Streit um Arbeitszeiten:"Wir werden nicht darüber verhandeln"

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Das bislang letzte Mal, dass die IG Metall zu mehr als nur zu Warnstreiks aufrief: 2003, hier bei ZF in Brandenburg/Havel. (Foto: ARIS)

Am Mittwoch beginnt die zweite Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie. Es könnte zu einem Arbeitskampf kommen.

Von Detlef Esslinger, München

Normalerweise gehört es vor Tarifrunden zum Handwerk von Arbeitgebern, Skepsis über die Wirtschaftslage zu verbreiten. Sinn der Übung ist immer derselbe: die Forderung einer Gewerkschaft herunterzureden. Diesmal ist das anders. Zwar legt kein Unternehmer Wert darauf, mit Namen zitiert zu werden. Aber wenn man mit ihnen spricht, hat man anschließend solche Sätze im Block: "Wir können die Konjunktur nicht kleinreden." - "Uns geht es ziemlich bombig." - "Es ist nichts zu erkennen, was das einbremsen könnte." Und trotzdem: Der Metall- und Elektroindustrie könnte die härteste Auseinandersetzung seit 2003 bevorstehen.

Es kommt nicht oft vor, dass die Lohnforderung - in diesem Fall sechs Prozent mehr Geld für die nächsten zwölf Monate - das kleinere Problem in einer Tarifrunde ist. Es dürfte sich regeln lassen, indem die Metall-Arbeitgeber die prozentuale Forderung der IG Metall zwar annähernd erfüllen, ihr dafür aber eine Laufzeit von zum Beispiel 24 statt zwölf Monaten abringen. Für beide Seiten wäre eine solch lange Laufzeit charmant. Die nächste Tarifrunde würde nicht mit den Vorbereitungen zum Gewerkschaftstag im Oktober 2019 kollidieren, bei dem der Vorsitzende Jörg Hofmann vermutlich wiedergewählt werden will. Und die Arbeitgeber hätten die Sicherheit, dass er nicht unmittelbar davor auf ihre Kosten Wahlkampf machen müsste.

"Bezahlen für nicht geleistete Arbeit?", fragt ein Firmenchef. "Das geht nicht."

Es ist die Forderung der IG Metall zur Arbeitszeit, die diese Tarifrunde so besonders macht. Die Gewerkschaft verlangt, dass jeder der fast vier Millionen Metall-Arbeitnehmer seine Wochenarbeitszeit für maximal zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden reduzieren kann. Tut er (oder sie) das, um kranke Eltern zu pflegen oder um die Kinder zu betreuen, oder weil man Schichtarbeiter ist, soll die Firma den Lohnausfall zum Teil ersetzen. In den beiden ersten Fällen soll es 200 Euro im Monat geben, im dritten Fall 750 Euro im Jahr.

Die Arbeitgeber lehnen das mit einer Vehemenz ab, wie sie wirklich selten ist. Auf die Arbeitszeitverkürzung würden sie sich zur Not ja noch einlassen - wenn ihnen im Gegenzug die IG Metall bei den Sonderregelungen für besonders gut ausgelastete Betriebe entgegenkäme. Schon jetzt gibt es Tarifverträge, die es den Firmen erlauben, bis zu 18 Prozent der Arbeitnehmer 40 Stunden pro Woche arbeiten zu lassen; statt der üblichen 35. Diese Quote könnte man erhöhen. So ließe sich der Arbeitsausfall kompensieren, den die Eltern- und Kinderkümmerer verursachen.

Was die Arbeitgeber jedoch überhaupt nicht einsehen: dass sie es auch noch subventionieren sollen, wenn jemand weniger arbeiten will. Erstens aus logischen Gründen: "Bezahlen für nicht geleistete Arbeit? Das geht nicht", sagt ein Unternehmer, der sein Geld als Autozulieferer verdient. Zweitens, weil sie dem Argument nicht trauen, dass ihre Mitarbeiter tatsächlich mehr Zeit für Angehörige brauchen. "In Wahrheit kann man in den freien Stunden gut schwarz arbeiten", heißt es bei einem Metallarbeitgeberverband.

Drittens wollen vor allem die Inhaber kleiner Betriebe keine Regelung unterschreiben, deren Folgen für sie nur schwer einzuschätzen sind: Wie viele Arbeitnehmer würden das Recht in Anspruch nehmen? Und hätten sie genügend andere Arbeitnehmer, die sodann bereit wären, auf 40 Stunden zu erhöhen? Viertens schließlich sagen die Arbeitgeber, dass die Forderung der IG Metall zu zwei Klassen von Arbeitnehmern führe: die einen, die schon immer nur 28 Stunden gearbeitet haben und daher auch nur ein 28-Stunden-Gehalt beziehen - und die anderen, die ihre Arbeitszeit lediglich zeitweise auf 28 Stunden verkürzen und nun zusätzlich zu ihrem Gehalt noch 200 Euro erhalten. So etwas gebe nichts als Ärger in der Belegschaft, sagt ein Arbeitgeber. Ein anderer sagt einen Satz, der normalerweise wirklich nicht vorkommt in einer Tarifrunde: "Wir werden darüber nicht verhandeln."

Womit der Ton gesetzt ist für die zweite Runde, die am Mittwoch beginnt. Die IG Metall hat das Land mit Großplakaten volltapeziert, auf denen sie die Arbeitszeit in den Mittelpunkt ihrer Forderungen rückt, die gesamte Rhetorik der Funktionäre ist auf dieses Thema abgestellt - und die Arbeitgeber erwidern nicht, dass sie die Forderung für überzogen halten, sondern dass sie Gespräche darüber ganz generell ablehnen.

Warnstreiks gehören in der Metall- und Elektroindustrie bei Tarifverhandlungen zur Routine. Unbefristete Streiks hingegen sind die Ausnahme - doch wenn es sie gab, dann oft in Konflikten um Arbeitszeit: zur Durchsetzung der 40-Stunden-Woche in den 1960ern, zur Durchsetzung des sechswöchigen Jahresurlaubs in der Stahlindustrie im Jahr 1978, zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in den 1980ern sowie 2003 in Ostdeutschland; den letztgenannten Arbeitskampf verlor die IG Metall.

Das Thema löst Emotionen aus, auf beiden Seiten. Die Arbeitgeber fürchten um ihre Dispositions- und damit im Grunde um ihre unternehmerische Freiheit. Der IG Metall wiederum reicht es mit den jahrelangen Forderungen der Betriebe nach mehr, mehr und nochmals mehr Flexibilität der Arbeitnehmer. Gestützt auf eine Umfrage unter fast 700 000 Beschäftigten zu Jahresbeginn dreht sie nun den Spieß um; nach dem Motto: Jetzt sind wir mal dran, mit unseren Wünschen zu Flexibilität.

Wie daraus irgendwann im Frühjahr ein Tarifabschluss werden soll, weiß im Moment kein Mensch. Es gibt Arbeitgeber, die haben sich bereits innerlich auf Urabstimmung und unbefristeten Streik eingestellt. Oft ist die zweite Verhandlungsrunde diejenige, in der sie ein erstes Angebot vorlegen. Sollten sie dies am Mittwoch tun, kann es eigentlich nur eins sein, dass die Gewerkschaft mit Kriegsgeschrei quittieren wird.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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