Streikende Lokführer:Gewerkschaft im Dilemma

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Eigentlich hätte die GDL den Streik kurzfristig absagen können. Doch die Angst, ihre Mitglieder zu enttäuschen, war zu groß. Also lässt sie den Protest laufen - und setzt das Vertrauen der Öffentlichkeit bewusst auf's Spiel.

Detlef Esslinger

Na bitte. Hörte sich ja auch zu seltsam an, was Manfred Schell da am Donnerstagabend erzählte. Zwanzig nach acht sei es nun, sagte der GDL-Vorsitzende, als er aus dem Spitzentreffen beim Aufsichtsrat kam. Zu spät, um den für zwei Uhr in der Früh geplanten Streik abzusagen. Jetzt noch 200 Streikleiter "von Aachen bis Cottbus, vom hohen Norden bis zum Bodensee" informieren? "Das ist nicht mehr hinkriegbar", erklärte Schell. Bei dieser Version blieb die Gewerkschaft aber nur bis zum Morgengrauen. Dann gab ihr stellvertretender Vorsitzender Claus Weselsky im ZDF zu: "Das ist kein logistisches Problem."

Protest gegen den Arbeitgeber: Die Lokführer ließen am Freitag etliche Züge stehen. (Foto: Foto: AP)

Info an sieben Bezirksleiter

In Wahrheit kann jeder Streik innerhalb von Minuten abgesagt werden. Es ist ja nicht so, dass die Frankfurter GDL-Zentrale jedem Lokführer einzeln Bescheid geben müsste, ob nun gestreikt wird oder nicht. Sie müsste nur ihre sieben Bezirksleiter informieren. Die gäben die Nachricht an all ihre Ortsvorsitzenden weiter und die wiederum an die Streikleiter in ihrem Beritt. Dass ein Streikleiter einen Lokführer verpasst, ist ausgeschlossen: Streikende bleiben nicht zu Hause, sondern gehen ins Streiklokal und tragen sich dort in die Liste ein.

Warum wurde also am Freitag die Arbeit niedergelegt? GDL-Vize Weselsky sagte im ZDF zur Begründung, weder habe es sich bei dem Treffen am Donnerstagabend um Tarifverhandlungen gehandelt, noch liege der Gewerkschaft inzwischen ein Angebot vor - deshalb übten die Lokführer nun Druck aus. Damit lieferte er immerhin schon die halbe Wahrheit.

Die andere Hälfte dürfte sein, dass die GDL ihre Lokführer nicht länger hinhalten konnte. Seit Monaten hat sie ihre Mitglieder mobilisiert, und gerade die öffentlichen Scharmützel der vergangenen Tage haben viele Lokführer auf die Palme gebracht: Die einstweilige Verfügung, mit der das Arbeitsgericht Chemnitz ihnen Streiks im Güter- und Fernverkehr verbot, sowie die Gleichsetzung von Streik und Krieg durch Bahnchef Hartmut Mehdorn hat viele Lokführer erbittert.

Von der GDL-Führung waren die Lokführer zu Wochenbeginn darüber hinaus heißgemacht worden mit der Ankündigung, diese Vorgänge mit viertägigen, ganztägigen Streiks zu quittieren. "Wenn die Leute so sehr in Erregung sind, ist es schwierig, sie wieder zu bremsen", heißt es in Gewerkschaftskreisen. "Dann muss man die auch mal streiken lassen. Die müssen Gelegenheit bekommen, zu zeigen, was sie können."

Die GDL-Führung befand sich in einem Dilemma: Indem sie den Streik am Freitag laufen ließ, riskierte sie, die Unterstützung der Öffentlichkeit für das Anliegen der Lokführer zu gefährden. Denn den Bahnkunden ist ein Streik, der nur deswegen stattfindet, weil er angeblich nicht mehr abzusagen war, kaum verständlich zu machen. Hätte sie hingegen den Streik ausfallen lassen, hätte sie die Unterstützung durch ihre Mitglieder gefährdet. "Sie können einen solchen Erregungsbogen nicht ewige Zeit halten", sagt ein Gesprächspartner am Freitag. In dieser Situation entschied sich der GDL-Vorstand, lieber die Öffentlichkeit als die eigene Klientel zu düpieren. Und weil der Vorsitzende Schell dies auf keinen Fall öffentlich so sagen konnte, gab er eine Begründung, von der er wusste, dass sie Unsinn war.

© SZ vom 13.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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