Streit um Konjunkturmaßnahmen:"Wir können das nicht alleine stemmen"

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Gute Ratschläge aus den Chefetagen: Deutsche Top-Manager drängen die Regierung zu einem energischen Vorgehen gegen die Finanzkrise. Angesichts der Rezession werden erste Stimmen laut, die große Koalition nach der Wahl 2009 fortzusetzen.

Mit Blick auf die Wirtschaftskrise hat sich der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, offen für eine Neuauflage der Großen Koalition gezeigt. Was wir bisher hinbekommen haben, das schafft nur eine Große Koalition", sagte Struck dem Hamburger Abendblatt. Zudem würden "die dunklen Wolken am Horizont" den Wunsch der Menschen nach einer Großen Koalition verstärken.

Tipps von den Herren in Nadelstreifen: Top-Manager fordern von Bundeskanzlerin Merkel ein schärferes Durchgreifen. (Foto: Foto: dpa)

Krise bis zur Bundestagswahl überwunden

Struck räumte ein, dass die Union zwar lieber mit der FDP und die SPD mit den Grünen regieren wollten. "Aber ob es für das eine oder andere reicht, ist ungewiss", betonte Struck. "Niemand kann ausschließen, dass die Große Koalition fortgesetzt werden muss." In der Wirtschaftskrise vertrauten die Menschen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Das Potenzial muss man nutzen", sagt Struck.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) betonte demgegenüber, dass die große Koalition eine Ausnahme bleiben müsse. "Ich erwarte, dass die Wirtschaftskrise bis zur Bundestagswahl überwunden ist und keine große Koalition mehr nötig ist", sagte der Minister der Bild am Sonntag. "Ich wünsche mir dann eine Koalition aus CDU, CSU und FDP", fügte Glos hinzu.

Top-Manager von acht großen deutschen Konzernen haben unterdessen die Bundesregierung zu stärkerem Eingreifen gegen die Finanzkrise aufgefordert. In Stellungnahmen für den Spiegel forderten sie Steuersenkungen, mehr Investitionen in die Infrastruktur und stärkere Forschungsförderung. "Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass die Krise zum verheerenden Flächenbrand eskaliert", warnte VW-Chef Martin Winterkorn. Man erlebe "eine absolute Ausnahmesituation", in der man mit den herkömmlichen politischen und wirtschaftlichen Instrumenten nicht weiter komme.

Mehrwertsteuer senken

Adidas-Chef Herbert Hainer schlug vor, die Mehrwertsteuer zeitlich befristet von 19 auf 16 Prozent zu senken. BASF-Chef Jürgen Hambrecht plädierte für eine Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen durch Steuersenkungen. Zudem sollten Investitionen in die Infrastruktur beschleunigt und ausgeweitet werden. "Schnelligkeit ist dabei der entscheidende Faktor", erklärte Hambrecht. Auch der stellvertretende Porsche-Chef Holger Härter forderte eine deutlich stärkere Reaktion auf die einbrechende Nachfrage. Geld müsse der Staat ohnehin ausgeben. "Wenn er es jetzt nicht für ein Konjunkturprogramm investiert, dann muss er später umso mehr Geld ausgeben, um die sozialen Folgen der Krise abzumildern", sagte Härter.

Franz Fehrenbach, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Bosch, plädiert mahnte eine gezielte Absatzförderung für die Autoindustrie an. Und Bayer-Chef Werner Wenning plädierte für eine stärkere steuerliche Förderung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Mehrere Top-Manager beklagten die zögernde Kreditvergabe durch Banken. Bosch-Chef Fehrenbach sagte: "Es ist unverantwortlich, wenn im Kern gesunde Unternehmen in den Ruin getrieben werden, weil sie sich nicht mehr refinanzieren können."

Doppelte Zahl an Arbeitslosen

BMW-Finanzvorstand Friedrich Eichiner schlug währenddessen einen staatlichen Rettungsschirm für angeschlagene Automobilzulieferer vor. "In einer so schwierigen Krisensituation muss der Staat einspringen", sagte Eichiner dem Nachrichtenmagazin Focus. Es gebe Anzeichen, dass sich die Lage einiger Zulieferer verschärfe. Die Autohersteller seien damit überfordert, die Blockade des Kapitalmarktes zu überwinden und Mittel zur Verfügung zu stellen. "Wir können das nicht alleine stemmen", sagte Eichiner.

Experten skizzieren unterdessen beängstigende Krisenszenarien. Nach Ansicht des Goldman-Sachs-Chefvolkswirts für Deutschland droht eine Verdoppelung der Arbeitslosenzahl, falls die Wirtschaftsleistung wie teilweise vorhergesagt einbricht. "Sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wirklich um vier Prozent zurückgehen, wäre es durchaus möglich, dass es in Deutschland wieder sechs Millionen Arbeitslose gibt", sagte Dirk Schumacher der Berliner Zeitung.

"Im jetzigen Umfeld kann man gar nichts mehr ausschließen", zitierte das Blatt den Ökonomen der US-Großbank. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, hatte die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs des BIP um vier Prozent im kommenden Jahr auf ein Drittel geschätzt.

Die derzeitige Lage sei viel schwieriger als in der Konjunkturkrise der Jahre 2002 und 2003, sagte Schumacher. "Es kann durchaus sein, dass wir die schärfste Rezession seit 1945 bekommen." Angesichts der Dramatik müsse die Regierung stärker gegensteuern. Schumacher forderte dem Bericht zufolge eine deutliche Senkung der Einkommensteuer, ein staatliches Investitionsprogramm in Bildung und Infrastruktur sowie die Ausgabe von Konsumschecks an die Bevölkerung.

In der Politik riss der Streit um weiterführende Maßnahmen zur Belebung der schwächelnden Wirtschaft nicht ab und zog sich quer durch die Parteien. In der SPD befürwortet der Vorsitzende Franz Müntefering eine Debatte über ein weiteres Konjunkturpaket, sein Fraktionschef Peter Struck will die Debatte nach der Verabschiedung eines Konjunkturpakets nun beenden.

© sueddeutsche.de/Reuters/AP/dpa/jkr/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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