Streikbeschluss der Lokführer:Attacke und Gegenattacke

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Der Tarifkonflikt zwischen Bahn und Zugführern dürfte verbissen geführt werden - weil beide Seiten sich stur stellen.

Detlef Esslinger

Es ist Montagfrüh, fünf Minuten vor neun, als der Vorsitzende den Raum im vierten Stock betritt. Er wird jetzt symbolisch die Auszählung der Stimmen eröffnen und dazu ein paar der 25 Postkörbe nehmen und auf den Konferenztisch kippen, der Fernsehbilder wegen.

Die Gewerkschaftszentrale liegt in einem Wohngebiet am Rand der Frankfurter Innenstadt, in den Häusern gegenüber werden die Schlafzimmer gelüftet, aber Manfred Schell ist bereits voll im Dienst; er hält sich nicht mit einem "Guten Morgen" auf. Er sagt stattdessen: "Attacke!"

Es sind 8742 Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die sich an der Urabstimmung beteiligt haben, deren Antwortbriefe an diesem Vormittag also auszuzählen sind.

Keine Zweifel

Niemand zweifelt daran, dass die Gewerkschaft jene 75 Prozent Zustimmung erreichen wird, die sie für einen Streik braucht. Warum sollte ausgerechnet bei der GDL passieren, was noch nie in Deutschland passiert ist: dass eine Gewerkschaftsführung eine Urabstimmung verliert.

Manfred Schell, 64 Jahre alt, ist in den vergangenen Tagen oft als jemand beschrieben worden, der seinen privaten Kampf gegen das Unternehmen Deutsche Bahn und dessen Chef Hartmut Mehdorn führt, als jemand, der sich kurz vor seiner Pensionierung noch ein Denkmal setzen will, mit einem eigenen Tarifvertrag für die Lokführer.

Wenn das so ist, dann steht jedoch knapp vier Stunden später an diesem Montag fest, dass er über ziemlich viele Kampfgenossen verfügt. 8375 GDL-Mitglieder haben für den Streik gestimmt, eine Zustimmungsquote von 95,8 Prozent ist das.

Was natürlich nicht ausschließt, dass dieser Kampf beides ist: der der Lokomotivführer um einen eigenen Tarifvertrag und der ihres Anführers gegen den Chef der Bahn.

Man muss gar nicht die Auszählung abwarten, man muss Manfred Schell nicht einmal auf Mehdorn ansprechen, um zu diesem Eindruck zu gelangen. Man muss ihm nur zuhören, während er seine Postkörbe auskippt.

"Prozesshanselei!"

"Da sollen bei ihm mal die Lampen angehen", sagt Schell. "Da braucht er gar nicht über Prozesshanselei nachzudenken", fährt er fort. "Die Kommentare kann er sich sparen", fügt er an.

Alles so Satzbrocken, hingeworfen, ohne dass einer eine Frage gestellt hätte. Und "Mehdorn", gar "Herr Mehdorn", sagt Schell sowieso nicht. Nur "er" und "ihm".

Es wird dies wohl der verbissenste Tarifkonflikt, den es seit langem in Deutschland gegeben hat.

Denn die Entschlossenheit ist alles andere als einseitig. Schell kündigt am Montag an, auf Streiks erst einmal zu verzichten, sollte die Bahn bis diesen Dienstag, 18 Uhr, ein "tragfähiges" Angebot vorlegen.

Nur anderthalb Stunden später teilt das Unternehmen mit, ein solches Angebot werde es nicht geben. Und während in der GDL-Zentrale noch die Stimmen ausgezählt werden, versucht die Bahn, durch das Frankfurter Arbeitsgericht einen Streik verbieten zu lassen, den die Gewerkschaft gar nicht plant: bei den Autoreisezügen.

Schlecht aussehen lassen

Im Arbeitskampf geht es ja auch darum, den anderen in der Öffentlichkeit möglichst schlecht aussehen zu lassen, als jemanden, dem alles zuzutrauen ist.

Richterin Ulrike Küppers, die am Montagvormittag im Saal C 2.08 mit den Anwälten von Bahn und GDL verhandelt, erzählt jedenfalls, dass am Freitag bei ihr ein Urlauber aus Sylt anrief, der an diesem Dienstag unbedingt nach Hause muss. Der Mann dachte, die Richterin müsse wissen, ob der Autozug über den Hindenburgdamm fahren wird oder nicht.

In der Gewerkschaftszentrale versucht sich Manfred Schell derweil in der Kunst der Beruhigung, was die Öffentlichkeit betrifft.

Er sagt, die Fahrgäste der Bahn seien doch auch "unsere Fahrgäste", und deshalb werde er jeden Streik im Personenverkehr 24 Stunden vorher ankündigen; er werde mitteilen, "wann, wo und wie lange" jeweils die Arbeit niedergelegt werde.

"Zwangsläufig" Auswirkungen auf Personenverkehr

Er sagt aber auch, dass ein Streik im Güterverkehr "zwangsläufig" Auswirkungen auf den Personenverkehr haben werde - was noch lange nicht heißt, dass er auch die Streiks im Güterverkehr vorher ankündigen wird.

Im Gegenteil: "Das ist nicht erforderlich", sagt Schell, er findet, es sei doch Aufgabe der Zugleitstellen, die Auswirkungen auf die Personenzüge möglichst gering zu halten, die Bahn wolle doch so gern Europas modernstes Logistikunternehmen sein.

Das klingt jetzt schon nicht mehr beruhigend, eher höhnisch; wenn Schell einmal in Fahrt ist, hält ihn so schnell nichts mehr auf - und da kommt ihm die Frage gerade recht, warum er zum Schluss seines Berufslebens unbedingt noch den Tarifvertrag hinkriegen möchte, den er in einem Vierteljahrhundert zuvor nicht hinbekommen hat.

"Nachdem ich Hartmut Mehdorn so abgöttisch liebe", beginnt Schell allen Ernstes und fährt dann fort: "...möchte ich das auch noch mit ihm zu Ende bringen."

© SZ vom 07.08.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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