Streik im öffentlichen Dienst:Ein Kampf von gestern

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Vor zwei Wochen ist der Tarifkkonflikt im öffentlichen Dienst eskaliert. Die Gewerkschaft Verdi führt einen Machkampf gegen die Interessen der Beschäftigten.

Nikolaus Piper

Die Erwartungen an diese Runde sind nicht sehr hoch: An diesem Montag kommen die Spitzen von Gewerkschaften und öffentlichen Arbeitgebern zusammen, um einen Ausweg aus dem Tarifkonflikt in Ländern und Kommunen zu suchen. Der Termin wurde schon im Januar vereinbart, und in den gut zwei Streikwochen seither sind keine neuen Informationen, geschweige denn Argumente auf den Tisch gekommen. Zwar sagt die kleine, zum Beamtenbund zählende Gewerkschaft Tarifunion inzwischen, die 38,5-Stunden-Woche dürfe kein Dogma sein. Aber was bedeutet das schon, wenn für Frank Bsirske der Spielraum bei der Arbeitszeit "gleich null" ist?

Vermutlich finden sich in dem Arbeitskampf gegen die Verlängerung der Arbeitszeit um 18 Minuten pro Tag auch deshalb kaum neue Argumente, weil es sich dabei um einen Kampf von gestern handelt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Streik ist von gestern, weil Bsirskes Gewerkschaft Verdi ihre Leute nicht nur mit Trillerpfeifen, sondern vor allem mit dem längst widerlegten Arbeitsplatzargument auf die Straße schickt. Die Behauptung, die Verlängerung der Arbeitszeit gefährde 250.000 Stellen, ist absurd. Das Gegenteil ist richtig: Verdis harter Kurs gibt den Gemeindeparlamenten einen weiteren Anreiz, die Müllabfuhr und andere kommunale Aufgaben an Privatfirmen zu vergeben und Jobs abzubauen. Die längere Arbeitszeit würde den Druck ein wenig mindern.

Es geht um die Zukunft von Verdi

Von gestern ist der Konflikt auch insofern, als Verdi kaum verhüllt einen Machtkampf führt: um Mitgliederzahlen, um Durchsetzungsfähigkeit und um die Meinungsführerschaft im DGB. Das kurzfristige Organisationsinteresse der Gewerkschaft steht, wie schon so oft, vor den langfristigen Interessen der Beschäftigten. Schließlich ist der Streik der Müllmänner und Krankenhaus-Angestellten auch deshalb von gestern, weil die Tarifparteien eigentlich schon viel weiter waren. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, den die Gewerkschaften mit Bund und Kommunen abgeschlossen haben, ist im Grunde revolutionär: Er sieht leistungsorientierte Bezahlung und damit die Abkehr vom Grundsatz schematischer Beförderung vor. Verdi will den Tarifvertrag jetzt auch für die Bundesländer erstreiken, ist aber nicht bereit, diesen die nötige Flexibilität bei der Arbeitszeit zuzugestehen. Damit richtet sich der Streik, der vordergründig für den modernen Tarifvertrag geführt wird, in Wirklichkeit gegen dessen Geist.

Der Sparzwang in den öffentlichen Haushalten lässt sich nicht wegstreiken; und er ist bei den Ländern besonders groß: Sie haben den bei weitem höchsten Anteil an Personalkosten, unter anderem weil Polizei, Schulen und Universitäten Ländersache sind. Die Haushaltsprobleme der Bundesländer werden dabei in der Öffentlichkeit noch unterschätzt. Die Bundesrepublik braucht einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Ein erstklassiges Angebot an öffentlichen Gütern gehört zu den wichtigsten Standortfaktoren. Dafür sind qualifizierte und motivierte Mitarbeiter notwendig, und um die zu bekommen, muss der Staat ein guter Arbeitgeber sein. Aber er kann es auch nur sein, wenn er seine Finanzen in Ordnung bringt. Es liegt daher im wohlverstandenen Eigeninteresse der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, dass er dazu in der Lage ist.

Im Grunde geht es auch um die Zukunft der Riesengewerkschaft Verdi, die vom Staat über den Einzelhandel bis zur Telekom unzählige Branchen abdeckt. Seit ihrer Gründung haben sich immer mehr Branchen der Zuständigkeit von Verdi entzogen - bekannte Beispiele sind das Bodenpersonal der Fluggesellschaften und die Klinikärzte. Das ist ein Indiz dafür, dass es dem Koloss an der nötigen Flexibilität fehlt, um sich auf die Bedürfnisse einer unter Anpassungsdruck stehenden Arbeitswelt anzupassen. Es wird sich jetzt schnell zeigen, ob vielleicht auch Verdi von gestern ist.

© SZ vom 20.02.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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