Studie :Der Strukturwandel funktioniert

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Ein altes Stück der Mauer im Deutsch-deutschen Museum Mödareuth an der Grenze zwischen Thüringen und Bayern. (Foto: David Cerny/Reuters)

Grenzregionen in Bayern stehen heute besser da als zur Zeit des Mauerfalls. Bemerkenswert sei auch die starke Pendler­ver­flechtung, sagen die Forscher.

Von Marc Beise, München

Über die blühenden Landschaften, die der Einheitskanzler Helmut Kohl den ostdeutschen Landsleuten vor der Wiedervereinigung 1990 versprochen hatte, ist seitdem viel gespottet oder gar gehöhnt worden, vor allem von denjenigen, an denen der erhoffte Wohlstand vorbeigegangen ist. Denn das Kohl-Wort wurde ja weniger der Infrastruktur auf Straßen und in Städten zugeordnet, wo sich in der Tat vieles zum Besseren gewandelt hat, sondern als Prognose auf die allgemeinen Lebensbedingungen verstanden. Die aber hängen maßgeblich von der Wirtschaftskraft einer Region ab, die in vielen Teilen Ostdeutschlands weiterhin deutlich unter dem Westniveau liegt.

Besondere Umstände herrschen in den ehemaligen Grenzregionen, wo teilweise über Jahrhunderte gewachsene Strukturen durch die innerdeutsche Grenze zerrissen wurden - mit negativen Folgen auf beiden Seiten, also auch im allgemein prosperierenden Westen. Durch die deutsche Teilung in eine extreme Randlage geraten, kennzeichneten lange Zeit wirtschaftliche Probleme die Grenzregionen. Umso größer war die Hoffnung, dies mit dem Fall der Mauer überwinden zu können.

Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln haben sich nun diese Grenzregionen am Beispiel Bayerns und konkret Frankens im Gebiet Coburg - Hof - Schweinfurt vorgenommen. In der Analyse kommen die Wissenschaftler zu dem klaren Ergebnis, dass die Lage dort heute besser ist als vor dem Mauerfall. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich niedriger, stattdessen prägen Vollbeschäftigung und Fachkräfteengpässe den Arbeitsmarkt. Der Abstand zum restlichen Westdeutschland ist bei Wirtschaftskraft und Wohlstand heute kleiner als noch in den 1980er-Jahren.

Gleichwohl war der Weg hierher nicht gradlinig, beschreibt es das IW, sondern kurvenreich. Die heutige Wirtschaft der bayerischen Grenzregion ist nicht mehr mit der Wirtschaft in den Achtzigerjahren zu vergleichen. Große Anstrengungen waren erforderlich, um den strukturellen Wandel zu meistern, der durch den Mauerfall, die EU-Osterweiterung und die Globalisierung ausgelöst wurde.

Von all dem war direkt nach dem Mauerfall noch nichts zu spüren. Im Zuge des Wiedervereinigungsbooms profitierte die Grenzregion von einem Kaufkraftzufluss aus dem Osten. Aber spätestens Mitte der 1990er-Jahre änderte sich das Bild, die Region rutschte aufgrund ihrer weniger wissens- und mehr arbeitsintensiven Wirtschaftsstruktur angesichts der EU-Osterweiterung und der Globalisierung und der damit verbundenen Neuausrichtung der Wertschöpfungsketten in eine schwere Krise. Nicht wenige Menschen verließen in dieser Zeit die bayerische Grenzregion und suchten ihr Glück an anderen Orten.

Bemerkenswert: Die Pendler fahren nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten

Der anschließende Umbau aber, verbunden unter anderem mit Hochschulgründungen, der Clusterpolitik und dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, zeigte Erfolge, betonen die Wissenschaftler. Spätestens seit 2011 befinde sich die Grenzregion in einem umfassenden Aufholprozess.

Die bayerische Wirtschaft habe sich zudem als Wachstumsmotor für die ostdeutsche Seite erwiesen. Dort konnten Erfolge auf dem Arbeitsmarkt und beim Wohlstand erzielt werden, auch wenn die ostdeutsche Grenzregion zu Bayern seit der Wiedervereinigung starke Bevölkerungsverluste hinnehmen musste. Die Unternehmen in der Grenzregion sowie die politischen und regionalen Akteure hätten nicht versucht, den Wandel aufzuhalten, erkennen die Forscher an, sondern hätten die richtigen Weichenstellungen gefunden. Das bayerische Grenzgebiet sei heute wieder so attraktiv, dass Menschen von außen zuwandern.

Für Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die die Studie in Auftrag gegeben hat, ist das eine große Erfolgsgeschichte. "Bei den meisten wirtschaftlichen Indikatoren steht die bayerische Grenzregion heute besser da als noch zu Zeiten der deutschen Teilung. Das insgesamt positive Fazit zur Entwicklung seit dem Mauerfall kann nur gezogen werden, weil es gelungen ist, in der Region selbst einen Strukturwandel geplant umzusetzen."

Besonders bemerkenswert sei, sagt Brossardt, die starke Pendlerverflechtung in der Region, die nicht nur von Ost nach West gehe, sondern auch umgekehrt. Rund 25 600 Menschen pendelten aus dem ostdeutschen Grenzgebiet in das bayerische Grenzgebiet ein, um dort zu arbeiten und trügen in Bayern zur Fachkräftesicherung bei. Gleichzeitig gebe es 6500 Einpendler aus der bayerischen Grenzregion in die ostdeutsche Grenzregion. Brossardt spricht vom Erfolg eines einheitlichen Wirtschaftsraums: "Von der Verflechtung profitieren eben nicht nur die bayerischen Gebiete oder nur die angrenzenden Gebiete in Thüringen und Sachsen - sondern beide."

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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