... vom 18. September 2006 entspricht die Gehaltsgruppierung einer Führungskraft der Gehaltsgruppen 31-34."

Peter Hartz sieht nicht nur so grau aus wie ein Schalterbeamter, er redet auch so. Dabei wird der im Sommer 2005 ausgeschiedene Personalvorstand des Volkswagen-Konzerns in diversen Verlagskatalogen als Verfasser von drei Büchern geführt. Ist tatsächlich immer auch Hartz drin, wo Hartz draufsteht? Er habe seine Bücher, lässt er mitteilen, stets "in Teamarbeit" geschrieben. Das führt zu einer weiteren Frage: Ob es den angeblich größten Arbeitsmarktreformer der vergangenen Jahrzehnte, den Held der Arbeit, dessen Name wie kein anderer mit dem Umbau des deutschen Sozialstaa-tes verbunden wird und der anno 2002 der Nation nicht weniger als 13 "Innovationsmodule" zur Arbeitsmarktreform im Französischen Dom zu Berlin vorlegte, überhaupt jemals so gegeben hat.

Wunschtraum im Wochenblatt

Oder hätte es das Publikum vor Bekanntwerden der sogenannten VW-Affäre für vorstellbar gehalten, dass ein leibhaftiger Vorstand des deutschesten aller Dax-Konzerne mit einer Art Kammerdiener durch Etablissements in Lissabon hastet, um eine brasilianische Prostituierte namens Joselia R. wiederzufinden, die ihm schon mehrmals zu Diensten war? Ziemlich verschraubt hat Hartz vor den Staatsanwälten seine Eskapaden als "konkrete Ereignisse auf den Reisen" umschrieben. Der Hamburger Johann Schwenn, der den früheren VW-Betriebsratschef Klaus Volkert in der Affäre anwaltlich betreut, drückte sich schon verständlicher aus und nannte die konkreten Ereignisse eine "Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr mit Prostituierten auf Firmenkosten".

Vielleicht haben wir es bei dem 65-jährigen Hartz mit einer jener gespaltenen Persönlichkeiten zu tun, die gar nicht so selten anzutreffen sind in der vorgeblichen Macht-Elite und vor allem durch ihren Glauben an die eigene Bedeutung und durch Statussymbole zusammengehalten werden. Sie predigen Essig oder Wasser, um selbst Wein zu saufen. Aber dass ein firmeneigener Lustreisenorganisator, der ehemalige VW-Manager Klaus-Joachim Gebauer, den Personalvorstand Hartz sowie VW-Betriebsräte mit Frauen zu versorgen hatte, ist in der deutschen Skandalgeschichte ohne Beispiel.

Der doppelte Hartz: einerseits ein Schwarmgeist, der aus Betriebsräten Co-Manager und aus Firmen atmende Unternehmen machen wollte. Andererseits ein Gaukler, der aus Co-Managern Kumpanen machte und die Firma in einen stinkenden Pfuhl verwandelte.

Im Herbst 2005 erzählte Hartz dem Wochenblatt Die Zeit seinen Wunschtraum: Der Bundespräsident ruft ihn an seinem Geburtstag an, und Hartz schlägt dem Staatsoberhaupt vor, ihn und andere Angehörige der "Macht-Eliten dieses Landes" einzuladen, um den Arbeitslosen zu helfen.

Hartz fantasiert: "Und es träumt mir, ich sei Alleinherrscher, ein wunderbarer, sympathischer, liebevoller Alleinherrscher, wie ihn die Weltgeschichte bisher noch nicht gekannt hat und der für sein Volk das Beste will." Innerhalb eines Jahres werde er die Arbeitslosigkeit beseitigen oder bei Nichterreichen des Ziels sterben. Am Ende des fiebrigen Traums will Hartz Zauberer sein.

Wen oder was würde er wohl wegzaubern? Den Begriff Hartz IV ganz sicher, denn die mit seinem Namen versehene Reform hat ihm sogar Morddrohungen eingebracht. Womöglich würde er, Zauberer dürfen das, auch den 17. Januar 2007 ausfallen lassen. An diesem Tag soll vor dem Braunschweiger Landgericht der nur auf zwei Tage angesetzte Prozess gegen Hartz wegen Untreue und Begünstigung des Betriebsrates beginnen. Der Gesamtschaden wird auf mehr als zwei Millionen Euro beziffert.

Berufsmäßig nett

Zum Glück für den Angeklagten wird bei Gericht weder von Joselia R. oder den namenlosen Huren in Shanghai, Seoul, Bratislava und Paris die Rede sein, die berufsmäßig nett zu Peter Hartz waren und deren Kosten in Höhe von mindestens 5772,48 Euro sein Faktotum Gebauer, dem auch die Anklage droht, bei der Firma als Vertrauensspesen abgerechnet haben soll.

Wie gesagt: Es gab in der Wirtschaftsgeschichte viele Skandale und tiefe Stürze. Gerade in den Tagen der Siemens-Affäre bestätigt sich wieder die Erkenntnis, dass es keinen Fußbreit Boden im weltumspannenden Reich der Wirtschaft gibt, den man sorglos betreten könnte. Aber so viele zerbeulte Egos und abgeschnittene Karrieren wie der VW-Fall hat selten ein Skandal hinterlassen: Neben Hartz sind ein knappes Dutzend Manager verstrickt.

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