Konjunktur:"Wir wollen nicht auf Staatskosten den Wald fegen"

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Angst vor einer historischen Rezession in Deutschland: Kaum ist das erste Konjunkturpaket beschlossen, wird über Folgemaßnahmen quer durch die Parteien diskutiert. SPD-Chef Müntefering und sein Fraktionschef Struck sind sich uneins.

Der Streit um weiterführende Maßnahmen zur Belebung der schwächelnden Wirtschaft reißt nicht ab - und zieht sich quer durch die Parteien. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat angesichts der Wirtschaftskrise dazu aufgerufen, die Arbeit an einem zweiten Konjunkturpaket voranzutreiben. Möglicherweise reichten die derzeitigen Maßnahmen im Kampf gegen die Rezession nicht aus, sagte Müntefering in einem Interview des Nachrichtenmagazins Focus laut Vorabbericht.

SPD-Parteichef Müntefering plädiert für weitere Konjunkturförderung. (Foto: Foto: dpa)

Die Politik müsse sich daher darauf vorbereiten, im Ernstfall "schnell und zielführend" handeln zu können. Jetzt gehe es nicht um Parteitaktik, sondern "um staatspolitische Verantwortung fürs Ganze", mahnte er. Allerdings sei das ganze Ausmaß der Krise zum derzeitigen Zeitpunkt noch gar nicht abzuschätzen.

Müntefering forderte eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden, um für Arbeit und Beschäftigung zu sorgen. "Da geht es nicht darum, auf Staatskosten den Wald zu fegen, sondern um ökonomisch, ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Dinge." Es gebe eine Menge zu tun, etwa bei Bahnhöfen, Krippen, Energieeffizienz in den Gebäuden und altersgerechten Wohnungen.

"Warum müssen Eltern die Schulräume streichen, warum geht das nicht als Auftrag an den örtlichen Maler?", fragte der SPD-Chef und unterstützte damit einen Vorstoß von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), die in der Süddeutschen Zeitung ein Milliardenprogramm zur Modernisierung von Schulen und Universitäten ins Gespräch brachte.

Müntefering sprach sich in dem Focus-Interview auch erneut für Steuerschecks zur Anregung des Konsums aus. Der Grundgedanke dieser Scheine sei richtig: "Leute, kauft!" Allerdings gebe es viele Fragen zur Umsetzung.

Auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles bekräftigte ihre Forderung nach Konsumgutscheinen. "Wenn alle Erwachsenen 500 Euro und alle Jugendliche 250 Euro bekommen, kurbelt das schlagartig die Wirtschaft an", schrieb die SPD-Linke in einem Beitrag für die Sächsische Zeitung.

"Schädliche Diskussion"

Sie schlug vor, solche Gutscheine mit einem Verfallsdatum zu versehen, damit das Geld schnell ausgegeben werde. In Kombination mit langfristig wirkenden öffentlichen Investitionen in Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Verkehrswege sowie mit Mikrokrediten für kleine Unternehmen ergäben sie ein sinnvolles Gesamtpaket, argumentierte Nahles.

Im Gegensatz zu den Parteivorsitzenden ermahnte SPD-Fraktionschef Peter Struck die große Koalition eindringlich, die Debatte über weitere Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur zu beenden. Allein die Diskussion über Konsumgutscheine sei schädlich, weil sie zu Kaufzurückhaltung führe, sagte Struck dem Hamburger Abendblatt laut Vorabbericht.

Neben Konsumgutscheinen hält Struck auch Steuersenkungen "im Augenblick überhaupt nicht finanzierbar". In der nächsten Koalitionsrunde am 5. Januar weitere Konjunkturmaßnahmen zu beschließen wäre nach Strucks Überzeugung "viel zu früh". Mit Blick auf den EU-Gipfel in der kommenden Woche betonte Struck: "Es bedarf über die nationalen Anstrengungen hinaus keines zusätzlichen europäischen Programms."

Zugleich nahm Struck die Bundesländer in die Pflicht. "Die Länder können in dieser Situation nicht die Hände in den Schoß legen und den Bund allein lassen", mahnte er. Von reichen Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg erwarte er, dass sie kommunale Investitionsprogramme auflegen.

Auf Seite zwei: Düstere Prognosen aus der Wirtschaft

Ähnliche Stimmen verlauteten auch aus der Union: Kanzleramtsminister Thomas de Maizière wies Forderungen nach einer schnellen Entscheidung über neue Konjunkturhilfen zurück. Zwar werde die Regierung "blitzschnell handeln und entscheiden", wenn es sein müsse, sagte der CDU-Politiker der Passauer Neuen Presse, doch erklärte er zugleich: "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt dafür." Jede Maßnahme zur Konjunkturbelebung müsse sitzen und auf ihre Effektivität hin überprüft werden. "Wir dürfen das Geld jetzt nicht verbrennen."

Auch er verwahrte sich gegen die Ausgabe von Konsumgutscheinen. Kaufkraft und Kauflaune seien im Augenblick in Deutschland gut, sagte er. "Das sollten wir jetzt nicht durch Debatten über unsinnige Konjunkturgutscheine zerstören."

Als "vollkommen abwegig" bezeichnete auch der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger Konsumgutscheine. Sie bringen allenfalls ein Strohfeuer und keine nachhaltige Belebung der Wirtschaft." Die Union werde das mit Sicherheit nicht machen, sagte der CDU-Politiker dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Doch auch in der Union gibt es Stimmen für weitere Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft. Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Meister, zeigte sich aufgeschlossen für ein zweites Konjunkturpaket. "Grundsätzlich halten wir uns offen, einen zweiten Schritt zu gehen", sagte der CDU-Politiker. "Aber wir müssen zunächst beobachten, wie sich das Konjunkturprogramm entfaltet." Auch die Wirkung des Finanzpakets für die Banken sowie die Entwicklung der Energiepreise und Zinsen müssten abgewartet werden, fügte Meister hinzu.

Die CSU dringt weiter auf rasche Steuersenkungen. "Wir halten eine breite Steuerentlastung weiterhin für dringend geboten, um der Krise effektiv zu begegnen", sagte CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg der Berliner Zeitung. Das gerade verabschiedete Investitionsprogramm der Bundesregierung dürfe nicht die einzige Antwort auf die Finanzkrise bleiben. Die CSU möchte daher bereits bei der Koalitionsrunde Anfang Januar weitere Erleichterungen beschließen.

Der Wirtschaftsweise Bert Rürup erwartet ein weiteres Konjunkturprogramm der Bundesregierung im kommenden Frühjahr. "Was die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung", sagte der Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats der Rheinischen Post. Es sei vom Volumen her aber noch nicht ausreichend: "Ich denke, die Bundesregierung wird sich Anfang des nächsten Jahres noch einen weiteren Schritt überlegen." Wichtig sei dabei, dass das zusätzliche Konjunkturprogramm "zeitnah, zielgerichtet und zeitlich befristet" sein müsse.

"Sechs Millionen Arbeitslose möglich"

Unterdessen warnt die Investmentbank Goldman Sachs angesichts düsterer Konjunkturprognosen vor einer Massenarbeitslosigkeit in Deutschland - und forderte von der Bundesregierung weitere Maßnahmen. "Sollte das BIP wirklich um vier Prozent zurückgehen, wäre es durchaus möglich, dass es in Deutschland wieder sechs Millionen Arbeitslose gibt", sagte Goldman-Sachs-Deutschland-Volkswirt Dirk Schumacher der Berliner Zeitung.

So viele Arbeitslose hatte es in Deutschland zuletzt in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre gegeben. Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter hatte zuvor die Wahrscheinlichkeit eines rückläufigen BIP um vier Prozent im kommenden Jahr auf ein Drittel geschätzt.

Die derzeitige Lage sei viel schwieriger als in der letzten Konjunkturkrise der Jahre 2002 und 2003, sagte Schumacher. "Es kann durchaus sein, dass wir die schärfste Rezession seit 1945 bekommen." Angesichts der Dramatik der Lage müsse die Regierung stärker gegensteuern: "Die Bundesregierung sollte die fiskalpolitischen Möglichkeiten, die sie hat, viel stärker und schneller nutzen."

Konkret fordert der Experte eine deutliche Senkung der Einkommensteuer, ein staatliches Investitionsprogramm in Bildung und Infrastruktur sowie die Ausgabe von Konsumschecks an die Bevölkerung: "Konsumschecks sind die schnellste Methode, um einen Impuls beim Verbraucher zu setzen", sagte Schumacher.

© AFP/AP/dpa/Reuters/gal/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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